Steuererhöhung statt Steueroase

Deutschland ist ein ungerechtes Land, die Spaltung zwischen Arm und Reich nimmt zu. Doch wir können uns nicht aus der Krise sparen. Wenn wir unsere Demokratie retten wollen, müssen wir die Steuern erhöhen, so Jakop Augstein in Spiegel Online.

Die Krise ist der Wendepunkt. Der Begriff stammt aus der Medizin. Wenn die Krankheit am schlimmsten ist, entscheidet sich die Zukunft des Kranken. Der Arzt tut, was er kann und sieht dann zu, wie auf die Krise die Genesung folgt oder der Tod. Wie unser Tod aussehen kann, wissen wir seit den Aufständen in London. Uns droht die soziale Anomie. Der Zerfall. Unser eigenes Somalia. Um dem zu entgehen, braucht es eine Anstrengung aller Kräftigen. Ein Umsteuern des Systems. Es war die Politik der Ungerechtigkeit, die uns in die Krise geführt hat. Wenn wir sie fortsetzen, werden wir daran zugrunde gehen. Es ist höchste Zeit, die Krise als Chance zum Kurswechsel zu erkennen.

Es ist höchste Zeit, die Steuern zu erhöhen.

Deutschland ist ein ungerechtes Land. Das ist eine Tatsache, keine linke Ideologie. Unser System führt zu einer „Umverteilung von Arm zu Reich“. Der Verfassungsrechtler und Steuerexperte Paul Kirchhof, den Angela Merkel einst zu ihrem Finanzminister machen wollte, hat das vor wenigen Tagen so formuliert. Wenn unser politisches System auf Dauer überleben soll, muss sich daran etwas ändern.

Ein paar Zahlen? Die bestverdienenden 5000 Haushalte haben seit Mitte der neunziger Jahre ihren Anteil am Gesamteinkommen um etwa die Hälfte gesteigert. Gleichzeitig sind die realen Einkommen aller Deutschen in dieser Zeit etwa gleich geblieben. Die Nettolohnquote – also der Anteil der Löhne am Volkseinkommen – lag im Westen Deutschlands bis in die achtziger Jahre noch bei 44 Prozent. Zehn Jahre später waren es noch knapp über 38 Prozent. Heute sind es etwa 35 Prozent. In der gleichen Zeit ist der Anteil der Einkommen aus Gewinnen beständig gestiegen.

Da sind gewaltige Umverteilungen im Gange. All das ist lange bekannt. Aber wir sehen dem tatenlos zu. Warum eigentlich? Weil die Ideologie der Privatisierung, die Ideologie des staatlichen Rückzugs, die Ideologie des Neoliberalismus die veröffentlichte Meinung nun schon für die Dauer einer ganzen Generation benebelt hat.

Aber die Ideologie hat Risse bekommen. „Ein Jahrzehnt enthemmter Finanzmarktökonomie entpuppt sich als das erfolgreichste Resozialisierungsprogramm linker Gesellschaftskritik“, hat Frank Schirrmacher geschrieben. Es ist nicht die Stärke des linken Arguments, die den Kapitalismus in die Knie zwingt. Der Kapitalismus ist so lange gewachsen, bis er den Punkt der Unvereinbarkeit mit der Demokratie erreicht hat. Wir leben zusehends in einem System, in dem die Wenigen profitieren, die Vielen nicht. In der Demokratie werden aber die Vielen alle paar Jahre als Wahlvieh gebraucht. Sie sollen ihre Stimme abgeben – und dann schweigen. Dafür zahlt der Staat ihnen die – spärlicher werdenden – Alimente aus den Sozialtöpfen. Aber woher soll das Geld kommen, wenn die Reichen und die Unternehmen immer weniger Steuern zahlen und ihr Geld für sich behalten und die Armen gar keine Steuern zahlen, weil sie kein Geld haben? Die Antwort lautet: Schulden.

Die Schulden sind der Preis, den die Staaten dafür zahlen, dass die Reichen reicher und die Armen ärmer werden. Dieses System ist jetzt an sein Ende gekommen.

Die Reichen schonen und die Armen besänftigen – das wird nicht mehr gehen. Jetzt geht nur noch: Steuern erhöhen oder sparen.

Wenn die Staaten sparen, wird die Ungerechtigkeit weiter zunehmen: Schulen, Schwimmbäder, Bücherhallen, Krankenhäuser – wer Geld hat, ist nicht darauf angewiesen, dass solche öffentlichen Einrichtungen in gutem Zustand sind. Alle anderen schon. Der Strom der Wut wird wachsen. Wir können uns vorstellen, wohin er fließt: nach rechts. Wenn die Staaten sparen, werden sie das System nicht in Richtung Demokratie reformieren, sondern es in Richtung Autokratie deformieren.

Um unsere Gesellschaft zu retten, gibt es nur einen Weg: Steuern rauf! Der Spitzensteuersatz ist in Deutschland so niedrig wie nie. 53 Prozent oder 56 Prozent waren früher normal. Heute sind es 42 Prozent. Wer alle Ausnahmen geltend macht, zahlt knapp über 30 Prozent. Das ist Wahnsinn. Der Staat kann es sich nicht mehr leisten, auf das Geld der Reichen zu verzichten.

Der Berliner Finanzwissenschaftler Giacomo Corneo fordert für Spitzenverdiener einen Steuersatz von 66 Prozent. Recht hat er.

 

Kommentar:

Wenn einige Reiche jetzt fordern, die Steuern zu erhöhen, gemeint ist die Einkommenssteuer,  deren notwendige Erhöhung fälschlicherweise als „Reichensteuer“ bezeichnet wird, dann wohl hauptsächlich, um ihre Privilegien zu erhalten, die sie selbst bei einem Steuersatz von 66% nicht verlieren; abgesehen davon, dass das illusorisch ist. Aber auch ein nicht mehr ausreichender Steuersatz von 53%, der bis 1998 bei einer CDU-geführten Regierung gegolten hat, wird von der SPD nicht gefordert und wird auch deswegen nicht möglich sein. Es geht aber nicht nur um die Erhöhung der Einkommenssteuer, sondern auch um die Einführung einer Vermögenssteuer (ohne Freibeträge). Eine derartige Forderung wird von solchen Spitzenverdienern aus gutem Grund nicht erhoben, weil eine solche Vermögenssteuer mit der Forderung nach Erhöhung der Einkommenssteuer verhindert werden soll.

Daraus ergibt sich, dass es sich bei dieser Forderung nach Erhöhung der Einkommenssteuer, um in der Sprache der Mediziner zu bleiben, um ein Placebo handelt. Sie bewirkt nichts, kostet nichts und hat dennoch eine imagefördernde Wirkung. Steuerentlastungen bleiben ebenso bestehen wie Steueroasen.

Erst wenn die Parteien nicht mehr willfährige Vollstrecker des Kapitals sind, sondern sich die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu eigen machen, wird Verteilungsgerechtigkeit statt der solidarfeindlichen Umverteilung von unten nach oben möglich, die gleichzeitig die völlig verfehlte und schädliche Privatisierung öffentlichen Eigentums rückgängig macht.

Lesen Sie auch die Pressemitteilung der Hans-Böckler-Stiftung vom 8.Sept.2011:

In diesem Jahr 51 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch Steuersenkungen

Seit 1998 sind die Steuern in Deutschland kräftig gesunken. Mindereinnahmen in zweistelliger Milliardenhöhe sind die Folge – und ein wesentlicher Grund für das aktuelle Staatsdefizit. Die staatlichen Ausgaben sind hingegen in der vergangenen Dekade real kaum gestiegen. Das zeigen aktuelle Berechnungen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung.

51 Milliarden Euro – so viel würden Bund, Länder und Gemeinden allein 2011 mehr an Steuern einnehmen, wenn noch die Steuergesetze von 1998 gälten, von den vorhergehenden Jahren mal ganz abgesehen . Das hat der IMK-Steuerexperte Achim Truger ermittelt. „Rein rechnerisch hätte die Bundesrepublik damit aktuell kein Budgetdefizit, sondern einen Überschuss – wenn der Staat nicht in der vergangenen Dekade auf hohe Einnahmen verzichtet hätte“, sagt der Wissenschaftler.

Vor allem die rot-grüne Einkommensteuerreform mit deutlicher Senkung der Spitzensteuersätze hat durchgeschlagen, zeigen Trugers Daten. So sehr, dass die Steuereinnahmen selbst 2007, nach Anhebung der Mehrwertsteuer, um rund 20 Milliarden Euro unter dem Niveau bei Gültigkeit der Steuergesetze von 1998 blieben. Die für Kapitaleigner günstige Abgeltungsteuer, die Unternehmensteuersenkung und die Entlastungen, welche die große und dann die schwarz-gelbe Koalition in der Krise beschlossen, haben den Abstand noch vergrößert. Zu einem großen Teil kamen die Steuersenkungen wohlhabenderen Haushalten zugute. Das Wachstum konnten sie wegen gleichzeitiger drastischer Ausgabenkürzungen nicht stimulieren. Unter dem Strich blieb daher ein deutliches Minus für den Staat. Das war kein Einzelfall, betont Truger. Die Hoffnungen auf eine weitgehende Selbstfinanzierung von Steuersenkungen über Wachstumsimpulse seien im In- wie Ausland regelmäßig enttäuscht worden.

Kaum zu den aktuellen finanziellen Problemen beigetragen hat nach den Berechnungen des Forschers hingegen die Entwicklung der Staatsausgaben: Von 1998 bis 2010 erhöhten sich die gesamtstaatlichen Ausgaben im Jahresdurchschnitt nominal lediglich um 1,8 Prozent. Nach Abzug der Preissteigerung blieb nur ein Mini-Wachstum von durchschnittlich 0,2 Prozent pro Jahr. Dabei sind die niedrigen Werte schon erheblich beeinflusst von den hohen staatlichen Ausgaben zur Abwehr der Finanz- und Wirtschaftskrise in den Jahren 2009 und 2010. Zwischen 1998 und dem Beginn der Finanzkrise 2008 erhöhten sich die gesamtstaatlichen Ausgaben im Jahresdurchschnitt nominal lediglich um 1,4 Prozent. Real, nach Abzug der Preissteigerung, schrumpften sie sogar um 0,2 Prozent pro Jahr.

Sowohl in der Dekade zwischen 1998 und 2008 als auch im Zeitraum von 1998 bis 2010 sei Deutschland international nach Japan „Vize-Weltmeister“ in sparsamer Ausgabenpolitik gewesen, so das IMK. Die staatliche Zurückhaltung hatte allerdings ausgeprägte Nebenwirkungen, warnt Finanzexperte Truger. So rangierte Deutschland etwa bei den öffentlichen Investitionen gegenüber den anderen EU-Staaten über Jahre weit hinten.

Eine Haushaltskonsolidierung allein durch Ausgabenkürzung hält das IMK daher für aussichtslos, Steuererhöhungen seien unumgänglich. Sie könnten aber verteilungspolitisch sinnvoll und für die Konjunktur weitgehend unschädlich gestaltet werden:

Dazu empfehlen die Forscher eine Anhebung des Einkommensteuertarifs für hohe Einkommen, eine höhere Erbschaftsteuer, die Wiedereinführung der Vermögensteuer und eine Spekulantensteuer.

 

 

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