Pflegereform

Gemeinsam mit dem Deutschen Landkreistag und der Diakonie Deutschland fordert die DAK-Gesundheit, die drittgrößte deutsche Krankenkasse, weitreichende Änderungen an dem vom Bundesgesundheitsministerium vorgelegten Entwurf eines Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG). Lesen Sie dazu die gemeinsamen Positionen zum Entwurf, die gekürzt und redaktionell geändert  wiedergegeben werden.

Aus einer Forsa-Befragung im Auftrag der DAK-Gesundheit geht hervor, dass eine große Mehrheit der deutschen Bevölkerung eine Stabilisierung der Pflegeversicherung mit zusätzlichen Steuermitteln erwartet, um die gesetzliche Pflegeversicherung aus der Krise zu führen. Dazu reichen die aktuellen Reformpläne nicht aus, so die Position der DAK-gesundheit und die der DIakonie sowie des Deutschen Landkreistags.

„Der Referentenentwurf sieht trotz massiver Kostensteigerungen für Pflegebedürftige und Heime keinen zusätzlichen Cent aus Bundesmitteln vor. Dabei steht die Pflegeversicherung an einem Scheideweg“, sagt DAK-Chef Andreas Storm. Die Menschen wünschen sich laut Forsa-Befragung eine faire Lastenverteilung, die Bundesregierung setzt dagegen einseitig auf Beitragserhöhungen. „Wenn Minister Lauterbach keine Steuermittel zur Stabilisierung der Pflegeversicherung einsetzt, ist die Pflegereform zum Scheitern verurteilt“, so Storm.

Auch der Deutsche Landkreistag verfolgt die Entwicklung mit Sorge. „Der Gesetzentwurf enthält lediglich lange überfällige Reparaturmaßnahmen“, sagt Dr. Irene Vorholz, Stellvertreterin des Hauptgeschäftsführers. „Diese sind zwar für sich genommen richtig, werden aber nur zu kurzzeitigen und punktuellen Entlastungen führen. Der große Wurf, den wir eigentlich brauchen, ist das nicht. Es bedarf einer grundlegenden Reform sowohl bei der Finanzierung als auch bei dem erforderlichen, qualifizierten Personal sowie bei  der Unterstützung der häuslichen Pflege.

Die Diakonie Deutschland sieht ebenfalls erheblichen Verbesserungsbedarf. Vor allem die Finanzierung stehe auf einem brüchigen Fundament. Maria Loheide, Vorstand Sozialpolitik der Diakonie Deutschland: „Die Ergebnisse der Forsa-Befragung müssen ernstgenommen und eine grundlegende Pflegereform auf den Weg gebracht werden. Die große Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich eine Pflegeversicherung, die nicht nur mit Beiträgen, sondern mit höheren Steuern zur Bewältigung der versicherungsfremden Leistungen die wesentlichen Pflegekosten finanziert. Dazu zählen die Ausbildungskosten in der Pflege und die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige, die ihre Erwerbstätigkeit einschränken.

Pflegeversicherung in der krise?

Die Pflegeversicherung in Deutschland befindet sich in einer großen Krise. Enorme Kostensteigerungen in der stationären wie in der ambulanten Pflege können immer weniger gedeckt werden, so dass die Belastungen der Pflegebedürftigen und der kommunalen Sozialhilfe weiter steigen. Zugleich nimmt die Finanzlücke in der Pflegeversicherung zu. Das führt zu einem weiteren Anstieg der Beiträge. Der GKV-Spitzenverband warnte bereits: „Aufgrund der offensichtlich innerhalb der Regierungskoalition bestehenden gegenläufigen Prioritätensetzungen entsteht eine Situation, in der ein ganzer Sozialversicherungszweig in Bezug auf die finanzielle Ausgestaltung zusehends nicht mehr angemessen seinem Auftrag zur Absicherung eines zentralen Lebensrisikos (…) nachkommen kann.“

Häusliche Pflege muss stärker unterstützt werdenDass pflegende Angehörige finanziell stärker unterstützt werden, halten 96 Prozent der Befragten für wichtig oder sehr wichtig. Das sehen vor allem Frauen so, die in Deutschland wesentlich stärker in die Angehörigenpflege involviert sind als Männer. Die vorgesehene Erhöhung des Pflegegelds um fünf Prozent im Jahr 2024 finden die Befragten vor diesem Hintergrund nicht angemessen: Die große Mehrheit (79 Prozent) der Bürgerinnen und Bürger empfindet die Erhöhung als zu niedrig.

Belastung der pflegenden Angehörigen

Die aktuellen Reformpläne für die Pflegeversicherung gehen an den Realitäten vorbei, kritisiert vor diesem Hintergrund der DAK-Vorstandschef Storm. „Das zeigt die große Kritik in allen Altersgruppen. Wenn Minister Lauterbach keine Steuermittel zur Stabilisierung der Pflegeversicherung einsetzt, ist diese Pflegereform von vornhinein zum Scheitern verurteilt“, so Storm. Er warnt: „Viele Menschen sind selbst pflegebedürftig oder pflegen ihre Angehörigen, sie sehen die Probleme jeden Tag. Und auch allen anderen ist mit Blick auf ihre eigene Pflegevorsorge bang“, so Storm. „Insbesondere bei der Erhöhung des Pflegegelds muss die Politik nachbessern. In nahezu allen anderen Bereichen kommt es angesichts der massiven Preissteigerungen aktuell zu Lohnerhöhungen. Aber das Pflegegeld, das seit 2017 nicht mehr angepasst worden ist, soll nur um fünf Prozent erhöht werden – und das erst 2024.

Sozialhilfeabhängigkeit wächst

Ebenso deutlich zu wenig ist die in der Pflegereform (PUEG) vorgesehene geringfügige Erhöhung der Zuschüsse bei den Eigenanteilen in der stationären Pflege. Sie trägt nicht einmal der Preisentwicklung Rechnung.

Eine sehr große Mehrheit (83 Prozent) der Befragten ist der Ansicht, dass Menschen, die ihr Leben lang Beiträge an die Pflegeversicherung gezahlt haben, nicht zu Sozialfällen werden sollen. Der Deutschen Landkreistag erinnert: „Die Pflegeversicherung war eingeführt worden, um die Sozialhilfeabhängigkeit vieler Pflegebedürftiger zu beenden. Mittlerweile bezieht wieder über ein Drittel der Heimbewohner Sozialhilfe. Die Kosten für die kommunale Sozialhilfe steigen von Jahr zu Jahr. Auch hier muss deutlich nachgelegt werden“, kritisiert Vorholz.

Statt höhere Beiträge für Kinderlose Entlastung aus Steuermitteln

Bei den Beiträgen für die Pflegeversicherung sieht die Pflegereform (PUEG) zur Umsetzung eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum 1. Juli 2023 eine Entlastung für Versicherte vor, die mehrere Kinder haben. Dazu sollen die Beiträge für Kinderlose erheblich steigen. Eine Mehrheit von 54 Prozent der Befragten findet dagegen, dass die Entlastung der Familien aus Steuermitteln erfolgen sollte. Insbesondere Jüngere sehen das so.

Dabei setzt eine große Mehrheit weiterhin auf ein umlagefinanziertes Solidarsystem: Die Aussage „Jeder Mensch hat hier eine Eigenverantwortung und sollte durch private Zusatzversicherungen selbst für den Pflegefall vorsorgen“ lehnen 70 Prozent der Befragten ab. „Private Vorsorge kann einen Beitrag leisten, aber sie ist nicht der Schlüssel zur Lösung der Finanzierungsprobleme der Pflegeversicherung“, sagt DAK-Chef Storm.

vdek: Pflegereform bringt wenig und belastet einseitig die Beitragszahler

Am 27.April 23 wurde der Entwurf des Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) in erster Lesung im Bundestag beraten. Dazu erklärt Ulrike Elsner, Vorstandsvorsitzende des Verbandes der Ersatzkassen e. V. (vdek):

„Jetzt sind die Parlamentarierinnen und Parlamentarier gefordert. Das im Bundeskabinett verabschiedete Pflegegesetz muss im weiteren Verfahren nachgebessert werden, denn es enthält keine Perspektive für eine wirksame Reform der Pflege. Mit dem Gesetzentwurf wird weder das Problem der wachsenden Eigenanteile in der stationären Pflege gelöst, noch wird die soziale Pflegeversicherung finanziell auf eine solide Grundlage  gestellt. Abgesehen von der Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Berücksichtigung der Zahl der Kinder bei der Beitragsbemessung bleibt von der einst angedachten Pflegereform nicht viel übrig. 

Die angekündigte Steuerfinanzierung versicherungsfremder Leistungen fehlt ebenso wie die Übernahme der Investitionsfinanzierung durch die Länder. Besonders ärgerlich ist, dass die Bundesregierung schon vorab auf die eigentlich geplante Zusammenlegung von Kurzzeit- und Verhinderungspflege verzichtet hat. Das hätte für die vielen Menschen, die zu Hause gepflegt werden, zu einer deutlichen Verbesserung geführt.
Bleibt es bei diesem Gesetz, wird es einen neuen Anlauf für eine bessere Pflegereform geben müssen.“
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