Banalität des Bösen

Die Ähnlichkeit der Häuser ist auffällig. Die Villa der Wannseekonferenz und das Landhaus Adlon bei Potsdam. Diese Ähnlichkeit ist kein Zufall, sonden von den Rassisten und Antisemiten beabsichtigt, um auf die gemeinsamen Grundlagen ihrer perversen Ideologie hinzuweisen. Lesen Sie den redaktionell geänderten Bericht von Holger Schmale, dem HA entnommen.

Deutsche und österreichische Rassisten haben im November 2023 über Möglichkeiten zur Deportation von Ausländern und Deutschen beraten. Diese Zusammenkunft von Rassisten ist mit  der Architektur und ihrer Lage am See geschichtsträchtig gewählt. Daraus ergibt sich notwendig, dass die Inhalte der Konferenzen aus den Jahren 1942 und 2023 rassistisch waren und sind ist. Die Botschaft ist eindeutig: Wir wollen eine Diktatur, wir wollen die Entrechtung und Unterdrückung des Volkes, wir wollen die Entmenschlichung, die Vertreibung und den Krieg. Wir wollen keinen Sozialklimbin, denn wir wollen keine Sozialschmarotzer. Alles, was wir öffentlich sagen, ist gelogen, um unsere wahren Absichten zu verschleiern.

Wer will diese wahren Absichten der AfD noch leugnen. Das tun nur noch die Geistesverwandten des Faschisten Höcke.

In ihrem Anfang Januar erschienenen Bericht über das geheime Treffen spekulierten die Autoren der Rechercheplattform „Correctiv“ beziehungsreich: „Womöglich ist es auch Zufall, dass die Organisatoren gerade diese Villa für ihr konspiratives Treffen gewählt haben: Knapp acht Kilometer entfernt von dem Hotel steht das Haus der Wannseekonferenz, auf der die Nazis die systematische Vernichtung der Juden koordinierten.“ Am 20. Januar 1942 hatten sich 15 Männer aus der Führung des NS-Staates über die gezielte Ermordung von Millionen Juden verständigt haben.

Endlösung der Judenfrage

Es war ein winterlich frostiger Dienstag, als die Herren gegen Mittag zu ihrer „Besprechung mit anschließendem Frühstück“, wie es in der Einladung des SS-Obergruppenführers Reinhard Heydrich hieß, in dunklen Limousinen Am Großen Wannsee 56–58 vorfuhren. Die SS hatte die 1916 erbaute Industriellenvilla 1940 als diskretes Gästehaus für ihre Offiziere gekauft. Teilnehmer der Konferenz waren vor allem Staatssekretäre aus verschiedenen Ministerien und Dienststellen der SS, die in nur 90 Minuten die wesentlichen organisatorischen Voraussetzungen für die Endlösung der Judenfrage besprachen.

Adolf Eichmann, Leiter des „Judenreferats“ im Reichssicherheitshauptamt, hielt das Ergebnis der Besprechung in einem Protokoll fest. Demzufolge eröffnete Heydrich den Teilnehmern, dass auf der Grundlage einer vorherigen Genehmigung Adolf Hitlers die Deportation aller europäischen Juden nach Osteuropa bevorstünde. Die Federführung bei der Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage lag ohne Rücksicht auf geografische Grenzen bei ihm.

Zur Umsetzung dieses Vorhabens heißt es in dem Protokoll: „In großen Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlechter, werden die arbeitsfähigen Juden straßenbauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen wird. Der allfällig endlich verbleibende Restbestand wird, da es sich bei diesem zweifellos um den widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend behandelt werden müssen, da dieser, eine natürliche Auslese darstellend, bei Freilassung als Keimzelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzusprechen ist.“ Die Formulierung „entsprechend behandelt werden“ umschreibt die Ermordung der Juden, die bis dahin überlebt hatten.

Tatsächlich wurde am Wannsee der bereits laufende Völkermord koordiniert und den höchsten Beamten aller wichtigen Ministerien zur Kenntnis gebracht. Das war die Voraussetzung dafür, dass die organisierte Vernichtung der Juden die notwendige Unterstützung staatlicher Stellen und ihrer zahllosen Schreibtischtäter erhielt.

Die Staatssekretäre setzten also um, was auf der höheren politischen Ebene des Naziregimes bereits beschlossen worden war. Der zufällig erhalten gebliebene Protokolltext dokumentiert in kalter, bürokratischer Sprache die Absicht zur Ermordung aller europäischen Juden, das prinzipielle Einverständnis und die effektive Beteiligung des deutschen Staatsapparates am Völkermord.

Banalität des Bösen

Wir verdanken Hannah Arendt und ihrem Bericht über den Eichmann-Prozess die Erkenntnis über die Banalität des Bösen: dass eben nicht entmenschlichte Bestien das Massenmorden an den Juden beschlossen und vor allem ins Werk gesetzt haben, sondern Familienväter, preußisch geschulte Beamte und Juristen, Offiziere und Mannschaften, die ansonsten viel auf ihre deutsche Soldatenehre gaben. Allesamt Männer, die sich am Rande der Konferenz in der gediegenen Wannseevilla über das Wetter, ihre Kinder und künftige Urlaube unterhielten.

Die Banalität des Bösen drückt sich auch in dem friedlichen Ort der Konferenz aus, ebenjener großbürgerlichen Villa am See. Nur wenige Häuser weiter steht die Villa von Max Liebermann, dessen Witwe die Nazis zum Zeitpunkt der Konferenz längst aus ihrem Haus vertrieben hatten. So zeigt sich, wie wenig vergleichbar die Wannseekonferenz und jenes geheime Treffen einiger rechtsradikaler Strategen und Politiker der AfD in der Potsdamer Villa vom vergangenen November einerseits sind. Deutschland war im Januar 1942 eine durchorganisierte Diktatur im dritten Kriegsjahr, es tagten hohe Beamte und Funktionäre dieses Staates.

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Parallelen des Gedankenguts

Deutschland im Jahr 2023 ist aber eine stabile Demokratie. Andererseits sind die Parallelen zwischen den Konferenzteilnehmern damals und dem Gedankengut, nämlich der völkischen Vision einer rein weißen Gesellschaft und der Bereitschaft zur Deportation unliebsamer Bevölkerungsgruppen, vergleichbar furchterregend.

Auch die Nationalsozialisten haben sich zunächst am Rande der Gesellschaft gesammelt – und sind dann in ihre Mitte vorgedrungen mit allen gewollten und entsetzlichen Auswirkungen.

Wie Recherchen verschiedener Medien zeigen, war dies offenbar nicht das erste Treffen des rechten Netzwerks im feinen Landhaus am Lehnitzsee aus den 1920er-Jahren, das mit seinem Portal der Wannseevilla so ähnelt. Und so warnen führende Juristenvereinigungen wie der Deutsche Richterbund durchaus besorgt, das Treffen bekannter Rechtsextremisten mit Vertretern der AfD sei durchaus als Vorbereitung für eine zweite Wannseekonferenz zu verstehen.

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