GKV-Finanzreform

Der Deutsche Bundestag hat am 20.10.2022 das „Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz / GKV-FinStG) beschlossen. Ziel des Gesetzes ist der Ausgleich des in der GKV für 2023 erwarteten Defizits von rund 17 Milliarden Euro.

Das Parlament nahm den von Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf nach der 2. und 3. Beratung in der vom Gesundheitsausschuss am 18.10.2022 geänderten Fassung mit der Koalitionsmehrheit gegen das Votum der Oppositionsfraktionen an. Im Vorfeld hatten Krankenkassen, Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser und Pharmahersteller den Entwurf als unzureichend und mit falschen Schwerpunkten versehen kritisiert. Die Kassenverbände forderten darauf hin das Parlament auf, die „Reißleine“ zu ziehen.

Zahlreiche Änderungen am Gesetzentwurf

Innerhalb des Gesundheitsausschusses des Bundestages wurde der Gesetzentwurf nunmehr über 17 Änderungsanträge teils deutlich verändert. So wurde zum Beispiel das sogenannte Schonvermögen der Krankenkassen auf vier Millionen Euro erhöht, damit vor allem kleine Krankenkassen nach der Abschmelzung von Rücklagen noch genügend Finanzreserven behalten. Auch wurde auf die zunächst vorgesehene ersatzlose Abschaffung der extrabudgetären Vergütung vertragsärztlicher Leistungen bei sogenannten Neupatienten verzichtet. Die Regelung soll nunmehr im Sinne einer schnelleren Vermittlung und Behandlung von Patienten zu einem zielgenauen Anreizsystem reformiert werden.

Abgelehnt hat die Bundesregierung dagegen die Forderung des Bundesrates nach einer Dynamisierung des jährlichen Bundeszuschusses sowie für 2023 einen zusätzlichen Zuschuss in Höhe von fünf Milliarden Euro. Zur Begründung hieß es, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bis Ende Mai 2023 eigene Empfehlungen für eine stabile, verlässliche und solidarische Finanzierung der GKV vorlegen werde. Ebenfalls abgelehnt wurde ein von der Union per Änderungsantrag gefordertes Soforthilfeprogramm für Krankenhäuser, um Kostensteigerungen aufzufangen. Auf die Kliniken wirkten aktuell zahlreiche Preiserhöhungen parallel ein, insbesondere die Energiekosten sowie die Kosten von Waren- und Medizinprodukteherstellern.

Wichtige Regelungen des GKV-FinStG:


Finanzreserven: Vorhandene Finanzreserven der Krankenkassen werden mit einem kassenübergreifenden Solidarausgleich zur Stabilisierung der Beitragssätze herangezogen. Zudem wird die Obergrenze für die Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds halbiert und übersteigende Mittel können für höhere Zuweisungen an die Krankenkassen genutzt werden, um die Finanzierungslücke weiter zu schließen.

Bundeszuschuss: Der bestehende Bundeszuschuss zur GKV wird von 14,5 Milliarden Euro für 2023 um 2 Milliarden Euro auf 16,5 Milliarden Euro erhöht.

Darlehen Bund: Der Bund gewährt der GKV ein unverzinsliches Darlehen für 2023 von 1 Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds.

Herstellerabschlag: Für das Jahr 2023 ist ein um 5 Prozentpunkte erhöhter Herstellerabschlag insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel vorgesehen.

Reform AMNOG: Strukturelle Änderungen der Preisbildung von neuen Arzneimitteln, die keinen oder nur einen geringen Zusatznutzen haben, sowie ergänzende Maßnahmen zur Dämpfung des Ausgabenanstiegs bei patentgeschützten Arzneimitteln.

Apothekenabschlag: Der Apothekenabschlag wird von 1,77 Euro auf 2 Euro je Arzneimittelpackung (auf zwei Jahre befristet) erhöht.

Preismoratorium: Das Preismoratorium bei Arzneimitteln wird bis Ende 2026 verlängert, ergänzt um eine Ausstiegs-Regelung für bekannte Arzneimittel mit neuem Anwendungsgebiet.

Pflegebudget: Ab 2025 werden im Pflegebudget nur noch die Kosten für qualifizierte Pflegekräfte berücksichtigt, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen eingesetzt sind.

Neupatientenregel: Die extrabudgetäre Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen gegenüber sogenannten „Neupatienten“ für Vertragsärzte wird abgeschafft. Dafür werden Vergütungsanreize für schnellere ärztliche Behandlungstermine eingeführt.

Zahnarzthonorare: Begrenzung des Honorarzuwachses für Zahnärzte. Gleichzeitig: Ausnahmen für Leistungen im Rahmen der aufsuchenden Versorgung oder von Kooperationsverträgen zwischen stationären Pflegeeinrichtungen und Zahnärzten sowie bei Parodontitisbehandlung bei Versicherten mit Behinderung oder Pflegebedarf.

Zusatzbeitrag: Auch der Zusatzbeitrag für die Beitragszahler wird steigen. Auf Grundlage der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises im Herbst wird das BMG den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz in der GKV festlegen. Eine Anhebung um 0,3 Punkte auf dann 1,6 Prozent ist derzeit laut BMG nicht unrealistisch.

 


Aus für die Parodontitis-Therapie:

Der Deutsche Bundestag hat heute den von Karl Lauterbach vorgelegten Entwurf für das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) mit nur marginalen Änderungen verabschiedet. Für die Mund- und Allgemeingesundheit in Deutschland ist das ein schwarzer Tag.

Mit der im Gesetz enthaltenen strikten Budgetierung für 2023 und 2024 werden der Versorgung die erst kürzlich zugesagten Mittel für die neue, präventionsorientierte Parodontitis-Therapie wieder entzogen. Fast alle der rund 30 Millionen Patientinnen und Patienten, die an der Volkskrankheit Parodontitis leiden, werden damit faktisch eines Leistungsanspruches beraubt, der erst im Vorjahr in den GKV-Leistungskatalog aufgenommen und von allen Beteiligten als ein Meilenstein für die Mund- und Allgemeingesundheit begrüßt wurde. Durch die im Bundestag auf den letzten Metern eingebrachten Änderungen der Koalition werden alleine die Finanzmittel für die Behandlung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung zur Verfügung gestellt.

Der Vorsitzende des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV), Dr. Wolfgang Eßer ist fassungslos angesichts dieses zynischen und beispiellosen Vorgehens: „In zahlreichen Gesprächen und in der Expertenanhörung im Bundestag wurde klar dargelegt, dass die strikte Budgetierung das faktische Aus für diese wichtige Behandlung bedeutet. So wichtig die Versorgung vulnerabler Gruppen ist, eine Ausnahmeregelung für die Parodontitis-Therapie hätte alle GKV-Versicherten einschließen müssen. Die weit überwiegende Mehrheit der Patientinnen und Patienten, die dringend auf eine wirksame und auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft basierende Behandlung angewiesen ist, bleibt mit dieser Entscheidung auf der Strecke. Das, was uns die Ampel hier präsentiert, ist nichts anderes als ein politisches Feigenblatt und ein Frontalangriff auf die präventive Patientenversorgung.“

Die Änderungen im Bundestagsverfahren sehen ferner eine Evaluierung der Auswirkungen der Budgetierung auf die Parodontitis-Versorgung im September 2023 vor. „Trial and error auf dem Rücken der Patienten ist der falsche Weg. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Sein Versprechen zu halten, eine Parodontitis-Behandlung für alle zu ermöglichen und dann zu evaluieren – das wäre verantwortungsvoll“, kritisiert Eßer.

Eßer weist in diesem Zusammenhang auch auf die gravierenden Folgen einer Parodontitis für die Mund- und Allgemeingesundheit hin: „Parodontitis steht im Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes und stellt zugleich ein Risiko für Schwangere, demenziell erkrankte Patienten sowie für schwere Verläufe bei Infektionen mit dem Coronavirus dar. Mit diesem Gesetz verschließt die Ampel wissentlich die Augen vor den gesundheitlichen Folgen für unsere Patienten und wirft gleichzeitig die von ihr gepredigten Prinzipien von Nachhaltigkeit und Prävention in der Gesundheitsversorgung vollständig über Bord. Das ist schlichtweg absurd und verantwortungslos.“

Anmerkungen:

Die beschriebenen Folgen von Parodontitis sind nicht etwa an den Haaren herbeigezogen, um einer ärztlichen Meinung mehr Gewicht zu verleihen, sondern sind medizinisches Grundwissen bei Zahnärzten, also gesicherte medizinische Erkenntnis. Mein Zahnarzt sagt knapp und deutlich: Zahngesundheit ist Körpergesundheit.

Es ist deswegen nicht zu verstehen,, warum diese Therapie budgetiert, also finanziell gedeckelt wird. Stattdessen werden mögliche Folgeerkrankungen in Kauf genommen, die preiswert verhindert hätten werden können.

 

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