Biedermann und die Brandstifter

Das Theaterstück „Biedermann und die Brandstifter“ ist etwa so alt wie das Grundgesetz. Das Stück von Max Frisch handelt von einem Bürger namens Gottlieb Biedermann, der in der Zeitung von einer Serie von Brandstiftungen liest. Er sieht die Brandstifter als Opfer, weil sie sich selbst so sehen. Die Brandstifter bei Max Frisch bejammern und bemitleiden sich nämlich als Opfer, als Abgehängte, obwohl sie das genaue Gegenteil sind. Lesen Sie den Beitrag von Heribert Prantl, Jurist und Kolumnist der SZ .

Ein „Lehrstück ohne Lehre“ nennt Frisch sein Drama im Untertitel. Es geht so: Trotz aller Warnungen beherbergt Biedermann Leute in seinem Haus, die sich als Brandstifter gerieren; er tut es aus Großzügigkeit und aus Gutmütigkeit und weil er zeigen will, dass er sich von Hysterien nicht anstecken lässt. Biedermann weigert sich daher, die drastischen Warnzeichen überhaupt zur Kenntnis zu nehmen: Er schreitet nicht ein, als die Brandstifter Benzinfässer auf dem Dachboden seines Hauses lagern. Er behauptet, er rieche das Benzin nicht. Er behandelt die Brandstifter als Hausfreunde, lädt sie zum Abendessen ein und reicht ihnen schließlich sogar Zündhölzer – als Zeichen, dass er ihnen vertraut. Sein Haus geht alsbald in Flammen auf.

AfD und ihre Brandstifter

In der Bundesrepublik Deutschland wird das Stück derzeit aktualisiert und fortgeschrieben: Die Neuauflage handelt nicht von irgendeinem Privathaus, sie handelt vom Haus der Demokratie, sie handelt von der AfD und von Brandstiftern wie Björn Höcke. Das Stück wird nicht auf einer Theaterbühne gespielt, es findet in der politischen Realität statt. Ganz so töricht wie der Herr Biedermann sind die demokratischen Parteien in der Bundesrepublik nicht; ziemlich töricht sind sie schon. Sie nehmen die Gefahr zwar zur Kenntnis, reagieren aber darauf nicht entschlossen, nicht konsequent und nicht wirkungsvoll.

Sie haben es bisher geduldet, dass die AfD und ihre Brandstifter es sich im Haus der Demokratie bequem machten. Und sie dulden es, dass die Brandstifter neue und gefährliche Hausregeln propagieren: Die Brandstifter wollen dort nur noch Menschen mit deutscher Abstammung wohnen lassen und kündigen daher an, Migranten und geflüchtete Menschen aus dem Haus zu werfen; Menschen mit Behinderungen wollen sie in die Abstellkammern sperren.

Den Zündlern die Tür weisen

Aber die Hüter dieses Hauses haben sich bisher nicht getraut, den Brandstiftern die Tür zu weisen, obwohl es klare rechtsstaatliche Regeln dafür gibt. Sie scheuen davor zurück, weil sie selbst tolerant erscheinen wollen, weil die Gefährder so viele Sympathisanten haben und viele der Sympathisanten die Gefahren verkennen. Die Regeln über die Behandlung von Brandstiftern und Brandrednern stehen in den Artikeln 18 ff. des Grundgesetzes. Nach Artikel 18 können einzelnen Brandrednern bestimmte Grundrechte entzogen werden; dann dürfen diese Personen im Haus der Demokratie nicht mehr agieren und nicht mehr tätig werden. Nach Artikel 21 können brandrednerische Parteien verboten werden. Die einschlägigen Verbotsanträge müssen von der Bundesregierung, dem Bundestag oder dem Bundesrat (beim Artikel18 von einzelnen Landesregierungen) in Karlsruhe beim Verfassungsgericht gestellt werden. 1,6 Millionen Menschen haben die Antragsberechtigten dazu aufgefordert, gegen den Neonazi Björn Höcke einen solchen Antrag zu stellen, und Hunderttausende Demonstranten fordern an jedem Wochenende die Antragsberechtigten auf, gegen die ganze AfD tätig zu werden.

Geschlossenheit erforderlich

Es sind machtvolle Demonstrationen; in ihnen zeigen sich Kraft und demokratischer Stolz der Zivilgesellschaft wie selten zuvor in der Geschichte der Republik. Aber diese Kraft wirkt und trägt nur dann länger als ein paar Wochen, wenn sie sich nicht zerteilt, wenn sie sich nicht zerstreitet, wenn die vielen Initiatoren der Demos zusammenhalten, wenn sie sich nicht gegenseitig ausladen, wenn sie sich keinen erbitterten Wettbewerb darin liefern, bei wem es sich um die glaubwürdigsten AfD-Kritiker handelt. Bei diesen Demonstrationen muss sich die Gemeinsamkeit der Demokraten zeigen. Gegen Rechtsextremisten hilft nicht eine radikalisierte Rechthaberei von einzelnen Gruppen; die Demonstrationen verlieren dann ihre Unschuld, ihre Stärke und ihre demokratische Reinheit.

Keine Toleranz gegenüber Intoleranz

Was kommt nach den Demos, den Lichtermeeren, den Unterschriftenaktionen? Wenn es gut geht, dann verliert die Politik, getragen von der Zivilgesellschaft, die Beißhemmung gegenüber der AfD. Es wäre wünschenswert. Als einst die demokratische Politik beim Bundesverfassungsgericht sehr einhellig ein Verbot der NPD beantragte, war die Zivilgesellschaft wenig interessiert. Die Politik forderte vergeblich den „Aufstand der Anständigen“.

Heute ist dieser Aufstand da, die Zivilgesellschaft tritt eindrucksvoll an gegen die AfD – aber die demokratische Politik ist kleinmütig, furchtsam und hasenfüßig. Sie hat Angst, dass sie gescholten wird, gegen einen derzeit erfolgreichen Konkurrenten vorzugehen; sie befürchtet, dass man mit Verbotsanträgen aus den Brandstiftern Märtyrer macht und damit der AfD noch zusätzlich Wähler zutreibt.

Die Angst davor, dass Verbotsanträge auch Werbung für die AfD sein könnten, ist verständlich. Aber die Schäden, die drohen, wenn man die Brandstifter gewähren lässt, sind gewichtiger als solche Bedenken. Eine rechtlich ungehinderte Machtergreifung durch Verfassungsfeinde ist die größte Katastrophe, die es für eine rechtsstaatliche Demokratie gibt.

Diese Machtergreifung verhindert man nicht schon dadurch, dass man das Bundesverfassungsgericht besser schützt als bisher, dass man also die Regeln für die Organisation und die Besetzung des Gerichts künftig ins Grundgesetz schreibt statt nur, wie es bisher der Fall ist, in ein einfaches Gesetz.

Verbotsanträge stellen

Dies zu tun ist in Ordnung – es unterstellt allerdings schon die Möglichkeit, dass die AfD so viel Macht erringt, dass sie auf die wichtigste Kontrollinstanz der Republik Einfluss nehmen kann. Genau das muss verhindert werden. Deshalb braucht es das Parteiverbot, deshalb braucht es den Entzug der politischen Aktionsrechte für Höcke und Co.

Es wird dabei immer von Anträgen gegen etwas geredet, von Verbotsanträgen gegen Höcke und gegen die AfD. Es sind dies aber nicht in erster Linie Anträge gegen eine Partei und gegen ihre Protagonisten, sondern Anträge für etwas, für etwas ungeheuer Wichtiges: für die Achtung der Würde eines jedes Menschen. Die AfD und ihre Brandstifter achten nur die Würde der Menschen, die sie nach ihrem völkischen Weltbild für würdig erachten. Das ist so gefährlich, dass es die Risiken von Verbotsanträgen lohnt.

 

 

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