Meinungsmache

Einst sollten Reformen die Renten finanzierbar halten. Heute bedienen sie vor allem die eigene Klientel. Das ist die Kernaussage des stellv. Chefredakteurs des Hamburger Abendblatts, der in diesem Zusammenhang feststellt, dass das „eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“ ist. Hat er recht? Oder ist das nur Meinungsmache? Lesen Sie seine Kolumne und meine Erwiderung.

Teil I

Wo ist eigentlich Luisa Neubauer, wenn man sie einmal braucht? Die deutsche Ikone der Klimabewegung unternahm kürzlich mehrere Ausflüge in neue Themenfelder: Sie plädierte für eine Senkung des Wahlalters, demonstrierte gegen rechts, und nun Seit’ an Seit’ mit der Gewerkschaft Ver.di für die „Verkehrswende“. Die kommt: Tatsächlich haben Ver.di und vor allem GDL-Chef Weselsky wohl die größte Imagekampagne für das Auto seit der Entwicklung des Käfers gestartet.

Dabei gäbe es ein Thema, das Neubauer, die wortgewaltige wie kluge Anführerin ihrer Generation, benennen sollte – die Frage der Generationengerechtigkeit. Zuletzt hat die deutsche Sozialdemokratie ihre treuesten Wähler wieder üppig bedacht: Hubertus Heil hat mit seinem Rentenpaket beeindruckend gezeigt, wie wenig Franz Müntefering in ihm steckt. Franz Müntefering ist mit der Volksschule Sauerland weit gekommen.

Der frühere Vizekanzler hatte mutig wie generationengerecht 2005 angesichts der gottlob wachsenden Lebenserwartung das Rentenalter auf 67 heraufgeschraubt. „Weniger Kinder, später in den Beruf, früher raus, länger leben, länger Rente zahlen: Wenn man das alles nebeneinander legt, muss man gar kein Mathematiker sein, da reicht Volksschule Sauerland, um zu wissen: Das kann nicht gehen.“ Die Münteferings, Steinbrücks, Schröders sind Geschichte, die Heils, Eskens und Scholzens Gegenwart.

„Es wird keine Rentenkürzung geben und auch keine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters“, verspricht Heil. Und damit nicht genug: Sein Rentenpaket verheißt den 21 Millionen Senioren steigende Bezüge. Auch die Jugend kommt auf ihre Kosten: Sie wird höhere Beiträge zahlen und zudem über das Steuersystem zur Kasse gebeten.

Demografischer Wandel

Denn die Rentenausgaben steigen nun nicht bis 2035 von aktuell 371,4 Milliarden Euro auf 566,9 Milliarden, sondern gleich noch um 28,2 Milliarden Euro mehr. Dafür klettert der Rentenbeitrag nicht nur von 18,6 auf 21,2 Prozent, sondern sogar auf 22,3 Prozent. Das jüngste Rentenpaket fügt sich ein in eine Politik, die die junge Generation seit Jahren über Gebühr belastet und die Älteren bedenkt. In den vergangenen Legislaturperioden spendierten die Großen Koalitionen die Rente mit 63, die Mütterrente I und II und die Grundrente.

Allein diese vier Maßnahmen kosten, so überschlägt es der Experte Prof. … von der Stiftung Marktwirtschaft für diese Kolumne, in diesem Jahr rund 17,8 Milliarden Euro. Auch die Aktienrente bringt da keinen Politikwechsel. Da fragt man sich schon, was denn die Jugendverbände der Ampelparteien so beruflich machen – aber wahrscheinlich toben sie sich bei der Cannabis-Legalisierung aus. Wenn man schon den eigenen Wohlstand nicht mehr erweitern kann, ist das ja vielleicht mit dem Bewusstsein möglich.

Wo bleiben die Interessen der jungen Generation?

Nun sei allen Senioren eine gute Rente gegönnt. Und ja, sie haben in diese Versicherung eingezahlt und den Wohlstand erarbeitet, von dem die jungen Menschen heute zehren. Aber viele ältere Menschen, die ich treffe, schütteln auch den Kopf über die Spendierlaune einer Koalition, der doch angeblich das Geld ausgegangen ist. Jeder, der Kinder hat, sieht die Schieflage, die obendrein immer schiefer wird. Erinnern wir uns an die Rente mit 63, eine der größten Schnapsideen der an Bierlaunen nicht eben abstinenten Merkel-Ära.

Damals barmte die Politik vom Dachdecker, der mit 63 Jahren nach 45 Berufsjahren körperlich auf ist. Jeder mochte da zustimmen. Blöd nur, dass sich längst nicht nur die Bauarbeiter, sondern auch hoch bezahlte Führungskräfte vom Acker machen. Nun ging eine andere Lesart der Rente mit 63 um: Das Ehepaar Meier, so erzählte jüngst die „FAS“, möchte auswandern. „Ich segle oft auf dem See, aber die Saison ist hier in Deutschland zu kurz.“ Das Problem kennen viele. „Und meiner Frau sind die Winter zu kalt.“

Privilegiert werden oft die, die schon viel haben

Da sie auf den Klimawandel nicht warten wollen, ziehen sie von einem See südlich von München nun nach Mallorca – und nehmen ihre kleinen Renten in Höhe von 7300 Euro brutto mit. Klar, nach 45 Berufsjahren steigen die beiden Top-Verdiener früher und ohne Einbußen aus. Und versteuern bald ihr Geld in Spanien.

Da drängt sich schon die Frage auf, wie lange das gut geht. Und warum wir ständig Gerechtigkeit fordern, Generationsgerechtigkeit damit aber nie meinen. Es sollte keiner glauben, dass die jungen Leistungsträger das ewig finanzieren werden. Auch dafür reicht Volksschule Sauerland.

 

Teil II

Sehr geehrter Herr …,

bisher habe ich Ihre Beiträge immer gern gelesen, auch wenn sie manchmal etwas steil geraten sind. Ihre jetzige Kolumne „Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit“ ist mehr als steil, sie beruht nur zum Teil auf Tatsachen, ist populistisch und diskreditiert das Rentensystem wider besseres Wissen, denn ich unterstelle Ihnen die Kenntnis der Grundlagen des Rentensystems. Eine Grundlage ist der Generationenvertrag, der darauf beruht, dass mit der Beitragszahlung die Arbeitnehmer eigene Ansprüche erwerben und gleichzeitig im Umlageverfahren die Renten zahlen. Dieses Umlageverfahren hat sich bewährt und gilt selbstverständlich auch für die jetzige Generation der Arbeitnehmer (Beitragszahler). Dieser Generationenvertrag ist daher gerecht. Ungerecht daran ist allenfalls, dass berufsständische Versorungswerke und die Beamtenversorgung nicht Teil dieses Generationenvertrags sind.

Der frühere Vizekanzler (Müntefering), Bundesarbeitsminister von 2005 – 2007, hat den Rentenbeginn (nicht das Rentenalter) nicht „auf 67 heraufgeschraubt“. Das konnte er nicht, weil diese Heraufsetzung des Rentenalters erst ab 2012 schrittweise erfolgt und noch nicht abgeschlossen ist.

 

Nun behaupten Sie, dass die Rentenausgaben von aktuell 371,4 Mrd.€ auf 595,1 € bis 2035 steigen. Weder die aktuelle Zahl stimmt, den es sind aktuell 322,7 €, noch haben Sie für das Jahr 2035 eine valide Zahl. Wahrscheinlich haben Sie eine Glaskugel bemüht, und als Sie dort nicht fündig wurden, haben Sie den bekannten Hellseher Prof. … gebeten, eine Fantasiezahl zu nennen, die sich aus der Fortschreibung des Status quo ergibt, um es freundlich zu formulieren.

Sie und der Prof. kommen überhaupt nicht auf die Idee, Vorschläge zu machen. Stattdessen meckern Sie grundlos. Wie wäre es z.B. mit dem Übergang der berufsständischen Versorgungswerke in die gesetzliche rentenversicherung, und wie wäre es, den Beamtenstatus ausschließlich an hoheitliche Aufgaben zu  koppeln und ansonsten statt Beamte beitragszahlende Arbeitnehmer zu beschäftigen, die für deutlich mehr Einahmen sorgen könnten. Warum müssen Lehrer Beamte sein?

Vergessen Sie bitte nicht, dass Rentner inzwischen rund 50 Mrd. € pro Jahr an Einkommenssteuer zahlen; und das mit starken jährlichen Anstiegen, weil die Renten bald voll steuerpflichtig sein werden. Und vergessen Sie auch nicht, dass die sogenannte Grundrente, die tatsächlich ein Rentenzuschlag für bedürftige Rentner sein sollte, eine Mogelpackung ist, da sie ihr Ziel, Bedürftikeit zu verhindern, vollkommen verfehlt. Die Rente mit 63, gemeint ist wohl der Rentenzugang mit dem 63 Lebensjahr nach 45 Beitragsjahren ohne versicherungsmathematische Abschläge, wenn sie vor 1953 geboren sind, war eine zeitlich befristete Sonderregelung, mit der auf die besondere Lebensleistung dieser Arbeitnehmer reagiert worden ist. 

Es handelt sich alsom keineswegs um Bevorzugungen, sondern um Maßnahmen für besonders beanspruchte ehemalige Arbeitnehmer, die für die Finanzsituation der Rentenversicherung völlig unbedeutend sind. 

Solche Maßnahmen wie die „Grundrente“ , aber auch die „Mütterrente“, bei der es sich um die Anrechnung von Kinderererziehungszeiten handelt, sind als gesamtgesellschaftliche Aufgaben von der Gesamtheit der Steuerzahler zu finanzieren, werden aber tatsächlich systemwidrig nur von den Beitragszahlern der gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt.

Das Sozialstaatsgebot ist eine staatliche Verpflichtung und nicht eine solche der Beitragszahler bei der Rentenversicherung. Sie sehen das allerdings anders, zumal Sie den Rentner mit einer Rente von 7300 € brutto erwähnen, der davon ein Leben in Saus und Braus führt. Spätestens jetzt wird Ihre Argumentation grotesk.

Ein Rentner, der während seines gesamten Berufslebens ein Einkommen oberhalb der Bemessungsgrenze  (aktuell 7300 €) hatte, hätte aktuell nach 45 Beitragsjahren eine Bruttorente von 3285 €. Ein solcher Fall ist schon deswegen realitätsfremd, weil ein solcher Arbeitnehmer im zarten Alter von 18 bereits ein Einkommen oberhalb der BBG hätte haben müssen. Tatsächlich hat die durchschnittliche Bruttorente eine Höhe von 1550 €, und die Nettorente eine solche von 1384 €. Erklären Sie mir bitte, wie ein Rentner damit in Hamburg zurecht kommen soll. Das interessiert Sie auch nicht, weil Sie ihm künftige Rentenanpassungen bei den von Ihnen behaupteten „üppigen“ Renten, die den Geldwert seiner Rente im besten Fall erhalten, auch noch vorenthalten wollen.

Im übrigen: Die mit Beitragszahlungen erworbenen Rentenansprüche haben Eigentumscharakter. Um das System der gesetzlichen Rentenversicherung zu verstehen, genügt ganz offensichtlich Volksschule Sauerland nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Aschenbeck

 

 

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