Hochstapler

„Der Fall Karl-Theodor zu Guttenberg erinnert an Figuren in Literatur und Film, die mehr sein wollten, als sie waren“. So überschreiben Thomas Andre und Katharina Miklis (Hamburger Abendblatt) ihren Artikel zum Hochstapler zu Guttenberg, auszugsweise wiedergegeben.

Dass Guttenberg ein Täuscher ist, ein Dieb, das leugnet niemand ernstlich. Und seine große Fan-Gemeinde hält dies für eine lässliche Sünde, sie feiert ihn geradezu. Aber sie mag ihn aus ganz anderen Gründen als jenen, wegen denen Leser und Kinobesucher für die Figur des Hochstaplers in der Kunst eingenommen werden. Guttenbergs Hochstapelei wird geflissentlich, ja auf beinah aggressive und trotzige Weise übersehen. Bei Felix Krull und Frank William Abagnale jr., dem Helden in Steven Spielbergs Film „Catch Me If You Can“, verhält es sich anders. Sie werden geliebt, gerade weil sie mit Hochstapeleien und Lügengebäuden operieren.

Das liegt auch daran, dass sie, wie das in der Roman- oder Filmerzählung eigentlich immer so ist, ein Motiv haben, das überzeugend ist.

Guttenbergs Motive hingegen verlieren sich im Bereich der Spekulation und der psychologischen Deutung. Aber bei ihm, der Figur aus der Wirklichkeit, bekommt die Lebensgeschichte gerade durch den gegenwärtigen Skandal durchaus romanhafte Züge. Was die Frage aufwirft, ob im Fall Guttenberg denn auch jemand die erzählenden Zügel in der Hand hält. Wenn er „gewinnt“, ist Guttenberg das selbst; sollte er doch noch zurücktreten müssen, werden die Erzähler die sein, die ihn zu Fall bringen. Seine Sympathiewerte dürften selbst darunter nicht unbedingt leiden, obgleich das Heer der Guttenberg-Allergiker bei allem, was über ihn weiterhin gedacht und geschrieben wird, durchaus noch den einen oder anderen rekrutieren könnte.

Den Helden in der Kunst schlägt dagegen ungeteilt Wohlwollen entgegen: Sie sind Hochstapler aus gutem Grund. So ist es doch im Fall von Steven Spielbergs „Catch Me If You Can“ vor allem der familiäre Hintergrund des Betrügers Frank Abagnale jr., der uns mit ihm sympathisieren lässt: die gescheiterte Existenz aus der bürgerlichen Mitte als Identifikationsfigur. Da ist der Vater, der sich abrackert und versucht, ein anständiges Vorbild zu sein. Und die kapriziöse Mutter, die sich von ihm trennt. Dazwischen steht der Sohn Frank, gespielt von Leonardo DiCaprio, der sich nichts mehr wünscht, als seinem Vater einen Lebensstil zu ermöglichen, mit dem er die Mutter zurückerobern kann. So wird sein Motiv, das Abagnale auch im wahren Leben Ende der 60er-Jahre mehrere Millionen Dollar ergaunern lässt, zu einem nachvollziehbaren, ja schon fast zu einem ehrbaren. Auch er täuscht, gibt sich als Arzt aus, als Rechtsanwalt und Pilot. Jedoch nie um des Titels willen, sondern allein, um mit all dem Geld seine zerbrochene Familie retten zu können. „Die Leute wissen immer nur, was sie gesagt bekommen“, sagt Abagnale an einer Stelle des Films und hält der Gesellschaft, die sich nur allzu gern von ihm blenden lässt, einen Spiegel vor.

Und die literarische Figur Felix Krull? Sie ist keineswegs ein Anti-Held, obwohl gerade ihr gesellschaftlicher Ehrgeiz gewisse Ähnlichkeiten mit Guttenbergs streberhaftem Auftreten hat. Wer wollte, zitierte in den vergangenen Tagen einige Sätze aus „Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“: Der lebt mit der Gewissheit, „aus feinerem Holz geschnitzt zu sein“ als seine Umgebung, und erinnert in dieser Arroganz manche an den etwas anderen Politiker, als der sich Guttenberg so gerne geriert.

Dabei ist Krull jemand, der aus gänzlich anderen Verhältnissen stammt. Sein Dazugehörenwollen, sein Narzissmus, bezieht sich auf eine Welt, die für ihn doch eigentlich unerreichbar ist: die Aristokratie. Allerdings findet man eine etwas beunruhigende Analogie, wenn man Krulls Tendenz zur Mimikry etwa mit Guttenbergs Auffassung von Wissenschaftlichkeit vergleicht. Krull ist ein Künstler in dem, was er tut, sein Eintritt in verschiedene Sphären hat etwas Spielerisches – er imitiert und geht nicht immer ganz in seiner Rolle auf. In etwa so könnte man mit einigem Recht auch das ganze Phänomen Guttenberg beschreiben: ein Mann, der sich noch bis vor Kurzem gleichsam tänzelnd auf sämtlichen Parketts bewegte, der in Gesellschaft, Politik und (scheinbar) Wissenschaft reüssierte.

Krull nimmt am Ende die großartige Möglichkeit nicht wahr, in die Welt des symbolischen Kapitals aufzusteigen: Als ihn Lord Kilmarnock adoptieren will (das würde ihn zum Erben machen), lehnt Krull die Offerte ab.

Da ist er dann wieder, dieser Moment in der Literatur, der den Hochstapler sympathisch macht. Auch der gescheiterte Hochstapler Guttenberg hat noch Hoffnung. Denn wie legte es Thomas Mann seinem Krull in den Mund? „Eine der hoffnungsreichsten Lebenslagen ist die, wenn es uns so schlecht geht, dass es uns nicht mehr schlechter gehen kann.“

Radio FFN – Guttenberg Song (Die Prinzen)
[audio: Radio-FFN-Guttenberg-Song.mp3]

Anmerkung:

Guttenberg ist ein Blender. Er hat bisher so stark geblendet, dass ihn viele als Lichtgestalt wahrgenommen haben.

Lesen Sie auch die treffende Bewertung des Verhaltens der „Lichtgestalt“ von Torsten Teichert, dem HA entnommen:

Das Boulevardtheater dauert fort. Kaum war Guttenberg weg, begannen die Talkshows über seinen Rücktritt vom Rücktritt zu plaudern. Wiedereinsetzungsdemonstrationen meldeten sich an. Mit flinker Zunge meinten manche, der Herr habe doch nun wirklich mit seinem Rücktritt „genug gebüßt“. Es ist wie im Tollhaus.

Karikatur: Klaus Stuttmann


Am Tag seines Rücktritts wurde gemeldet, Guttenberg spende sein Übergangsgeld von rund 30 000 Euro an die Familien der getöteten Soldaten. Warum nur wollen noch immer so viele von einem, der sich solch eine unappetitliche Geste ausdenkt, nicht lassen? Blutgeld für Gefallene vom Ex-Befehlshaber? Zum Glück wächst Tag für Tag die Erkenntnis über Guttenbergs wahre Substanz. Der Kaiser war noch niemals richtig bekleidet.

Seine Politik war nie besser als seine Doktorarbeit.

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Immer war es der gepresste Ton, der scharfe Blick, das schneidige Wort, mit dem Guttenberg die Zuhörer in seinen Bann zog. Solche Sprache kannten wir nicht von Merkel und Steinmeier. Wir kannten die „Schmeißfliegen“ von Strauß, das „Basta“ von Schröder. Nun aber kam alles „von Herzen“ und mit großer Pose. Wir hatten unseren Märchenkönig.

Guttenbergs Abschiedsrede zeigt das Muster seines Denkens und seiner Sprache. „Ich habe die Grenzen meiner Kräfte erreicht.“ Der Satz stand auf allen Titelseiten. Guttenberg hatte, was er wollte. Wie in einem finalen Zapfenstreich reicht es ihm nicht, diesen Satz einfach nur zu sagen, sondern er leitet ihn trommelwirbelnd ein: „Abschließend ein Satz, der für einen Politiker ungewöhnlich klingen mag …“ Auch das war die Unwahrheit. Kein Politiker trat unter Druck ohne diesen Satz zurück.

Doch Guttenberg will auch diese Banalität auf den Olymp des Besonderen, Ausgewählten erheben. Genau hier finden wir das Epizentrum der Selbstinszenierung von Guttenberg. Er trichtert uns vom ersten Tag an ein, dass er kein normaler Politiker sei, er sei etwas anderes, der Anti-Politiker als Politiker-Star. So macht es jeder Populist. Nichts Neues, nirgends.

Wieder tat er, was immer Ziel all seiner Taten war: zu glänzen. Für seinen Rücktritt liege „der Grund … im Besonderen in der Frage, ob ich den höchsten Ansprüchen, die ich selbst an meine Verantwortung anlege, noch nachkommen kann“. Der Satz ist so aus den Schienen gelaufen wie die ganze Karriere. Wer auch an einem solchen Tag nicht demütig und kleinlaut sein mag, der muss wieder einmal das „Höchste“ herbeizitieren. Wo aber war diese „Höchstverantwortung“, als er Staatssekretär, Generalinspekteur und Segelbootskapitän schasste? Wo war die Klarstellung seines Ministeriums, das tagelang schwieg, als die Fehlinformation die Runde machte, die tödlich verunglückte Offiziersanwärterin hätte angeblich 20 Kilogramm Übergewicht gehabt?

Natürlich muss auch die Begründung für den eigenen Rücktritt gewaltig ausfallen. Nein, nicht die geklaute Doktorarbeit, die Täuschung der Öffentlichkeit, das eigene Versagen waren es. Sondern: Er habe eine „dramatische Verschiebung der Aufmerksamkeit zulasten der mir Anvertrauten“, jener „großartigen Truppen im Einsatz“, die ihm „ans Herz gewachsen“ seien, erlebt und das beenden wollen. Man reibt sich die Ohren. Ausgerechnet Guttenberg, der noch seine Frau und Kerner vor die Soldaten stellte und Bayreuth in Afghanistan nachprobte, will uns glauben machen, dass er mit seinem Rücktritt den Blick für den Schmutz, den Schmerz und die Toten in unserem Kriegsgebiet freimachen wolle. Dafür hätte er in den Monaten zuvor jede Menge Gelegenheit gehabt.

Guttenberg war Zeit seiner Kometen-Karriere ein Populist. Sein Muster war so einfach wie wirkungsmächtig: Seine Rede klang immer geschwollener als die der anderen, man sollte glauben, dass solche Rede Zeugnis des Besseren sei. Immer griff er zu Superlativen, die dem Einfachbürger signalisierten, hier werde er Zeuge des Olympischen. Fast hätte er uns alle geblendet. Doch der Kaiser ist nackt.

Die gefälschte Doktorarbeit hat den Schwindel der besonderen Fähigkeit des Politstars auffliegen lassen. Wahrscheinlich steckte in der von Merkel verkündeten Persönlichkeitsspaltung der richtige Hinweis: Ein Fälscher in der Wissenschaft kann kein Aufrechter in der Politik sein. Wer keine Dissertation schreiben kann, kann auch keine Bundeswehrreform verfassen.

Was bleibt? Hoffentlich keine Rückkehr. Guttenberg hat recht: Es wird Zeit, dass wir uns nicht länger mit ihm beschäftigen. Zurück zu den wirklich wichtigen Themen. Und zu Politikern, die es können.


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