Schuldenbremse

Die Schuldenbremse (Investitionsbremse) war von der damaligen CDU/FDP-Regierung gewollt und ist mit einer 2/3 Mehrheit vom Parlament beschlossen worden. Schon zum damaligen Zeitpunkt musste aber erkennbar sein, dass sich damit die Umverteilung von unten nach oben beschleunigte, die seitdem nicht rückgängig gemacht worden ist. Lesen Sie die Kritik von Heribert Prantl, SZ.

Das Schönste an der Schuldenbremse ist das Wort Schuldenbremse. Das Wort klingt nach schwäbischer Hausfrau, es klingt sympathisch, es klingt nach verantwortungsvollem Handeln. Das Gegenteil ist richtig. Die Schuldenbremse aus dem Jahr 2009 gehört zum Unsinnigsten, was je ins Grundgesetz geschrieben wurde. Es war seinerzeit der von Populismus getriebene Versuch, eine gleichfalls vom Populismus getriebene Schuldenmacherei plakativ zu unterbinden. Was nun daraus geworden ist? Ein Desaster: Die Schuldenbremse verhindert bitter notwendige Investitionen, sie erschwert eine antizyklische Wirtschaftspolitik und sie bremst die Klimapolitik, statt sie anzutreiben. Das Bundesverfassungsgericht hat diesem Unsinn soeben mit seinem Schuldenbremsen-Urteil die Krone aufgesetzt. Das höchste Gericht hat die Schuldenbremse scharf gestellt, sie hat der Politik eine Vollbremsung verordnet.

Die Schuldenbremse darf keine Begründung sein dafür, dass das Elterngeld gekürzt wird und die geplante Kindergrundsicherung so mickrig ausfällt, dass sie diese Bezeichnung nicht mehr verdient. Es ist einfach nur traurig, wenn armen Kindern der Weg aus ihrem Erbgefängnis verstellt wird „wegen der Schuldenbremse“. Und es ist bitter, wenn der Pflegenotstand ein Pflegenotstand bleibt, weil „wegen der Schuldenbremse“ kein Geld für menschenwürdige Pflege da ist. Die Würde des Menschen ist unantastbar, nicht die Würde der schwarzen Null.

Aus Sinn wird Unsinn

Das Verfassungsgericht hat diese Bremse aber nun in einer Weise betätigt, die den Sinn der Schuldenbremse in Unsinn verwandelt: Das Gericht erschwert ökologische Konjunkturprogramme, die wichtig und unabdingbar sind, wenn es der Wirtschaft schlecht geht. Das Urteil ist also ein Anti-Klima- und ein Anti-Wirtschafts-Urteil. Das Urteil sabotiert auch Investitionen in Schulen und Kitas, es zerschlägt Förderprojekte für Kinder, für Familien und für alte Menschen. Es schadet also der Gesellschaft. Das Urteil fordert und fördert ein hirnloses Sparen. Das Bundesverfassungsgericht ist dafür da, die Verfassung zu schützen. Es ist aber nicht dafür da, die Verfassung der Menschen zu ruinieren.

Die Verfassungsartikel, mit denen die Schuldenbremse konstruiert wurde und die jetzt von Karlsruhe maßlos interpretiert wurden, heißen 91 c, 91 d, 104 b, 109, 109 a, 115 und 143 d. Sie sind lang und weitschweifig, unübersichtlich, detailversessen. Sie lesen sich nicht wie Grundregeln, sondern wie deren Ausführungsbestimmungen. Sie liegen in der vor 75 Jahren kurz und bündig formulierten Verfassung wie grammatische Monster. Sie sind qualliger Ausdruck dessen, dass die Parteien ihren Erfolg bei Grundgesetzänderungen daran messen, wie viele Details sie in die neuen Formulierungen hineinpressen können: So ist es beim neuen Europa-Artikel 23 aus dem Jahr 1992; so ist es beim neuen Asyl-Artikel 16 a, so ist es beim neuen Artikel 13, mit dem 1998 die Verletzlichkeit der Wohnung durch den großen Lauschangriff beschlossen wurde.

Diese unglaubliche Detailversessenheit zu beklagen, ist keine Frage bloß der Ästhetik. Der Staatsrechtler und ehemalige Verfassungsrichter Dieter Grimm hat schon vor langem festgestellt, dass die ausschweifenden Grundgesetzänderungen einen Verstoß gegen demokratische Spielregeln darstellen: Wer in das Grundgesetz Dinge schreibt, die eigentlich in einfache Gesetze oder sogar nur in deren Durchführungsbestimmungen gehören, der macht neuen politischen Mehrheiten das Leben schwer; diese müssen nämlich dann, wenn sie politisch etwas ändern wollen, die Verfassung ändern. Je mehr also durch die Verfassung festgeschrieben wird, umso schmaler ist der Raum für neue Mehrheitsentscheidungen. Das rächt sich nun bei der Schuldenbremse ganz bitterlich.

Anmerkungen

Die Verwendung der nicht benötigten Gelder für Coronaausgaben für Maßnahmen zu verwenden, ist sachlich geboten und keineswegs willkürlich. Die Inbrunst, mit der das Bundesverfassungsgericht die vorgesehenen Maßnahmen mit seiner Entscheidung verhindert hat, ist eine unerhörte Einmischung in die originären Aufgaben der Parlamente und schadet dem Wirtschaftsstandort Deutschland. Der Plural deswegen, weil die vorgesehene öffentliche  Investitionen z.B. in zukunftsorientierte Umweltmaßnahmen, aber auch Zuschüsse für die Ansiedlung von umweltbewussten Unternehmen sowohl auf Bundes- wie auf Länderebene, nicht mehr finanziert werden können.

Der Formalismus des Bundesverfassungsgerichts, der inhaltliche Gründe für die neue Verwendung der nicht erfolgten Corona-Ausgaben außer Acht läßt und damit künftige Mehrheitsentscheidungen der Parlamente verhindert, ist als Klatsche für die Ampelkoalition bewertet worden. Wenn diese Bewertung ernst gemeint ist, hat das Gericht parteipolitisch entschieden.

Das möchte ich mir nicht vorstellen.

Rolf Aschenbeck

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