Bundesverfassungsgericht

Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BferVG) vom 15. November 2023: Artikel 1 und Artikel 2 des Gesetzes über die Feststellung eines zweiten Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2021 (zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021) vom 18.Februar 2022 (Bundesgesetzblatt Teil I Seite 194) sind mit Artikel 109 Absatz 3, Artikel 110 Absatz 2 Satz 1 sowie Artikel 115 Absatz 2 unvereinbar und nichtig.

Art 109 

(3) Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Bund und Länder können Regelungen zur im Auf- und Abschwung symmetrischen Berücksichtigung der Auswirkungen einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung sowie eine Ausnahmeregelung für Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, vorsehen.1Für die Ausnahmeregelung ist eine entsprechende Tilgungsregelung vorzusehen. Die nähere Ausgestaltung regelt für den Haushalt des Bundes Artikel 115 mit der Maßgabe, dass Satz 1 entsprochen ist, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Die nähere Ausgestaltung für die Haushalte der Länder regeln diese im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Kompetenzen mit der Maßgabe, dass Satz 1 nur dann entsprochen ist, wenn keine Einnahmen aus Krediten zugelassen werden.

1ab hier entbehrlich, weil keine grundlegende Regelung des GG Stattdessen genügt folgender Satz:“Die weiteren Bestimmungen regelt ein Bundesgesetz.“

Art 110 

(2) Der Haushaltsplan wird für ein oder mehrere Rechnungsjahre, nach Jahren getrennt, vor2 Beginn des ersten Rechnungsjahres durch das Haushaltsgesetz festgestellt. Für Teile des Haushaltsplanes kann vorgesehen werden, daß sie für unterschiedliche Zeiträume, nach Rechnungsjahren getrennt, gelten.

2fettgedruckt von Redaktion. Dieser Artikel ist entbehrlich.

Art 115

(1) Die Aufnahme von Krediten sowie die Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Gewährleistungen, die zu Ausgaben in künftigen Rechnungsjahren führen können, bedürfen einer der Höhe nach bestimmten oder bestimmbaren Ermächtigung durch Bundesgesetz.

3(2) Einnahmen und Ausgaben sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. Diesem Grundsatz ist entsprochen, wenn die Einnahmen aus Krediten 0,35 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt nicht überschreiten. Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der nach den Sätzen 1 bis 3 zulässigen Kreditobergrenze werden auf einem Kontrollkonto erfasst; Belastungen, die den Schwellenwert von 1,5 vom Hundert im Verhältnis zum nominalen Bruttoinlandsprodukt überschreiten, sind konjunkturgerecht zurückzuführen. Näheres, insbesondere die Bereinigung der Einnahmen und Ausgaben um finanzielle Transaktionen und das Verfahren zur Berechnung der Obergrenze der jährlichen Nettokreditaufnahme unter Berücksichtigung der konjunkturellen Entwicklung auf der Grundlage eines Konjunkturbereinigungsverfahrens sowie die Kontrolle und den Ausgleich von Abweichungen der tatsächlichen Kreditaufnahme von der Regelgrenze, regelt ein Bundesgesetz. Im Falle von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. Der Beschluss ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden. Die Rückführung der nach Satz 6 aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.

3Absatz 2 entbehrlich, weil keine grundlegende Regelung des GG. Auch hier genügt der Satz: Die weiteren Bestimmungen regelt ein Bundesgesetz.“

Daraus ergibt sich:

Die Inhalte der im Urteil genannten Artikel des Grundgesetzes GG, nämlich die Artikel 109 und 115, enthalten die kritisierten ergänzenden Regelungen, die nicht Gegenstand der grundlegenden Artikel des GG sein können. Die Regelungen des Artikel 115 sind bis auf Absatz 1 entbehrlich, da mit dem Absatz 2 unzulässig in die Gestaltungshoheit der Legislative eingegriffen wird, die an sich befugt wäre, weitere Bestimmungen mit einem Bundesgesetz zu regeln. Deswegen stellt sich die Frage, ob dieser Absatz 2 überhaupt verfassungsgemäß ist. Wenn nicht, ist ein erheblicher Teil der Urteilsbegründung hinfällig, weil sich das BferVG mit seiner Begründung auf den Absatz 2 dieses Artikels stützt.

Wahrscheinlich verdanken wir diesen Absatz 2 wie auch anderer Regelungen der schier erdrückenden Anzahl von Juristen, die im Formalismus schwelgen und  Inhalte und Zusammenhänge dabei vergessen oder nicht erkennen.

Im Artikel 109 wird darauf verwiesen, dass Ausnahmeregelungen bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Notlagen vorgesehen sind, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen.  Diese Grundregel muss genügen mit der Folge, dass die folgenden drei Sätze ab „Für die Ausnahmeregelung …“ entbehrlich sind.

Im Urteil des BferVG wird auf Seite 17 auf der Grundlage von Artikel 109 GG auf die Begründung der CDU verwiesen, dass Corona (Covid 19) eine Naturkatastrophe gewesen ist, der Klimawandel hingegen nicht. Über diese unterschiedliche Bewertung kann man wirklich nur staunen:

Ein temporärer Ausnahmefall ist eine Naturkatastrophe, und der Klimawandel bzw. die schon begonnene Klimakatastrophe ist es nicht? Die Leugnung des Klimawandels als existentielle Gefährdung globalen Ausmaßes ist nicht zu akzeptieren. Genauso inakzeptabel wäre eine parteipolitische Bewertung, da sich der Eindruck aufdrängen kann, dass die Klagebegründung der CDU vom BferVG auch insoweit übernommen worden ist.

Wäre der Klimawandel als Naturkatastrophe bewertet worden, wäre es an sich kein Problem gewesen, die nicht benötigten 60 Mrd Euro für die Corona-Kosten dem Energie- und Klimafonds ohne Beanstandung zuzuführen. Allerdings stellt das BferVG in seinem Urteil auf Seite 36 fest, „Ob eine Naturkatastrophe oder außergewöhnliche Notstuation vorliegt, unterliegt vollumfänglich verfassungsrechtlicher Prüfung.“ Diese Feststellung verwundert, da staatliches Handeln selbstverständlich der rechtlichen Prüfung zugänglich ist, was die CDU mit ihrer Verfassungsklage gerade bewiesen hat.

Die Feststellung des BferVG scheint wohl darauf abzustellen, jedwede kreditfinanzierte Investition zugunsten einer umweltschonenden wirtschaftlichen Entwicklung ohne Überforderung der Bevölkerung als unzulässige Schulden unter Generalverdacht zu stellen.

 Im übrigen:

Wer wie die Bundes-CDU auf Fundamentalopposition setzt und den Anschein erweckt, sie mache sich das destruktive Verhalten der Republikaner in den USA zu eigen, ist nicht auf Gestaltung ausgerichtet, sondern auf Zerstörung. Der CDU geht es deswegen auch nicht um die Zukunft des Landes, weil sie da eine Leerstelle und auch sonst wenig zu bieten hat, sondern um ihre eigene Vorstellung einer Regierung als Agentur des Kapitals.

Wäre die CDU weniger schadenfroh über das von ihr angezettelte Finanzchaos, wäre sie kooperativ, hätte sie Vorschläge darüber machen können, wie dem Finanzloch von 60 Mrd Euro zu begegnen ist. Sie hätte z.B. vorschlagen können, die hohen umweltschädlichen Subventionen für die Großbauern zur Disposition zu stellen und stattdessen die Ökobauern in ihrer Marktposition zu stärken. Sie hätte sich konstruktiv verhalten können, z.B. mit folgenden Maßnahmen:

1.Wegfall der Energiesteuerbefreiung von Kerosin 8,4 Mrd
2. Wegfall Steuervergünstigung für Diesel 8.2 Mrd
3.Wegfall Mehrwertsteuerbefreiung bei internationalen Flügen 4,0 Mrd
4.Steuern für Superreiche, die exzessiv Klimaschäden verursachen
5.Einführung der Vermögenssteuer
6.Wegfall der Aktienrente 22,0 Euro

Insgesamt: Deutlich mehr als 60 Mrd. Euro pro Jahr

Rolf Aschenbeck

Lesen Sie auch die Kritik von Professor Dr. Heribert Prantl, Jurist und Kolumnist der SZ:

Prantl-zum-Bundesverfassugnsgerichtsurteil-Schuldenbremse

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