Glaubwürdigkeit der SPD

 

Es ist schon bemerkenswert, dass nach dem Wahldesaster der SPD  zum Bundestag sehr schnell personelle Wechsel an der Parteispitze erfolgen, Inhalte jedoch bis auf die umstrittene Anhebung der Altersgrenze vom 65.auf das 67.Lebensjahr nicht thematisiert werden.

Dabei hätte die Partei allen Grund, sich zu fragen, warum sie es mit dem vermeintlichen Anspruch der Modernisierung (Steinmeier: „Wir haben den Muff der Kohl-Jahre weggepustet.“) seit 1998 geschafft hat, 10 Millionen Wähler zu verlieren. Haben diese Wähler die Modernisierung nicht verstanden oder ist es nicht vielmehr so, dass gegen deren Interessen gehandelt worden ist? Insbesondere im Bereich der Sozialpolitik sind Regelungen geschaffen worden, die insgesamt die Mehrheit der Bevölkerung zum Teil unzumutbar belasten und die Kernkompetenz der SPD nachhaltig beschädigt haben.

Zur Erinnerung nur einige der schädlichen Regelungen:

Arbeitslosengeld

Bis zum Jahr 2004 gab es die Unterscheidung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe. Beide Leistungen bezogen sich in der Höhe auf das vor der Arbeitslosigkeit bezogene Entgelt und hatten deswegen Lohnersatzfunktion, wenn auch im Prozentsatz unzureichend (60% bzw. 53% des pauschalierten Nettoentgelts). Das Arbeitslosengeld wurde maximal 32 Monate gezahlt und danach Arbeitslosenhilfe. Seit 2005 hat nur noch das Arbeitslosengeld Lohnersatzfunktion. Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe wurden zum Arbeitslosengeld II auf dem Niveau der Sozialhilfe zusammengelegt. Arbeitslosengeld wird im Regelfall nur noch 12 Monate gezahlt, und zwar unabhängig von der vorherigen Beschäftigungsdauer. Danach erfolgt der Absturz in die Sozialhilfe. Eine Zumutung.

 

Sonderbeitrag von 0,9% zur Krankenversicherung

Seit Juli 2005 muss dieser Sonderbeitrag ausschließlich von den Versicherten gezahlt werden. Die paritätische Finanzierung, also die hälftige Zahlung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, ist damit auch in der Krankenversicherung nicht mehr existent. Der Versuch der SPD, diesen Sonderbeitrag zu streichen, endete bekanntlich mit der Absenkung des einheitlichen Beitragssatzes zur Krankenversicherung von 15,5% auf 14,9% und der vollständigen Beibehaltung des Sonderbeitrags.

 

Zahlung des vollen Beitrags zur Krankenversicherung bei Betriebsrenten

Bis 2003 hatte der Bezieher einer Betriebsrente wie bei der gesetzlichen Rente die Hälfte des Beitrags zur Krankenversicherung zu zahlen, die andere Hälfte die Zahlstelle der Betriebsrente. Diese Zahlstelle kann eine Ruhegehaltskasse oder eine Pensionskasse sein, oder aber der bisherige Arbeitgeber, der dafür dann Rückstellungen gebildet haben sollte. Seit 2004 wird der Betriebsrentner mit der vollen Zahlung belastet, während die Arbeitgeber, und um die ging es, entlastet werden. Vertrauensschutz? Fehlanzeige. Vertrauensschutz hätte bedeutet, dass zumindest die rentennahen Jahrgänge nicht zusätzlich belastet worden wären, da der damit verbundene  Einkommensverlust durch private Vorsorge wegen Zeitmangels nicht mehr ausgeglichen werden kann.

 

Beitragszahlung für Einmalzahlungen aus Direktversicherungen

Viele Arbeitnehmer haben in der Vergangenheit mit ihrem Arbeitgeber eine Direktversicherung vereinbart und konnten sich nach den Bedingungen zum Zeitpunkt der Vereinbarung darauf  verlassen, später eine Einmalzahlung zu erhalten, die nicht mit Beiträgen zur Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung belastet wird. Dass hat sich gründlich geändert. Wer das Pech hatte und noch hat, die Einmalzahlung erst nach der gesetzlichen Änderung zu erhalten, muss seit 2004 mit Begründung zusätzlich zahlen, bei der Einmalzahlung aus der Direktversicherung handele es sich um eine mit der Betriebsrente vergleichbare Versorgung. Wer z.B eine Zahlung von 20.000 Euro erhält, muss derzeit allein an die Krankenkasse einen Betrag von 2980 Euro zahlen. Wer einen solchen Betrag nicht sofort zahlen kann, was im Regelfall zu unterstellen ist, zahlt monatlich zehn Jahre lang 24,83 Euro. Hätten die Arbeitnehmer das bei Vertragsabschluss gewusst, hätten sie mehrheitlich wohl kaum das Weihnachtsgeld geopfert, weil sich ein solcher Vertrag nicht mehr gerechnet hätte. Die Tatsache, dass diese Änderung rückwirkend erfolgt ist, also in bestehende Verträge eingegriffen wurde, ist unerträglich und nicht hinzunehmen.

 

Wegfall der Schulausbildung als Anrechnungszeit

Bei den Ausbildungszeiten wird die Hochschulausbildung aus Kostengründen nicht mehr rentensteigernd angerechnet und die Schulausbildung bei Rentenzugängen bis 2004 ab dem 17.Lebensjahr für drei Jahre. Das vermeintliche Ziel war, die schulische Bildung mit der beruflichen Bildung gleichzustellen, also ebenfalls lediglich für drei Jahre rentensteigernd zu berücksichtigen. Diese Gleichstellung, die tatsächlich zu weiteren verminderten Rentenausgaben führen sollte und geführt hat,  schien Bestand zu haben, zumal sie erst 2002 mit dem AVmEG(Altersvermögensergänzungsgesetz) bestätigt wurde. Die Schulausbildung  wurde mit 75% des Durchschnittsentgelts bewertet. Im Vergleich zum individuellen Verdienst fand damit eine Minderbewertung statt, während die berufliche Ausbildung höher bewertet wurde und wird. Ab 2005 wurde die Bewertung der Schulausbildung rückwirkend verringert und gilt für Rentenzugänge ab 2009 überhaupt nicht mehr. Aus einer behaupteten Gleichstellung ist eine Benachteiligung geworden.

 

Anhebung der Altersgrenze

Das Rentenzugangsalter ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt derzeit bei etwas über 63 Jahren. Arbeitnehmer gehen also mit rund 63 Jahren in Rente. Der Rentenzugang liegt aber immer noch deutlich unter dem 65.Lebensjahr. Warum dann die schrittweise Heraufsetzung vom 65. auf das 67.Lebensjahr, die die SPD in der großen Koalition mitgetragen hat? Weil der spätere Rentenzugang zu höheren Rentenansprüchen und niedrigeren versicherungsmathematischen Abschlägen führt und allein deswegen zu höheren Rentenausgaben. Diese Rentenausgaben sollen jedoch begrenzt werden, was mit einer Heraufsetzung der Altersgrenze hervorragend gelingt, weil dann höhere versicherungsmathematische Abschläge und damit höhere Rentenkürzungen möglich werden.

Die weitgehende Beibehaltung des im Erwerbsleben erreichten Lebensstandards ist offensichtlich nicht mehr gewollt.

 

Fazit

Die aufgelisteten Beispiele belegen bereits, dass die SPD auf Bundesebene ihre Kernkompetenz in der Sozialpolitik verloren hat, weil sie nachhaltig beschädigt ist.  Sie hat aber auch ihre Glaubwürdigkeit verloren, weil sie mit diesen Regelungen nicht mehr für soziale Gerechtigkeit und sozialen Ausgleich steht, sondern Klientelpartei für privilegierte Gruppen der Gesellschaft geworden ist. Um Glaubwürdigkeit wieder zu erreichen, und das wird schwer genug, muss die SPD wieder die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung wahrnehmen. Die Mitte, auf die es bei einer Volkspartei ankommt, ist nämlich da, wo sich die Mehrheit befindet; und das sind nicht Banker und Manager.  Das bedeutet auch, dass sich die Partei inhaltlich erneuern muss.  Sie muss ferner wieder mehr innerparteiliche Demokratie zulassen.  Die Willensbildung erfolgt nämlich von unten nach oben und nicht umgekehrt.

 

Wenn die SPD bei einer solchen inhaltlichen Runderneuerung wieder klare Positionen im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung vertritt, ist sie auch mehrheitsfähig und muss nicht nach links schielen, weil es darauf auch nicht ankommt.  Dann schrumpft die Linkspartei als möglicher Koalitionspartner, die erst durch Schröders „Neue Mitte“ erstarken konnte.

Rolf D.Aschenbeck

Lesen Sie dazu auch den folgenden Kommentar von Klaus Staeck, entnommen der FR.

 Aus dem Tal der Tränen

Nun haben wir den schwarz-gelben Salat. Eine Mehrheit wollte es so. Nun muss sie mit den selbst gewählten Folgen leben. Das Wunschpaar von Börse, Banken und Unternehmerverbänden hat die Wahl klar gewonnen. Ausgerechnet die Mitverursacher der gefährlichsten Krise wurden mit Wahlboni überreich beschenkt. Das mag den einen oder anderen wackeren Demokraten zwar schier zur Verzweiflung bringen. Aber jede Krise produziert nun einmal auch ihre Profiteure. Dieser Freundeskreis „Nehmt, was ihr kriegen könnt“ pendelt inzwischen um die fünfzehn Prozent. Solange sich der tumbe opferbereite Steuerzahler willig als verlässliche Melkkuh für das Versagen anderer missbrauchen lässt, ist das neoliberale Ideologiemodell für eine bestimmte Klientel durchaus attraktiv und zukunftsfähig. Wer bereitwillig die Suppe auslöffelt, die andere versalzen haben, hat jedes Mitgefühl verwirkt.

Gönnen wir den Siegern den überschäumenden Jubel des Wahlabends. Das Echo ihrer Versprechungen wird sie bald einholen. Werden die Neukoalitionäre doch schnell merken, dass sie nun ohne Puffer dastehen. Da ist kein sozialdemokratischer Juniorpartner mehr bei der Hand, der unangenehme Entscheidungen in seiner Anhängerschaft „sozialverträglich“ masochistisch bis zur Selbstverleugnung abfedert. Ab jetzt sind es die neuen Partner, die auf dem wachsenden Schuldenberg hocken.

Ob sie es nun wollten oder nicht, für die Sozis wurde das Leiden an der großen Koalition zu einem Ende mit Schrecken. Wenigstens darüber könnte man sich freuen. Keine faulen Kompromisse mehr. Der zu besichtigende eigene Scherbenhaufen ist beachtlich. Da hat sich allerdings in den elf Regierungsjahren – die meisten davon Schröder-Jahre – vieles angesammelt.

Wenn es denn ein Trost ist: Die Niederlage der SPD ist zu einem großen Teil hausgemacht. Es ist jedenfalls das Ende des Prinzips WEITER SO, sollte sie nicht von allen linken Geistern verlassen sein. Wer dem sich seit Jahren beschleunigenden Mitglieder- und Wählerschwund weiter rat- und tatenlos zusieht, sollte das Handtuch werfen. Nicht nur an die zwei Millionen potenzielle Wähler im Wartestand erwarten ein überzeugendes politisches Angebot. Das neue Grundsatzprogramm ist dabei eine verlässliche Basis.

Schön wäre es auch, wenn künftig das Führungspersonal sorgfältiger ausgewählt würde. Schließlich sind der Clement, der nun die FDP empfiehlt, und die vier hessischen Figuren nur die Spitze des Eisbergs. Oder was soll man von einer Partei halten, der ein leibhaftiger Vorsitzender davonläuft, um mit einer Konkurrenztruppe einen Rachefeldzug gegen seinen alten Heimatverein zu führen. Die Liste ließe sich beliebig verlängern.

Die meisten Medien werden bei der Erneuerung – allen Krokodilstränen zum Trotz – keine Hilfe leisten. Im Gegenteil. War doch ihr Wunschpartner, und nicht nur der des Springerkonzerns, schon vor vier Jahren Frau Merkel. Jetzt werden sie mehr denn je virtuell und real mitregieren und lustvoll auf der daniederliegenden Sozialdemokratie herum trampeln.

So wie die Lage nun einmal ist, das jetzt beschworene Modell „Mehr Sozialdemokratie wagen“ bleibt das derzeit überzeugendste Angebot an die möglichen Rückkehrer aus den verschiedensten Richtungen. Diese Politik könnte jedenfalls einen Ausweg aus dem Tal der Tränen weisen.


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