Vorwärts in die Vergangenheit

So schnell geht das also. Die Atomindustrie feiert bereits die Energiewende und die Aktionäre freuen sich, obwohl die künftige Bundesregierung noch nicht existent ist. Dieses Milliardengeschenk ist offensichtlich längst vor der Wahl abgesprochen und erkauft worden. Wieviel Kumpanei will die Bevölkerung eigentlich noch zu Lasten ihrer Zukunft ertragen?

Börse feiert schwarz-gelbe Energiewende vorab
Von Olaf Preuß 29. September 2009, Hamburger Abendblatt

Während die Kurse der Stromkonzerne von der Aussicht auf eine neue Regierung profitieren, geraten Solarenergie-Aktien unter Druck.

Es war das Prestigeprojekt der ersten rot-grünen Bundesregierung, die von 1998 bis 2002 amtierte. Nun wird der Atomausstieg, die Abschaltung aller deutschen Atomkraftwerke bis um das Jahr 2022 herum, von der künftigen Koalition aus Union und FDP voraussichtlich wieder zurückgenommen. Bei keinem anderen politischen Thema herrscht schon seit Jahren ein so klares Einvernehmen zwischen den Wahlsiegern vom Sonntag wie bei diesem.

„Wir brauchen die Kernenergie als Brückentechnologie, um Preise stabil zu halten und um unsere Klimaschutzziele erfüllen zu können“, sagte Katherina Reiche, Mitglied im CDU-Bundesvorstand, im ARD-„Morgenmagazin“. „Wir wollen auf eine Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke hinarbeiten.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hielt sich gestern dagegen noch bedeckt: „Jetzt schauen wir mal, was wir daraus machen.“

Wird der Atomausstieg tatsächlich gekippt, bedeutet das für die Energiewirtschaft in Deutschland eine tiefe Zäsur. Fraglich ist vor allem, welche Auswirkungen längere Reaktorlaufzeiten auf den Ausbau der erneuerbaren Energien hätten – aber auch auf Projekte für neue Kohlekraftwerke.

Projekte auf dem Prüfstand

„Eine Verlängerung der Laufzeiten hätte einen erheblichen Vorteil, denn dann muss der Energiemix in Deutschland heute nicht wie in Beton gegossen festgelegt werden“, sagte der Energiemarkt-Analyst Stephan Wulf von der Bank Sal. Oppenheim dem Abendblatt. „Wenn der Atomausstieg rückgängig gemacht wird, ändert sich natürlich die Situation für neue Kohlekraftwerkprojekte.“

Er rechne damit, dass bereits laufende Bauvorhaben fortgesetzt werden, weitere Projekte aber auf den Prüfstand kommen. „Bauprojekte wie das Vattenfall-Kraftwerk Moorburg werden sicher nicht gestoppt. Dort wurde schon zu viel investiert.“

Die Atomkraftwerke bringen den vier Betreibern in Deutschland – E.on, RWE, EnBW und Vattenfall Europe – nach Branchenschätzungen jährlich fünf bis sechs Milliarden Euro Gewinn. Allerdings rechnen Marktbeobachter damit, dass die Stromunternehmen für längere Laufzeiten Zugeständnisse machen müssen, etwa durch höhere Investitionen in erneuerbare Energien oder für eine vertiefte Energietechnik-Forschung.

E.on, RWE und EnBW legen zu

Die Aktien der börsennotierten Unternehmen E.on, RWE und EnBW stiegen gestern als Reaktion auf die Bundestagswahl. Solar- und Windtechnik-Hersteller wie Q-Cells oder Repower-Systems gaben hingegen nach. Darin zeigt sich die Erwartung, dass die Förderung der erneuerbaren Energien durch gesetzlich geregelte Einspeisevergütungen (EEG) für Ökostrom gekürzt werden könnte.

Das wiederum könnte Großprojekte wie Offshore-Windparks auf See oder Solarparks negativ beeinflussen: „Ich halte es für denkbar, dass das EEG-Gesetz insgesamt nach 2010 komplett zur Disposition steht und durch andere Instrumente ersetzt wird“, so Analyst Wulf. „Auch eine schwarz-rote Regierung hätte das EEG reformieren müssen, wäre sie im Amt geblieben.“

Die Stromwirtschaft drängte die künftigen Regierungsparteien gestern, ihre Aussagen zugunsten der Atomkraft umzusetzen. „RWE vertraut darauf, dass die Union und die FDP ihre Wahlversprechen einhalten und die Weichen für Laufzeitverlängerungen von Kernkraftwerken stellen“, sagte Konzernchef Jürgen Großmann. „Wir sind gesprächsbereit“, hieß es beim Stromkonzern EnBW zu Verhandlungen über Laufzeitverlängerungen. Der Lobbyverband Deutsches Atomforum sieht mit einer schwarz-gelben Koalition die Chance für „Energiepolitik aus einem Guss: Dazu gehört ein breiter Energiemix unter Einschluss der Kernenergie“, teilte das Atomforum gestern mit. „Es muss jetzt auch darum gehen, endlich die Querelen um die Endlagerung zu beenden und zu einer nachhaltigen Lösung zu kommen.“

Die Branche der Öko-Energien gibt sich bislang noch gelassen. „Solange des Energie-Einspeisegesetz besteht, herrscht Investitionssicherheit und damit keine Gefahr auch für Großprojekte wie Offshore-Windparks“, sagte Daniel Kluge vom Bundesverband erneuerbare Energie dem Abendblatt. „Der Sinn und Nutzen der erneuerbaren Energien ist mittlerweile in allen Bundestagsfraktionen bewusst und in deren Programmen fest verankert.“

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