Armenlotto

Armenlotto(!) wie in den USA gibt es in Deutschland noch nicht. Allerdings gibt es die Tafeln und weitere ehrenamtlich betriebene Anlaufstellen, die Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände bereitstellen, die sonst nicht bezahlt werden könnten. Sie sind bisher eine Ergänzung, also kein Ersatz für sozialstaatliche Hilfestellung.

Iowa City, eine Stadt im Mittleren Westen der USA: 18 Prozent der Menschen sind hier ohne Arbeit, viele sind auf Hilfe angewiesen. Der Andrang im Krisenzentrum von Iowa City ist inzwischen so groß, dass man ein „Armenlotto“ einrichten musste. Ziehung jeden Montag. Nur wer das richtige Los zieht, bekommt Hilfe. Von Klaus Scherer, ARD-Studio Washington

„Was wachsen soll, braucht Wasser – nicht zu wenig und nicht zu viel“, sagt Liz mit Blick auf ihre Peperoni- und Avocado-Pflänzchen. „Im Sommer können wir das Gemüse essen und hoffentlich etwas davon an die Nachbarn verkaufen, dann bringt es uns ein bisschen Geld.“ Liz lebt in einer Wohnwagensiedlung nahe der Stadt Iowa City im Mittleren Westen der USA. Hier leben Familien, deren Einkommen für etwas besseres nicht reicht – wenn es überhaupt reicht. Liz spricht Spanisch, übersetzt stundenweise an Schulen der Umgebung. Sie hat drei Kinder, 25.000 Dollar Schulden vom Studium und eine Wasserrechnung, die sie nicht bezahlen kann.

Almosen statt Arbeit

Im Krisenzentrum von Iowa City erwartet man viele wie Liz. Die Arbeitslosenrate liegt bei 18 Prozent, was nicht untypisch ist nach der Krise. Die US-Wirtschaft erholt sich, der Arbeitsmarkt nicht. „Bis mittags haben wir alle Tüten zurechtgepackt“, sagt Lori Farrell, die als Helferin in dem Zentrum arbeitet. „Auch Käse, Milch und Joghurt stellen wir bereit, deren Haltbarkeitsdaten ablaufen.“ Das Zentrum lebt von Spenden – von der Kirche, von Stiftungen, von Mitbürgern. Lange reichte das, nun reicht es nicht mehr. Die neuen Bedürftigen, die draußen wie Liz warten, hatten Stundenjobs, die gekürzt wurden. Oder sie hatten feste Arbeit, die zum Stundenjob wurde

Früher übernahm man hier auch schon mal Strom- oder Wasser-Rechnungen. Weil der Bedarf stieg, entschieden sich die Helfer nun für ein Losverfahren, Gewinner erhalten hundert Dollar Zuschuss. Die Ziehung ist jeden Montag – eine Art „Armenlotto“. „Die Leute sind immer früher gekommen, um in der Schlange möglichst vorne zu stehen“, sagt Beth Ruback, die Chefin des Krisenzentrums. „Das war bald auch für uns schwer zu handhaben. Also sagten wir, immer um elf Uhr geht der Los-Korb herum. Und jeder hat die gleiche Chance.“

 

Dann geht die Ziehung los, Beth Ruback sammelt die Namen ein. „Ihr müsst eine überfällige Rechnung dabei haben, um teilzunehmen“, erklärt sie den Wartenden. Wer einmal gewinnt, muss zwei Monate aussetzen. Bei der einen ist die Stromrechnung das Problem, beim anderen sind es die Zinsen für einen Kredit. Das sei schon komisch, sagen alle hier, denn nach einem Lotto-Gewinn ist man auch in Amerika normalerweise Millionär.

Zwölf Uhr mittags, die Lebensmittelausgabe öffnet. Ohne Essensration wird hier keiner weggeschickt. Liz denkt an ihre Schulden, an die Wasserrechnung, an ihre Verantwortung für die Kinder. „Essen ist da fast schon nachrangig“, meint sie. Klar brauche man Essen, aber alles andere sei ebenso nötig. „Ich bin heute vor allem hier, weil sie mir angedroht haben, das Wasser abzustellen. Wie soll ich ohne Wasser die Kinder waschen? Und was heißt das dann, wenn ich mich nicht mehr angemessen um die Kinder kümmern kann? Das kann neue Probleme geben“, sagt sie den Tränen nahe. „Das macht mir Angst.“

Drei Jobs und doch nicht genug Geld.

Angst, die viele haben. Ob ohne Arbeit – oder gar, obwohl sie mehr arbeiten als andere. „Mein Mann hat drei Jobs: Einen tagsüber bei einem Autohändler, am Wochenende legt er Musik auf in ein paar Bars der Innenstadt und er arbeitet Nachtschichten in einem Supermarkt“, sagt eine Frau, die an der Lebensmittelausgabe steht. Sie selbst sei Möbelhändlerin, aber sie bekomme kein Gehalt, sondern fünf Prozent Provision. „Und die Verkaufszahlen sind ziemlich unten.

Dann ist ausgelost. „Wir können 16 Leuten helfen“, ruft die Lottofee. Liz ist nicht darunter. Aber man verspricht ihr, die Wasserwerke anzurufen, um wenigstens die Frist zu verlängern. „Wir würden liebend gerne allen helfen, die es nötig haben, aber dafür reicht es nicht mehr“, sagt Beth Ruback vom Krisenzentrum. Liz geht dennoch zuversichtlich. Sie bekomme bald wieder ein wenig Geld für Übersetzungen, sagt sie. Und Millionen ihrer Landsleute leben ähnlich von Woche zu Woche, nachdem die Krise Millionen um den Job gebracht hat. Zunehnehmende Armut in Deutschland:

 

Zwölf Millionen in Deutschland von Armut bedroht

Würde der Staat nicht mit Sozialleistungen eingreifen, wäre fast jeder vierte in Deutschland “armutsgefährdet”.
Rund zwölf Millionen Menschen in Deutschland (knapp 15 Prozent) waren 2009 von Armut bedroht, beinahe jeder siebte Bundesbürger. Das zeigen die Zahlen des Bundesamtes für Statistik, die heute veröffentlicht werden. Würde der Staat nicht mit Sozialleistungen eingreifen, wäre fast jeder vierte “armutsgefährdet” …
Freilich arbeiten die Statistiker mit einer rechnerisch exakten Defintion der Armutsgefährdung: die Europäische Union definiert Menschen als armutsgefährdet, “die mit weniger als 60% des mittleren Einkommens (Median) der Bevölkerung auskommen müssen”. In genauen Zahlen heißt das für Deutschland im Jahr 2009 im Bundesdurchschnitt: weniger als 801 Euro für einen Ein-Personen-Haushalt und weniger als 1 683 Euro für einen Vier-Personen-Haushalt mit Kindern unter 14 Jahren.
Doch sind die Durchschnittswerte des mittleren Einkommens für einzelne Regionen in Deutschland sehr unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern wird der Schwellenwert für Armut bei einer vierköpfigen Familie mit 1 422 Euro angegeben und in Baden-Württemberg mit 1 830. Die regionalen Unterschiede spiegeln sich auch in der Zahl der Armutsgefährdeten. So ist in Mecklenburg-Vorpommern beinahe jeder Fünfte von Armut bedroht (23 Prozent), in Baden-Württemberg nur ungefähr jeder neunte (11 Prozent). Das gilt auch für das andere reiche Bundesland im Süden, Bayern.

Insgesamt bestätigen die neuen Zahlen des Bundesamtes für Statistik den altbekannten, deutlichen Ost-West-Unterschied: “Hatten in den neuen Ländern (einschließlich Berlin) knapp 20% der Bevölkerung ein erhöhtes Armutsrisiko, waren im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) 13% der Menschen armutsgefährdet.”
Quelle 1: Telepolis
Quelle 2: Statistisches Bundesamt




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