Profitgier

Berthold Huber, Vorsitzender der IG-Metall, über die fehlende Aufarbeitung der Wirtschaftskrise, die Ohnmacht der Konsumenten und seine Idee einer sozialen marktwirtschaftlichen Demokratisierung.

Interview von Richard Rother und Ulrich Schulte, taz, in einer gekürzten Wiedergabe.


taz: Herr Huber, am 1. Mai, am Tag der Arbeit, gehen Gewerkschafter traditionell auf die Straße. Ist das nicht ein überholtes Ritual?

Berthold Huber: An diesem Tag zu demonstrieren ist unverändert wichtig. Es ist ein Tag für die Würde der Arbeit, für die Würde der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen. Sie sind nicht nur dafür da, Produkte in die Welt zu setzen, sondern müssen auch als gleichberechtigte Menschen akzeptiert werden.

Hat die deutsche Gesellschaft die richtigen Lehren aus der Krise gezogen?

Nicht im Geringsten. Bisher fehlt eine fundierte Analyse dieser Krise, die nicht nur eine einfache Konjunkturkrise ist, sondern eine tiefe Strukturkrise. Der marktradikale Kapitalismus hat eine Führungsschicht hervorgebracht, die durch Gier nach höchsten Renditen und Verantwortungslosigkeit gekennzeichnet ist. Spaltung und sozialer Zerfall der Gesellschaft sind die Folgen. Wir brauchen eine schonungslose Aufarbeitung, wie es zu diesem Desaster kommen konnte. Notwendig ist ein echter Kurswechsel, sonst ist die nächste Krise programmiert.

Sie fordern eine Wahrheitskommission zur Krisenaufarbeitung. Wie soll die aussehen?

Es gibt doch Akteure, die das System aus Spekulation und Rücksichtslosigkeit organisiert haben und damit diese Krise heraufbeschworen haben. In den USA gibt es eine Debatte im Senat und in der Öffentlichkeit, etwa über die Rolle der Banken. In Deutschland hingegen fehlt diese Kultur der offenen Aufarbeitung. Bei uns werden die Banken geschont. Niemand will für das Bankendesaster verantwortlich gewesen sein.

Waren vor allem überzogene Renditeerwartungen die Ursache der Krise?

Ja, das ist einer der wichtigsten Gründe. Wir sind mit horrenden Renditeforderungen konfrontiert worden, zum Beispiel im Maschinenbau, wo jeder weiß, dass zweistellige Renditen unrealistisch sind.

Was sind andere Gründe?

Spätestens ab 1990, mit dem Ende der Ost-West-Teilung, ist der weitgehende Konsens in Politik und Gesellschaft, dass es den Leuten einigermaßen gut gehen soll, gebrochen worden. An dessen Stelle ist die Gier nach unbegrenzter Profitmaximierung getreten. Es hat sich das Dogma durchgesetzt, die Wirtschaft bliebe am besten sich selbst überlassen. Der Staat hat sich immer weiter zurückgezogen. Immer mehr öffentliche Bereiche sind der Renditelogik unterworfen worden. Parteien und Politik haben versagt, weil sie nicht gegengesteuert haben.

Sie fordern jetzt eine „geistig-moralische Wende“ hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft. Wie soll das gehen?

Ich maße mir nicht an, auf alle Fragen eine Antwort zu haben. Aber man muss doch eine Vorstellung von der Zukunft der Gesellschaft entwickeln.

Welche haben Sie?

Zum Beispiel die: Es geht nie ohne die Beteiligung der Menschen. Die alte Form der Ökonomie, dass jemand bestimmt, etwa der Vorstand, und die anderen dann die Befehle zu befolgen haben, funktioniert nicht mehr. Es braucht eine neue Form der Mitsprache und Mitbestimmung. Deswegen brauchen wir eine Erweiterung der Mitbestimmungsregeln.

Reicht das?

Wir müssen auch das Aktienrecht reformieren. Bislang sind Vorstand und Aufsichtsrat der großen Aktiengesellschaften lediglich verpflichtet, im Sinne der Aktionäre zu handeln. Sie müssen sich aber den Beschäftigten und dem Allgemeinwohl gegenüber verantworten. Die Aktionäre leben schließlich auch von der Gesellschaft.

Die Regierung plant eine Sonderabgabe für Banken. Ein gelungenes Beispiel für staatliche Regulierung?

Diese Bankenabgabe soll etwas mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr bringen. Wir haben aber schon mindestens 147 Milliarden Euro öffentliches Geld direkt und indirekt für die Sicherung des Finanzmarktes in die Hand genommen – also brauchen wir 147 Jahre bis zum Ausgleich. Das ist doch Wahnsinn! Im Übrigen gibt es unter den G-20-Staaten dazu nur blumige Worte, aber keine Taten.

Wenn der Staat versagt, können es die Verbraucher dann über einen bewussteren Konsum richten?

Die Einkaufsentscheidungen von Privatpersonen allein reichen nicht. Viele können sich den Kauf ökologischer und fairer Produkte ja gar nicht leisten. Aber natürlich, es gibt auch eine persönliche Verantwortung.

Müssen die Gewerkschaften das Thema Konsumenten offensiver erklären?

Ja, das müssen sie. In meinen Augen ist das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Unsicherheit und Instabilität, deshalb müssen Gewerkschaften für stabile Verhältnisse kämpfen. Ich fordere: Die neoliberale Marktwirtschaft muss durch eine soziale marktwirtschaftliche Demokratie ersetzt werden. Im Unterschied beispielsweise zur Linkspartei ist nicht die Eigentumsfrage entscheidend, sondern die Frage der Mitbestimmung und umfassenden Mitsprache. Das heißt aber auch: Die Gewerkschaften müssen sich viel mehr als bisher den Fragen zuwenden: Wie und was wird produziert? Und wie wird konsumiert?

 

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