Spracharmut statt Streitkultur

Was bisher als Meinungsstreit, als Auseinandersetzung um der Sache willen, als Konftontation, also mals Streitkultur notwendig war mund ist, soll nunmehr in die „achtsame Sprache“ verpackt werden. Lesen Sie den gekürzten und redaktionell geänderten Beitrag von Hilmar Klute, fer SZ entnommen.

Im „Leitfaden für wertschätzende Kommunikation der Stadt Köln“ 1 wird nivht nur ausgiebig und unnötig gegendert, sondern es gibt auch Praxistips für eine achtsame Sprache. So finden siich z.B. Empfehlungen wie „Verhindern Sie Rollenklischees und Stereotype wie beispielsweise Mutter-Kind-Parkplatz sowie Sprachbilder wie ‚Not am Mann‘ oder ‚Milchmädchenrechnung“

Es folgen als Vorschläge verkleidete Anordnungen zur inklusiven Sprache, die nicht einmal mehr generische Maskulina, und eigentlich auch keine Feminina mehr zulassen. Ein weiteres Kapitel gibt Handrei­chungen im Umgang mit Behinderten, zum Beispiel, dass man blinden Menschen bitte nicht schreiben sollte: „In der Anlage sehen Sie“, sondern: „In der Anlage finden Sie“. Eine Anregung, auf die man ohne Ratgeber womöglich von selbst gekommen wäre.

 Konsenssprache statt Streitkultur

Interessant ist dabei das Vorwort der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker über die Funktion der Sprache, die Reker wie folgt begreift: „Mit ihr beschreiben wir Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Menschen!‘ Da sieh mal  einer an. Und tun wir das also mit einer Sprache, die niemanden ausschließt und keine Unterschiede zwischen Geschlechtern und Grup­pen zulassen will? Und sind wir, die Frage geht in die Runde, wirklich alle zu jeder Zeit so zärt­lich, dass wir stets alle Menschen gleich wertschätzen und liebhaben und also nie jemanden verlet­zen wollen? Ja?

Mit der achtsamen oder wertschätzenden Sprache ist eine Konsenssprache hergestellt worden, lustigerweise in einem Land, das vom Konsens so weit entfernt ist wie selten zuvor. Nur zur Auffrischung: Wer als Zaungast in die sozialen Medien schaut, blickt mitunter auf eine Art Kom­munikationsschlachthof, nur die soziopathologische Auffälligkeit etwa auf Twitter wird ja täg­lich wirklich belohnt, der Rest labert hier ohne jede nennenswerte Resonanz. Wäre genau hier und jetzt nicht also die herzliche und dabei direkte Rede gefragt, also eigentliches Sprechen und empathisches Bescheidsagen? Frei nach Wolf Biermann: „Eins in die Fresse, mein Herzblatt“?

Es gehört derweil aber zum Markenkern der achtsamen Sprache, immer wieder neue Angebote zu unterbreiten, bei denen die robuste Wahrheit als ihr gespiegeltes Gegenteil auftritt. Ein Bei­spiel: Einer sagt, ich würde heute gerne mit dir ein Bier trinken gehen. Der andere antwortet: Du, ich gehe lieber mit Bernd Bier trinken. Früher fiel die Antwort auf solche Frechheiten ent­ sprechend frech aus. Etwa: „Dann geh halt mit Bernd, du Sack!“ I

n letzter Zeit ist eine Wendung populär geworden, in welche die Lüge liebreizend eingepreist ist. Sie lautet: „Das kann ich ver­stehen!‘ Wie bitte? Du kannst verstehen, dass dir der andere ins Gesicht sagt, du sollst dich zum Teufel scheren? So geht achtsames Reden. Das kann ich verstehen ist das neue Fuck you. Und in Konferenzen ist “Wir nehmen das mal mit“ die neue „Scheißidee“.

 Streit ist notwendig

Das Schlimme an der achtsamen Sprache ist die Unredlichkeit, die ihr innewohnt, und die nichts zu tun hat zum Beispiel mit der guten alten Höflichkeit. Sie ist wie ein falscher Filmuntertitel. Im Leben können und sollten wir nicht immer achtsam sein. Wir wollen uns streiten und nicht hier und da einen kleinen Einwand machen. Es ist kein Vergehen, sondern hin und wieder sogar wünschenswert, andere im Streit mit Worten zu verletzen.

Wer davon redet, dass man bei jedem Argument, das man gegen jemanden vorbringe, die Begleitumstände des anderen in vollem Ausmaß zu kennen und zu berücksichtigen habe, benutzt Achtsamkeit selbst als sprachliche Handfeuerwaffe. Warum muss ich zuerst prüfen, ob jemand meinen Zorn verpacken kann, wenn ich wütend auf ihn bin? Weshalb soll es geboten sein, die Kritik an einem Künstler darauf auszurichten, ob er nach allen Seiten hin fit ist für unsere Ein­wände? Seit wann ist das so? Gilt das nur für besonders sensible Künstler – oder auch für Trump oder Orbän? (nein, es sind doch nicht alle Menschen gleich?) Und warum sollte es eigentlich richtig sein, dass sich jeder gut behandelt, aufs Beste verstanden und akzeptiert fühlen muss?

Überhöhung individueller Probleme

Die Achtsamkeit und der heute tägliche Ruf nach ihr ist das Symptom einer Gesellschaft, die un­ter ihrer watteweichen Konsenssprache einen steinharten Untergrund hat, auf dem immer neue Kulturkämpfe und identitätspolitische Landgewinnungsversuche stattfinden. Die einen dürfen das Gedicht einer schwarzen Poetin nicht ins Niederländische übertragen, weil sie weiß sind. Die anderen nennen Deutsche „Kartoffeln‘, drehen aber komplett durch, wenn man bei ihrer Berufsbe­zeichnung das Sternchen oder den glottalen Stopp vergisst.

Im Namen der Achtsamkeit werden einstmals individuell zu lösende Probleme zum gesamtge­sellschaftlichen Politikum. Eigentlich gute und verlässliche Begriffe wie Angst und vor allem Scham werden neu programmiert. Die Scham ist längst kein persönliches Unbehagen mehr, kei­ne individuelle Reaktion auf eine Peinlichkeit oder ein Missgeschick, sondern sie ist bereits ein politischer Zweckbegriff. Wer sein Kind nicht mehr stillen möchte, lernt das Mom-Shaming ken­nen, und zwar gerne auch von anderen Frauen, für die das Stillen eine ideologische Stramm­stehveranstaltung ist und die Marke der Babytrage darüber entscheidet, ob eine Frau eine gute Mutter ist oder besser beim Amt, also bei Instagram, gemeldet werden müsste.

 Diskreditierung statt Achtsamkeit

Empathie ist, nach Marshall Rosenberg, dem Erfinder der gewaltfreien Kommunikation, das Schmierfett für ein halbwegs sanftes Miteinander zwischen Menschen, die sich eigentlich nicht ausstehen können. Nun ist aber die Empathie ein ähnlich janusköpfiges Mittel wie Spiritus. Richtig eingestzt mag es ein schönes Licht geben, falsch angewendet fackelt es die Hütte ab. Die Philosophin Bettina Stangneth hat in ihrem fabelhaften Essay über „Böses Denken“ ein Ka­ pitel „Empathie als Waffe“ überschrieben: „Auch Einfühlungsvermögen und Achtsamkeit sind Werkzeuge zu vielen denkbaren Zwecken!‘

In den von Identitätsdenken und Exklusionsfantasien beherrschten Debatten unserer Zeit ist die Achtsamkeit oft die nützliche Idiotin, um ziemlich robuste Ziele zu verfolgen. Eine Journalistin versendete auf Twitter kürzlich dieses hier: „Als ich vor einiger Zeit meiner Tochter die Ge­schichte vom Frosch und der Tigerente vorlesen wollte, fiel mir auf, dass der Frosch ein Schwei­gen der Ente als Ja zum Küssen auslegt. Küssen ohne Einverständnis. Das ist nicht kindgerecht. Kinder müssen Nein-Sagen lernen.“

Die rührende Ehrpusseligkeit dieser semipädagogischen Entrüstung ist ein schönes Beispiel da­für, wie routiniert die Achtsamkeitsstreber ihre Agenda spielen: Unablässig lassen sie Ver­dachtsmomente aufploppent, die letzten Unbescholtenen versuchen sie auf Teufel komm raus zu diskreditieren und selbst harmloseste Ereignisse ziehen sie als Belege für Schuld, Sexismus und Inhumanität heran. Achtsamkeit ist hier nur scheinbar dazu da, die Hand schützend über arme Gruppen zu legen.

1 Kommunikation Stadt Köln

 

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