Pressefreiheit

Der Prozess gegen Assange, der am 24.Februar 2020 in London beginnt, ist ein sehr wichtiger in der jüngeren Geschichte. Es geht in diesem Prozess nicht nur um den Aufklärer Julian Assange, sondern auch um die Zukunft der Pressefreiheit. Lesen Sie den redaktionell geänderten Beitrag von Heribert Prantl, der SZ entnommen.

Lässt sich, das ist die Frage, ein rechtsstaatliches Gericht einbinden und einwickeln in den großangelegten US-Versuch, an Assange ein abschreckendes Exempel zu statuieren? In den USA drohen Assange 175 Jahre Haft, weil er die Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht hat.

Journalismus wird der Spionage und Verschwörung bezichtigt

Das von Assange publizierte Material enthält auch das berüchtigte, schändliche Video aus einer Straße in Bagdad. Es zeigt, wie Piloten eines US-Kampfhubschraubers unschuldige Zivilisten niedermähen, darunter zwei Reuters-Journalisten. Man wird Zeuge eines Kriegsverbrechens: „He is wounded“, hört man einen Amerikaner sagen. „I’m firing.“ Und dann wird gelacht. Ein Minibus kommt angefahren, der die Verwundeten retten will. Der Fahrer hat zwei Kinder dabei. Man hört die Soldaten sagen: Selber schuld, wenn er Kinder aufs Schlachtfeld bringt. Und dann wird gefeuert. Der Vater und die Verwundeten sind sofort tot, die Kinder schwer verletzt.

Verfolgt wurden nicht die Täter solcher und anderer Massaker; verfolgt wurden nicht die Kriegsverbrecher, die Todesschützen, die Vergewaltiger in Uniform. Verfolgt werden die, die deren Taten publizieren. Die US-Behörden bezeichnen das als „Verbreitung geheimer Informationen“, als „Verschwörung“ und „Spionage“. Der US-Außenminister und frühere CIA-Chef Mike Pompeo hat deshalb Wikileaks als Terrororganisation bezeichnet.

Worin besteht der angebliche Terror? Er besteht in der Aufdeckung von Terror. Aus Journalismus wird auf diese Weise Spionage. Die Aufdeckung von Verbrechen wird selbst zum Verbrechen.

Pressefreiheit in höchster Gefahr

Der Antrag, Julian Assange auszuliefern, gehört zu den Kampagnen, die die USA gegen Whistleblower, Aufklärer und Aufdecker betreiben. Sie haben Kampagnen der Verhöhnung und Verleumdung in den vergangenen Jahren schon betrieben. Warum? Aufklärer, Whistleblower, Journalisten sollen es sich künftig lieber dreimal überlegen, ob sie sich mit dem Staat wegen der Aufdeckung von Missständen, Vergehen und Verbrechen anlegen.

Wer Julian Assange verteidigt, verteidigt die Pressefreiheit. Das ist so, ob einem dieser Julian Assange nun sympathisch ist oder nicht, ob man ihn nun mag oder nicht. Der kranke Whistleblower im Hochsicherheitsgefängnis ist ein Märtyrer der Wahrheit.  Auch wer ihn nicht mag, muss Mitgefühl mit ihm haben. Das gilt erst recht, wenn der Hauptvorwurf gegen ihn – der Vorwurf der Vergewaltigung– sich voraussichtlich nicht mehr halten lässt.

Zu dem schlechten Ruf von Assange haben vor allem die mittlerweile eingestellten Ermittlungen wegen Vergewaltigung in Schweden wesentlich beigetragen. Ein Land, das der Aufklärung und der Wahrheit verpflichtet sein sollte.

Ein mörderisches System

Es gibt den Verdacht, dass diese Ermittlungen Teil einer gezielten Persönlichkeitszerstörungskampagne der USA waren. Diese Einschätzung hegt nicht ein Spinner, sondern Nils Melzer, der UN-Sonderberichterstatter für Folter, ein regierungsunabhängiger Experte für humanitäres Völkerrecht aus der Schweiz, Professor an der Universität Glasgow und der Genfer Akademie für Menschenrechte. Er spricht von einem mörderischen System, das sich vor unseren Augen zeigt.

Melzer berichtet heute von einer konstruierten Vergewaltigung, von einer systematischen Verleumdungskampagne, von manipulierten Beweisen in Schweden. Er berichtet von politischem Druck auf die Ermittlungsbehörden dort, das Verfahren gegen Assange nicht zu eröffnen, sondern über neun Jahre ohne Anklage und folglich ohne Prozess und der Möglichkeit zur Verteidigung für den Beschuldigten in der Schwebe zu halten.

Ich selber habe in der genannten Kolumne, die sich für die Haftentlassung des kranken Häftlings Assange eingesetzt hat, dem Mann fälschlich einen schweren Fehler vorgeworfen – er habe sich den Ermittlungen der schwedischen Justiz durch Flucht nach London entzogen, aus Angst davor, von Schweden an die USA ausgeliefert zu werden. Nach den Erkenntnissen des UN-Sonderberichterstatters lässt sich der Vorwurf nicht halten. Nils Melzer referiert aus vorliegenden Dokumenten, die Anwälte von Assange hätten den schwedischen Behörden während der vielen Jahre, in denen Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London im Asyl lebte, über dreißig Mal angeboten, dass Assange nach Schweden komme – im Gegenzug für eine Zusicherung der Nichtauslieferung an die USA. Die Schweden weigerten sich.

Die behauptete Vergewaltigung

„Wir müssen aufhören zu glauben, dass es hier wirklich darum gegangen ist, eine Untersuchung wegen Sexualdelikten zu führen“, sagt Melzer: „Was Wikileaks getan hat, bedroht die politischen Eliten in den USA, England, Frankreich und Russland gleichermaßen.“ Wikileaks veröffentliche nun einmal geheime staatliche Informationen; und das werde in einer Welt, in der auch in sogenannten gefestigten Demokratien die Geheimhaltung überhand genommen habe, als fundamentale Bedrohung empfunden.

In „Republik.ch“, dem schweizerischen Internet-Magazin für Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur, hat sich Melzer über seine eigenen anfänglichen Vorurteile gegen Assange wie folgt geäußert:

„Stellen Sie sich einen dunklen Raum vor. Plötzlich richtet einer das Licht auf den Elefanten im Raum, auf Kriegsverbrecher, auf Korruption. Assange ist der Mann mit dem Scheinwerfer. Die Regierungen sind einen Moment lang schockiert.  Dann drehen sie mit den Vergewaltigungsvorwürfen den Lichtkegel um. Ein Klassiker in der Manipulation der öffentlichen Meinung. Der Elefant steht wieder im Dunkeln. Stattdessen steht jetzt Assange im Brennpunkt und wir sprechen allenfalls darüber, ob er in der Botschaft Rollbrett fährt, ob er seine Katze richtig füttert.

Wir wissen plötzlich alle, dass er ein Vergewaltiger ist, ein Hacker, Spion und Narzisst. Und die von ihm enthüllten Missstände und Kriegsverbrechen verblassen im Dunkeln. So ist es auch mir ergangen. Trotz meiner Berufserfahrung, die mich zu Vorsicht hätte mahnen sollen.“ 

Einschüchtern, Angst verbreiten, Kontrolle ausüben

Der Fall Assange zeigt, wie die USA Kriege führen. Die Forderung an Großbritannien, Assange auszuliefern, ist ein Teil davon. Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit, sagt das Sprichwort. Dass es erst so spät Aufmerksamkeit und Unterstützung für Assange gibt, ist Teil des mörderischen Systems, wie es Nils Melzer nennt.

So funktioniert Folter: Sie soll das Opfer nicht zum Handeln bringen, sondern soll es lähmen. Sie soll nicht zum Reden bringen, sondern zum Schweigen. Sie will die Persönlichkeit ihres Opfers zerstören und es „auf die Stufe eines Tieres herabsetzen“, wie Sartre es formulierte. Folter soll nicht geheim bleiben, sie soll aber auch nicht ganz und gar öffentlich werden. Sie soll halböffentlich werden, so erreicht sie ihr Ziel: Einschüchterung, Angst, Kontrolle.

Darum: Wir müssen den Scheinwerfer wieder umkehren. Die Schweinereien müssen ins Licht. Gelingt das?

Auszug Tagesspiegel vom 25.Februar 2020:

Könnten Sie sich vorstellen, Whistleblower zu sein? Schwierige Frage, lässt sich nicht einfach beantworten. Auch die Frage nicht, ob man mit Julian Assange, Gründer der Plattform Wikileaks, auf der Dokumente von Whistleblowern hochgeladen werden, uneingeschränkt solidarisch sein kann. In der Bundespresskonferenz hatte kürzlich Ex-Außenminister Gabriel (SPD) unter anderem mit Linken-Politikerin Dagdelen auf Assanges Situation aufmerksam gemacht. Montag begann in London die Anhörung im Auslieferungsersuchen der USA. Heute geht es weiter. Der UN-Folterbeauftragte Nils Melzer hält Foltervorwürfe, gemeint ist psychische Folter, für glaubhaft. Für die Morgenlage hat uns der ehemalige SPD-Parteichef dazu Fragen beantwortet.

Herr Gabriel, warum verdient Julian Assange Ihre Hilfe?

Großbritannien ist ein Rechtsstaat und normalerweise sollen sich Politiker aus rechtstaatlichen Verfahren heraushalten. Deshalb habe ich den UN-Sonderbeauftragten Melzer angerufen. Er hatte Assange zusammen mit Ärzten besucht und einen ausführlichen Bericht über Haftbedingungen, die physische und psychische Situation und eine Einschätzung über die Chancen für eine angemessene Vorbereitung seiner Verteidigung abgegeben. Melzers Aussagen waren glasklar; Assange muss während seines Aufenthaltes in der ecuadorianischen Botschaft Folter ausgesetzt gewesen sein und die Bedingungen seiner sich anschließenden Haft in Großbritannien haben die Folgen nicht beseitigen können, sondern eher verschärft.

Melzer sieht keine Möglichkeit, dass sich der Beschuldigte angemessen auf seine Verteidigung vorbereiten und seine rechtsstaatlich gesicherten Rechte wahrnehmen kann. Weder der gesundheitliche Zustand lässt das zu noch die Haftbedingungen. Und ich war und bin der Überzeugung, dass man dazu nicht schweigen darf. Ich mische mich nicht ein in die Frage, ob sich Assange strafbar gemacht hat oder ob nach britischem Recht eine Auslieferung an die USA angemessen ist. Es geht mir jetzt um die Frage, ob er die Chance hat, sich in einem fairen Verfahren angemessen zu verteidigen.

Worin muss Hilfe bestehen?

Assange muss aus der Haft entlassen und angemessene ärztliche Betreuung erhalten, um die Folgen seiner Folter zu bewältigen. Zudem müssen seine Anwälte ausreichend Zeit und Zugang zu ihm erhalten, um seine Verteidigung vorzubereiten. Das ist nach Aussage Melzers nicht der Fall.

 

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