Familienwahlrecht

Der stellv. Chefredakteur des Hamburger Abendblatts, Matthias Iken, hat sich in seiner Kolumne am 24.Nov.2014 für die Einführung eines Familienwahlrechts ausgesprochen, welches das Grundgesetz nicht vorsieht. Leider ist Stimmungsmache das Ziel und nicht eine seriöse Problembeschreibung.

Sehr geehrter Herr Iken,

ihren o.g. Artikel habe ich mit Verwunderung und Befremden zur Kenntnis genommen. Ihren abstrusen Vorschlag eines Familienwahlrechts begründen Sie mit der zahlenmäßigen Mehrheit der Wähler ab 55 Jahre und damit, dass die Bundesregierung den „Ruheständlern“ ein Geschenk nach dem anderen macht. Als jüngste Beispiele nennen Sie die „Mütterrente“, die keine Rente ist, sondern die Anrechnung eines zusätzlichen Kindererziehungsjahres für Geburten vor 1992, sowie die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren. Diese Beispiele belegen nicht etwa, dass es sich um Geschenke handelt, sondern ganz im Gegenteil um Gebote der sozialen Gerechtigkeit.

Inhaltsverzeichnis

Kindererziehungsjahr

Mit dem zusätzlichen Kindererziehungsjahr wird die Benachteiligung gemildert, die Mütter haben, deren Kinder nicht ab 1992 geboren worden sind. Sie müssten sich stattdessen darüber aufregen, dass dieses zusätzliche Kindererziehungsjahr nicht aus Steuermitteln finanziert wird, sondern ausschließlich von den Beitragszahlern. Das scheint Ihnen aber keine Erwähnung wert, weil Sie offensichtlich gegenüber der gesetzlichen Rentenversicherung Vorbehalte haben. Es ist nämlich bezeichnend, dass Sie als einen der Kronzeugen Hans-Werner Sinn bemühen, der ein  (gnadenloser) Verfechter der Privatisierung ist. Er und andere hätten es am liebsten, wenn Finanz – und Versicherungswirtschaft ihre Profite steigern könnten, so wie das bereits mit der Riesterrente als Teilprivatisierung der gesetzlichen Rentenversicherung geschehen ist; und zwar zu Lasten der Versicherten.

Rente mit 63

Wer 45 Jahre lang Beiträge in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat,  was künftig kaum mehr möglich sein wird, wer also in einem besonderen Ausmaß zur Generationensolidarität beigetragen hat, weil seine Beiträge mit dem Umlageverfahren zur Finanzierung der Renten beigetragen haben, kann erwarten, nicht mit versicherungsmathematischen Abschlägen bestraft zu werden, zumal diese Abschläge ohnehin ein Instrument der Rentenkürzung sind. Gerechtfertigt wäre es daher, diese Abschläge generell entfallen zu lassen, da sie zusammen mit den Nullrunden der vergangenen Jahre und den Rentenkürzungen z.B. durch den rückwirkenden Wegfall der Anrechnung von Ausbildungszeiten bestens geeignet sind, die Rente als Lohnersatzfunktion und als Ergebnis der Lebensleistung ad absurdum zu führen, zumal es Bruttorenten sind, die die Grafik auflistet. Die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung müssen von diesen Bruttorenten noch abgezogen werden!

Geschenke sehen anders aus.

Hinweis

Bei den Pensionären, also bei den ehemaligen Beamten, ist die Einkommenssituation deutlich besser. Diese Einkommenssituation, die sich nach dem hohen Einkommen des letzen Jahres vor der Pensionierung richtet und nicht nach den Einkommen des gesamten Erwerbslebens, wäre eine alternative Vorlage für eine Vergleichsberechnung der niedrigen Renten, wenn damit eine höhere Rente möglich ist.

Diktatur der Alten?

Erstaunlich ist auch, dass Sie bereits die 55jährigen zu den Alten zählen. Sie befinden sich damit in bester Gesellschaft mit den Unternehmen, die ältere Beschäftigte aussortieren und ihnen gar keine andere Möglichkeit lassen, als so früh wie möglich und dann mit erheblichen Abschlägen in Rente zu gehen. Deswegen ist es genau umgekehrt: Der Jugendwahn führt dazu, dass nicht nur ältere Arbeitnehmer, sondern auch Rentner insgesamt ausgegrenzt werden. Das ehrenamtliche Engagement und die Bereitschaft der Rentner, sich um die berufliche Zukunft ihrer Kinder und Enkel zu kümmern, ist für Sie offensichtlich zu vernachlässigen, wenn Sie die vermeintliche Diktatur der Alten beschwören. Das ist Populismus, mit dem interessengeleitete Stimmung gemacht wird.

Stimmenzahl

Völlig absurd wird es, wenn Sie das Ergebnis von Befragungen erwähnen und deren Unterschiede je nach Alter. Welchen politischen Stellenwert haben solche Ergebnisse? Im Vergleich zu den vielen Bürgerinitiativen, die überwiegend von Jüngeren getragen werden und partikulare Interessen gegen das Gemeinwohl verfolgen, sind sie zu vernachlässigen, zumal eine Befragung politisches Handeln nicht ersetzt. Richtig problematisch wird es, wenn Sie danach fragen, warum ein kinderloses Seniorenehepaar zwei Stimmen hat und eine alleinerziehende Mutter mir vier Kindern, die übrigens für vier Kinder Kindererziehungszeiten angerechnet bekommt, nur eine Stimme. Mit Verlaub, das ist Ihrer Zeitung nicht würdig. Das ist Populismus auf niedrigem Niveau. Und dann auch noch ganz flott eine Grundgesetzänderung vorzuschlagen, ohne zu sagen, wie die aussehen soll, wird es hanebüchen. Wenn ich Sie richtig verstehe, wollen Sie am Beispiel der alleinerziehenden Mutter mit vier Kindern, dass diese insgesamt fünf Stimmen abgeben kann. Und wenn sie nicht alleinerziehend ist?

Miteinander der Generationen

Es wäre besser, Sie würden nicht den Kampf der Generationen unterstellen, sondern ein Gemeinwesen, in dem jung und alt ihren Platz haben; und zwar nicht gegeneinander, sondern miteinander. Beispiele dafür gibt es genug. Wie wäre es, wenn Sie mal darüber schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Rolf Aschenbeck

 

Ist die Familienministerin auch beliebig?

mdr info: Es gibt so Vorstöße, die geben Rätsel auf und ganz bestimmt keine Antworten. Trotzdem findet sich immer mal jemand, der es mit so einem Vorstoß versucht. In der zuende gehenden Woche ist es Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig gewesen. Sie findet ein Familienwahlrecht gut. Das heißt: jeweils ein Elternteil bekäme pro Kind eine zusätzliche Stimme. Damit stellt sich Schwesig in eine lange Reihe von Menschen, die irgendwann mal irgendetwas vorgeschlagen haben.

Antwort von Matthias Iken

Sehr geehrter Herr Aschenbeck,

haben Sie vielen Dank für Ihre Mail. Ich freue mich über jeden Beitrag zur Debatte und gebe zu, dass diese Kolumne wirklich sehr steil ging. Aber mich treibt die Frage um, wie man in Zeiten des demographischen Wandels auch die Interessen der zahlenmäßig kleineren Gruppe der Jüngeren ausreichend berücksichtigt. Bis zum rentenpolitischen Doppelschlag der Großen Koalition hatte ich da mehr Zuversicht in die Klugheit der Politik, das gebe ich zu. Auch wenn ich die Argumente dafür nachvollziehen kann, gilt, was Bundespräsident Joachim Gauck kürzlich sagte: „Dieser Generation geht es so gut wie nie einer anderen zuvor“. Zugleich bürden wir unseren Kindern und Enkeln die Finanzierung auf.

Verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte sicher keinen Kampf der Generationen das Wort reden – wie es übrigens einige in dieser Debatte schon tun. Ich möchte nur auf ein Problem verweisen, das sich auswächst: Dieses Land droht zu erstarren , weil es alles Neue, Schwierige ablehnt und nicht mehr für gemeinsame Ziele kurzzeitige Beeinträchtigungen in Kauf zu nehmen bereit ist. Olympische Spiele sind da ein gutes Beispiel – anders als Fußballweltmeisterschaften in Entwicklungsländern profitieren die Ausrichterstädte sehr wohl, weil sich das Interesse auf eine Stadt konzentriert und binnen kurzer Zeit Rekordinvestitionen anzieht. Was zum Beispiel wäre München ohne die Spiele von 1972 geworden?

Und deshalb müssen wir diese Debatte führen. Danke, dass Sie mitmachen.

Bleiben Sie uns mit Lob und Kritik verbunden.

Herzliche Grüße

Matthias Iken

 

Anmerkungen zur Antwort von Matthias Iken

Die zitierte Aussage des Bundespräsidenten ist richtig, aber seine Beurteilung ist  falsch, wenn er mit „dieser Generation“ die jetzigen Arbeitnehmer und Rentner meint. Es gab nämlich Zeiten vor der Agenda 2010, die der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mißachtet hat, die nicht einseitig arbeitgeberorientiert waren. Vor Schröder ging es Arbeitnehmern und Rentnern deutlich besser.

Aber auch die Aussage, Kinder und Enkel müssten für die Finanzierung aufkommen, die nur dazu dient, jedwede gegenwärtige Verbesserung zu verhindern, stimmt nur dann, wenn gesamtgesellschaftliche Aufgaben nicht über Steuern finanziert, sondern ausschließlich den Beitragszahlern aufgebürdet werden, was bei dem zusätzlichen Kindererziehungsjahr der Fall ist. Dadurch haben auch die künftigen Beitragszahler (Kinder und Enkel) mit steigenden Beiträgen die Zeche zu zahlen, wenn es nicht eine Kehrtwende gibt, die leider nicht zu erkennen ist.

 Leider werden heutige und künftige Beitragszahler der gesetzlichen Rentenversicherung und der gesetzlichen Krankenkassen zur Kasse gebeten, um jetzt einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorlegen zu können.

Noch mehr Populisten

Mehr Macht für Familien! Das fordert Frank Schira (39), CDU-Vorsitzender im Ortsverband Alstertal. Die Alstertaler Christdemokraten setzen sich in einem Antrag an den Kreisausschuss Wandsbek für ein Wahlrecht ab Geburt ein. Beim heutigen Kreisparteitag der CDU Wandsbek wird unter anderem über das Familienwahlrecht diskutiert. „Familien müssen stärker in die Politik einbezogen werden“, sagt Schira. Er hat zwar noch keine Kinder, macht sich trotzdem für eine kinderfreundlichere Gesellschaft stark. Wahlrecht ab Geburt bedeutet: Die Kinder sind wahlberechtigt, können aber nicht selbst abstimmen. Das übernehmen die Sorgeberechtigten. „Dann müsste um diese zusätzlichen Stimmen gerungen werden. Somit bestünde eher die Chance, den Interessen von Familien Geltung zu verschaffen“, heißt es im Antrag. Der Vorstoß ist nicht neu. Im Bundestag haben 40 Abgeordnete aller Fraktionen Anfang des Monats für einen ähnlichen FDP-Antrag gestimmt.

Der Bundestag wird in den kommenden Wochen über das Kinderwahlrecht und die damit verbundene Verfassungsänderung beraten(!)

27.Januar 2015

Eine Beratung im Bundestag zum Kinderwahlrecht hat bisher nicht stattgefunden. Offensichtlich haben die Verfechter eines solchen Wahlrechts, u.a.auch die Familienministerin Manuela Schwesig, festgestellt, dass eine solch abstruse Absicht tatsächlich Populismus ohne demokratische Grundlage ist.

Das ist immerhin ein Erfolg auch dieser Website.

 

 

 

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