Pogrom

Am 9. November darf die rechtsextreme Pegida durch Dresden marschieren. Und zwei Tage sind es die sogenannten Querdenker, die mit Hakenkreuzen und den Rechtsstaat leugnend  Leipzig besetzen.  Lesen Sie den gekürzten und redaktionell geänderten Beitrag von Mely Kiyak, ZeitOnline entnommen.

Das gibt es manchmal. Dass man sein Land vor dem inneren Auge an sich vorüberziehen lässt und baff zurückbleibt. Weil das, was man auf den Bildern sieht, einem komplett das Koordinatensystem wegballert. Was ist denn das für ein komisches, hässliches und gnadenloses Land geworden? Sagt mal, versteht ihr das? Wir sind mitten in einer Pandemie. Der Tod hat unter uns Platz genommen. Menschen sterben einsam und isoliert, aber jeder stiefelt mit seinen privaten Scheißangelegenheiten durch die Öffentlichkeit. Einer will unbedingt tanzen. Einer will unbedingt unmaskiert einkaufen. Und wieder ein anderer trägt ein Hakenkreuz durch die Innenstadt. Man kann sich keinen anderen Reim mehr auf die Sache machen als diesen:

Lieblosigkeit und Gleichgültigkeit ist das. Das sind wir. Eine lieblose, gleichgültige Gesellschaft von Wichtigtuern und Schwätzern. Eine lieblose Ansammlung von Menschen, die es zulässt, dass an einem 9.November im Jahr 2020 mitten in ihrem Land jener kulturverwahrloste und rechtsradikale Teil der Bevölkerung nichts Besseres zu tun hat, als das Gedenken an die Menschheitsschande Shoah, Holocaust oder, um es einmal weniger poetisch, nämlich wahrheitsgemäß auszudrücken, den Massenmord von unschuldigen Menschen so mit Füßen zu treten.

Die Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit

Das Gedenken an die Novemberpogrome war einmal einer der heiligsten Tage dieses Landes. Es war auch viel Verlogenheit dabei, klar, das bleibt bei rituellem Gedenken nicht aus. Aber immer gab es auch so etwas wie eine gesamtgesellschaftliche Übereinstimmung, die dazu führte, dass diesem Tag mit der größtmöglichen Pietät begegnet wurde. Weil es eben doch auch Bevölkerungsteile gab, die sich schämten und aus der Distanz zwischen Gegenwart und Vergangenheit kaum begreifen konnten, dass so etwas überhaupt möglich gewesen sein konnte. Und dass die Beteiligten nicht von anderen Kontinenten stammten, sondern ihre Väter und Mütter waren, womöglich unter demselben Dach lebend. Viele überlebende Opfer waren jahrzehntelang unter uns. Da besaß kaum einer den Mut, wie rechtsideologisch kaputt er auch war, seine Abscheu öffentlich vorzutragen, geschweige denn in Form von Symbolen, Plakaten und Rufen. Ob man diese Leute, die am 9. November durch Dresden liefen, nun bei ihrer fragwürdigen Selbstbezeichnung „Pegida“ nennen will oder einfach nur griesgrämiges, von Groll erfülltes, alles in allem vollkommen verlorenes Volk, spielt keine Rolle. Und schon tausendmal spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um zehn oder hundert Leute handelt, denn ein einziger Tropfen verdorbener Milch reicht, um alles ungenießbar zu machen. Das, was da geschah, lässt sich unter moralischen und menschlichen Gesichtspunkten weder kleinreden noch kleinrechnen.

Minderheiten schutzlos

Und ist es eigentlich wirklich die Aufgabe der jüdischen Gemeinden und der jüdischen Deutschen in diesem Land, diese Bilder, die sie gezwungen waren zu ertragen, mit den verharmlosenden Adjektiven „geschmacklos und geschichtsvergessen“ zu kommentieren? Müssen sie sich selbst in Schutz nehmen, damit sie nicht dem rechtsextremen Mob schutzlos ausgeliefert sind? Hat der Rechtsstaat insoweit bereits versagt?

Geschichtsvergessen sind die sicher nicht, die da marschierten. Im Gegenteil. Weil sie sich noch erinnern, weil sich alle noch erinnern und dieses Erinnern das eigentliche Anschlagsziel ist, liefen sie in dieser Nacht durch die Stadt. Aber wisst ihr was? Das ist nicht das eigentlich Skandalöse. Das Skandalöse ist die Gastgeberschaft der sächsischen Behörden. Die Politik dort, die Gerichte, die ganzen Honoratioren, die an diesem Tag gezeigt haben, auf welcher Seite sie stehen, wenn es mal darauf ankommt.

Es wäre eine Lappalie gewesen, die Pegida-Versammlung zu verbieten. Anderswo konnten Menschen des Verbrechens der Reichspogromnacht nicht öffentlich gedenken, aus Gründen des neuerlichen Lockdowns wurden geplante Veranstaltungen abgesagt(!) Auf die Idee muss man auch mal kommen: Aus Gründen der Gleichbehandlung dürfen Faschisten am Gedenktag für die Juden marschieren …, ach lassen wir das! Sich diesem alten unausrottbaren Mist in Dresden nicht in den Weg gestellt zu haben heißt, dass man mit diesem alten unausrottbaren Mist sympathisiert bzw. übereinstimmt. Wenn man Rechtsextreme und Rassisten gewähren lässt, dann sagt man: willkommen, neonationalsozialistischen Mitbürger.  Und zwei Tage davor? Was war da los? In Leipzig? Der gleiche Mist in Grün.

Verantwortungslosigkeit

Und wieder steht keiner von den Verantwortlichen auf und sagt: Leute, auf den Intensivstationen kämpfen die Menschen um Atemluft. Unter diesen Corona-Leugnern läuft die ganze bekannte Soße mit. Es wird gerade in einem erheblichen Ausmaß gestorben, wir bitten euch, das ist unzulässig, wir können nicht Zehntausende Menschen in unserer Innenstadt zulassen und zusehen, wie „Deutschland den Deutschen“ taumelnd getanzt wird. Armselig hinterhergeschoben wird dann am Tag nach Dresden noch eine Begrenzung von Versammlungen in Sachsen auf künftig 1.000 Menschen. Welcher Hygiene das dienen mag, der pandemischen oder politischen, kann man sich denken. Und dann immer diese Reflexe. Nach jedem Faschoaufmarsch im Osten: Das seien keine Sachsen. Das sind alles Wessis! Müde macht das. Weil man denkt: Muss denn in diesem Land wirklich alles ein Kontinuum sein? Kann nicht wenigstens das Verniedlichen, diese uralte deutsche Tradition des Schleifchenbindens um jeden Faschisten, nur ein einziges Mal nach anderen Spielregeln laufen? Ja doch, ruft man es in alle Richtungen, in alle Bundesländer. Ihr seid immer die Alleredelsten. Im Übrigen, nur zur Erinnerung, Hitler kam ja auch aus Österreich, wie gesagt, kennt man alles zur Genüge. Armes Deutschland, arme Deutsche, lauter Verführte. Irgendwann bleibt es dann so

Und Schuld, so ein altmodischer, biblischer Begriff, der gerät wie so vieles unter die Mühlen eines Relativierungskampfs. Und so wird Stück für Stück in die dunkle Sackgasse manövrierend relativiert und irgendwann, das merkt ihr dann schon auch noch, bleibt nichts mehr übrig von Freundschaft, von dieser überbordenden Freude über den anderen. Und wisst ihr, was noch? Es ist ja jetzt schon so, dass der 9. November gar nicht so sehr von den Verrückten und Vergessenmachern, sondern von den demokratischen Politikern überblendet wird. Die Reichspogromnacht wird jedes Jahr mehr mit dem Erinnern an den Fall der Mauer überlagert – und das gehört sich nicht, um mal in dieser etwas antiquierten Sprechweise zu urteilen.

Irgendwann bleibt es so

Irgendwann gibt es nur noch Freudetage in diesem Land und keine Schandetage, und Jude oder eine andere Minderheit möchte man in so einem Land doch eigentlich auch nicht  mehr so wahnsinnig gern sein, oder? Und wie immer, wenn etwas zum ersten Mal passiert, wird es viele weitere Male passieren, und irgendwann bleibt es dann so. So falsch, so schief, so lieblos. Kann es sein, dass wir uns alle nicht mehr mögen? Und dass wir eine der ältesten Menschheitsweisheiten vergessen haben? Der Hass braucht nur eine Sekunde, um den Weg ins Herz zu finden, aber er braucht Generationen, um diesen Ort wieder zu verlassen. Und diejenigen, die sich nach Freundschaft sehnen, die eine unbändige Lust darauf haben, ob Süd, Nord, Ost oder West, alles miteinander zu teilen, die sich auch hinter dem Rücken der Stinkstiefel zwingend zusammentun müssen: Die müssen sich finden. So ein hässliches Land, wirklich, aus dem tiefsten gebrochenen Herzen gesprochen, steht schönen Menschen nicht.

Soko Linx(LKA Sachsen) ermittelt zu Gegenprotest bei Coronademo1

Die Soko Linx widmet sich derweil bereits neuen Aufgaben: den Vorgängen um die Demonstration von Coronaverharmlosern und Rechtsextremen in Leipzig. Am Montag veröffentlichte sie einen Fahndungsaufruf nach Straftätern unter den Gegendemonstranten. Gesucht wird nach Personen, die zwei Busse von Coronaprotestlern mit Steinen bewarfen, ein Auto anzündeten, einen Polizeiposten mit Flaschen bewarfen oder an einer Hausfassade „sechs schwarze Farbflecken“ hinterließen.

Zu den Übergriffen der Coronaleugner gibt es bisher keine öffentlichen Fahndungen. Dies, so der LKA-Sprecher, könne in Kürze aber noch folgen.

Hinweis

Die Behauptungen der Soko Linx (Links) sind wahrscheinlich genauso fragwürdig wie bei bisherigen  Ermittlungen. Es geht offensichtlich nicht vorrangig um die Klärung von Sachverhalten, sondern um eine einseitige politische Ausrichtung.mit dem Ziel, Rechtsextreme zu schützen. Das ist ein Skandal und muss bei der sächsischen Landesregierung zu Konsequenzen führen.

1Auszug aus dem Artikel „Übers Ziel hinausgeschossen“, der taz ernnommen

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