Rechtsextremismus mehrheitsfähig?

Die AfD stellt ihren ersten Landrat in Deutschland, weil ihr Kandidat Robert Sesselmann die Landratswahl im thüringischen Sonneberg gewonnen hat. 14.993 Menschen haben ihn am 25.Juni 23 gewählt, für den CDU-Kandidaten stimmten in der Stichwahl 13.420 Wähler. Um die AfD kleinzuhalten, werden Märchen über die rechtsextreme, verfassungsfeindliche Partei und ihre Wäh­le­rschaft erzählt. Das ist gefährlich.

Als Reaktion auf die nach der Wahl oft geäußerte Befürchtung vor einer fortschreitenden rechtsextremen Ausbreitung in Ostdeutschland versuchen sich Menschen aus dem liberalen demokratischen Spektrum darin, diese Gefahr zu verharmlosen. Sie sollen Aussagen der Vernunft und des Pragmatismus sein, sind aber denkbar ungeeignet, die zunehmende rechtsextreme Zustimmung in Thüringen und in anderen Gegenden Ostdeutschlands zur Kenntnis zu nehmen und ihr entgegen zu treten.

Zuhören ist notwendig, um die Sorgen und Nöte der Bürger zu kennen und darauf in deren Interesse zu resgieren. Die AfD in Ostdeutschland hat allerdings eine klare und pervertierte Auffassung davon, was Zuhören heißt. Sie nimmt nämlich die in Ostdeutschland weit verbreiteten Ressentiments gegen den „Westen“ auf und wendet sie in ihrem Sinn gegen die Bürger, die die AfD dennoch wählen. Hier gilt die Aussage von Bert Brecht: „Die dümmsten Kälber wählen ihre Schlächter selber.“.

Dass der „Westen“ die hauptsächliche Quelle von Ungerechtigkeit gegen Ostdeutsche sei, ist eine in Ostdeutschland immer noch die verbreitete, aber mittlerweile falsche Überzeugung, weil sie ausschließlich rückwärtsgewandt ist. Sie hat ihre Grundlage in der Vereinigung der beiden deutschen Staaten, die tatsächlich keine Vereinigung von Gleichen, sondern die Übernahme der DDR durch die BRD war und zum wirtschaftlichen und sozialen Kahlschlag in Ostdeutschland geführt hat. Die damit verbundene mangelnde Wertschätzung ist als empfundene Benachteiligung immer noch gegenwärtig. Hinzu kommt die Deformationen der jahrzehntelangen Diktatur in der ehemaligen DDR.

Die AfD nimmt diese (mittlerweile falsche) Überzeugung auf und mengt ihnen rassistische und chauvinistische Elemente bei. Bei ihr wird der „Westen“ zu einem dekadenten politischen Raum, in dem das eigentliche Volk, also deutsche Bürger, kein Gehör mehr findet. Bei der Propaganda von der „Umvolkung“ fungiert der „Westen“ als Dystopie, in der dieser „Bevölkerungsaustausch“ bereits gelungen ist. Die AfD propagiert die Idee einer weißen Avantgarde in Ostdeutschland, die deutschen Ursprungs ist.

Folgen der Wahlentscheidung

Dass diese Absicht zunächst stark auf ostdeutsche Männer zielt, zeigt sich in eine  Video des unsäglichen Faschisten Maximilian Krah, einem in Sachsen aufgewachsenen Europaabgeordneten der AfD, der jungen Männern ohne Freundin rät, nicht verweichlicht zu sein. Denn: „Echte Männer sind rechts.“

Es gibt Gründe, mit der derzeitigen Politik der Ampel unzufrieden, ja sogar zornig über sie zu sein, Es gibt aber keinen einzigen Grund, deswegen eine extrem nationalistische und neofaschistische Partei zu wählen; eine Partei, die die Verbrechen der Nazis als „Vogelschiss“ abtut. Wer dennoch die AfD wählt, erteilt nicht etwa den anderen Parteien einen Denkzettel, sondern ermächtigt die vom ihm gewählte Partei, eine menschenverachtende Willkürherrschaft zu errichten, also eine Diktatur. 

Eine weitere nach Wahlergebnissen zugunsten der AfD geäußerte Ansicht ist, dass nicht alle Wäh­le­r der AfD Rechtsextreme sind.. Eine  abenteuerliche Verharmlosung. Woher kommt im übrigen die Auffassung, für eine rechtsextreme Machtübernahme müsste die Mehrheit Nazis sein? Bei der Machtübernahme der Nazis 1933 warenj die Nazis im Reichstag in der Minderheit.

Die größte Gruppe waren schon damals die Mitläufer, die eine mehr oder minder präzise Vorstellung davon hatten, was die faschistische Elite will, dessen Handeln insgesamt entweder akzeptierten oder glaubten, von einem Machtwechsel zu profitieren.

Strategischer Ansatz

Aber auch die Hoffnung, AfD-Wähler würden recht bald enttäuscht werden, weil ein gewählter AfD-Landrat, ein Parlamentarier oder irgendein Funktionär sich an vorgegebene Spielregeln hält und Verantwortung übernimmt, ist prinzipiell zumindest naiv, wenn nicht sogar gefährlich.

Es gibt gerade in Ostdeutschland, begründet durch die Erfahrungen bei der Überwindung der DDR, ein Bewusstsein dafür, dass es Jahre dauern kann, ein politisches System zu stürzen. Die meisten Funktionäre der AfD, aber auch viele rechtsextreme AfD-Wähler haben eine längerfristige Perspektive, nämlich dass es dauern kann, bis sich „wirklich etwas ändert“.

Ein Landrat in Thüringen hat tatsächlich nur begrenzte Möglichkeiten, AfD-Positionen zu vertreten. Aber ein erster Schritt in Richtung Machtübernahme ist diese Position eben auch. Und wenn er etwas nicht tun kann oder will, macht er die Landes- und Bundesebene dafür verantwortlich.

Rolf Aschenbeck

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