Integration

Es gibt sie, die Zustimmung der Bevölkerung zu den Aussagen von Sarrazin, obwohl kaum einer sein Buch gelesen hat. Da ist es hilfreich, wenn kompetent klargestellt wird, dass sowohl die Grundlagen als auch die Konsequenzen dieser Aussagen nicht nur der Integration schaden, sondern auch die Ausgrenzung innerhalb der Bevölkerung massiv fördern. Lesen Sie dazu die klärende Stellungnahme von Sigmar Gabriel, auszugsweise aus ZeitOnline wiedergegeben.

Für Sarrazin beruht die Schichtung einer Gesellschaft ganz überwiegend auf natürlicher biologischer Auslese. Einflussfaktoren wie Einkommensverhältnisse, Bildung, Sozialstatus, kulturelle Prägung, Integration oder Desintegration in den Arbeitsmarkt sind für ihn zu vernachlässigende Restgrößen. Der Erfolg oder Misserfolg einer Gesellschaft ist für Sarrazin deshalb vor allem davon abhängig, dass die »richtigen« Menschen viele Kinder bekommen, um ihre Intelligenz zu vererben. Und die anderen weniger. Wenn Deutschland also in den Pisa-Schultests schlecht abschneidet, dann nicht wegen eines falschen Bildungssystems – wie alle internationalen Bildungsforscher meinen – , sondern weil wir seit Jahrzehnten in unserem Land eine falsche Geburtenpolitik betreiben. Denn: »Das Muster des generativen Verhaltens in Deutschland seit Mitte der sechziger Jahre ist nicht nur keine Darwinsche natürliche Zuchtwahl im Sinne von ›survival of the fittest‹, sondern eine kulturell bedingte, vom Menschen selbst gesteuerte negative Selektion, die den einzigen nachwachsenden Rohstoff, den Deutschland hat, nämlich Intelligenz, relativ und absolut in hohem Tempo vermindert.« (S. 353)

 

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Mit »vom Menschen gesteuerter negativer Selektion« meint Thilo Sarrazin nicht nur die Zuwanderung muslimischer Migranten, wenn dies auch aus seiner Sicht schon schlimm genug wäre. Er meint auch zu hohe Sozialhilfesätze, die es unteren Schichten ermöglichen, Kinder zu ernähren. Damit – so die Sarrazinsche Logik – gibt es nur Anreize für den falschen Genpool. Thilo Sarrazins Bevölkerungspolitik hat nicht »nur« Aische und Ali im Sinn. Es geht ihm auch um Kevin und Cornelia, wenn sie nicht aus der richtigen Schicht kommen.

Das gleiche gilt für ihn auch für den Länderfinanzausgleich zwischen dem Süden und dem Norden Deutschlands, weil » die in Schwaben lebenden Menschen durchschnittlich einen höheren Intelligenzquotienten haben als jene in der Uckermark (…)«. (S. 24) Nicht die Deindustriealisierung des Nordostens nach der Wiedervereinigung ist also schuld am hohen Anteil von Hartz-IV-Empfängern, sondern die genetisch bedingt weniger tüchtige Bevölkerung (vgl. S. 77). Wer denen im Norden oder im Nordosten Geld gibt, der schmeißt für Thilo Sarrazin nur Geld zum Fenster heraus, denn Geld macht nicht klüger. Es führt nur dazu, dass die Dummen weiter unter sich bleiben können. Aber eigentlich ist das Ganze noch viel schlimmer, denn selbst die Abwanderung aus dem Norden in den Süden ist kein Ausweg: Wenn sich nämlich die Norddeutschen mit den Süddeutschen durch Abwanderung und Heirat vermischen, sinkt die durchschnittliche Intelligenz der Süddeutschen. Wohlgemerkt: Dieser absurde Unsinn stammt nicht aus einer Aschermittwochsrede in Bayern, sondern aus dem medial wie kein zweites Buch geförderten und angeblichen »Integrations«-Bestseller Thilo Sarrazins.

 

Obwohl Thilo Sarrazin längere Ausführungen der Bildungspolitik widmet, zweifelt er doch an deren Wirksamkeit. Denn an einer im Wesentlichen durch Vererbung weitergegebenen Intelligenz und den mit ihr aus Sarrazins Sicht verbundenen Charaktereigenschaften wie Fleiß, Anstrengung und Disziplin können auch die besten Integrationsbemühungen durch Förderung und Bildung nicht viel ändern: »Auch im besten Bildungssystem wird die angeborene Ungleichheit der Menschen durch Bildung nicht verringert, sondern eher akzentuiert.« (S. 249) Und weiter heißt es: »Für einen großen Teil dieser Kinder ist der Misserfolg mit ihrer Geburt bereits besiegelt: Sie erben (1) gemäß den Mendelschen Gesetzen die intellektuelle Ausstattung ihrer Eltern und werden (2) durch deren Bildungsferne und generelle Grunddisposition benachteiligt.« (S. 175)

 

Wenn also heute 40 Prozent der ausländischen Jugendlichen in Deutschland keinen berufsqualifizierenden Abschluss machen, dann liegt das dem Grunde nach an den Mendelschen Gesetzen und nicht etwa an mangelnder Sprachförderung oder fehlenden Ganztagsschulen. Es liegt dann übrigens auch nicht am mangelnden Integrationswillen vieler zugewanderter Eltern, der ja durchaus zu Recht beklagt wird. Nimmt man Sarrazin ernst, ist es egal, ob sich die Eltern anstrengen, ihre Kinder zur Sprachförderung in den Kindergarten schicken oder die Hausaufgaben kontrollieren. Der Misserfolg ist ja bereits genetisch angelegt. Für Sarrazin steht fest, »dass Menschen unterschiedlich sind – nämlich intellektuell mehr oder weniger begabt, fauler oder fleißiger, mehr oder weniger moralisch gefestigt – und dass noch so viel Bildung und Chancengleichheit daran nichts ändert«. (S. 9.) Welch ein hoffnungsloses Menschenbild wird hier, mehr als 200 Jahre nach der europäischen Aufklärung, produziert?

Auch von lebenslangem Lernen hält der Autor nichts. Wer körperlich arbeitet, ist für ihn dort richtig aufgehoben: »Oft sind Menschen, die vorwiegend körperliche Arbeit verrichten, auch gar nicht geeignet für geistige oder verwaltende Tätigkeiten und schon gar nicht für Umschulungen in späteren Lebensjahren, weil sie, wie die Bildungspolitiker das bezeichnen, ›eher praktisch begabt‹ sind.« (S. 55)

»Jeder auf seinem Platz!« Selten hat es eine so unverblümte Wiederbelebung der ständischen Gesellschaft gegeben. Fehlt nur noch, dass Sarrazin das Dreiklassenwahlrecht als standesgemäße Förderung generativen Verhaltens wiederentdeckt.

Da Bildungsanstrengungen die vorgegebene Intelligenz ganzer Bevölkerungsgruppen, Religionsgemeinschaften oder Völker für Sarrazin nur »akzentuieren« können, sieht er es als staatliche Aufgabe (!!!) an, in das Geburtenverhalten schichtenspezifisch einzugreifen. Und zwar nach einer ganz einfachen Formel: Oben = gut ––> mehr davon. Unten = schlecht ––> weniger davon.

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