Ambulante Versorgung stärken

„Skandalös und nicht akzeptabel“ – deutliche Worte fand die Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) für die komplett ausgebliebene Reaktion des BMG auf den Forderungskatalog der niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten von Mitte August. 

KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Andreas Gassen warnte in seiner Rede erneut vor einem Praxissterben. Er kritisierte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach scharf: „Die Nicht-Antwort des Ministers spricht Bände und ist offen gesagt armselig. Sie bestätigt all unsere Befürchtungen, dass dieser Gesundheitsminister nicht nur auf dem ambulanten Auge blind ist, sondern offenkundig auch völlig taub für die Belange der Praxen.“

Dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) warf der KBV-Chef vor, die Selbstverwaltung zu missachten. „Wer sich auf die Versprechen von Minister Lauterbach verlässt, der ist verlassen. Das BMG zeigt kein Interesse mehr an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung, um vielmehr wie weiland Ulla Schmidt sukzessive den Turn zur Staatsmedizin mit der Brechstange durchzusetzen“, sagte Gassen.

Er appellierte erneut an den Gesundheitsminister, endlich die überfällige Entbudgetierung aller vertragsärztlichen und -psychotherapeutischen Leistungen in die Tat umzusetzen.

Der stellvertretende KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Stephan Hofmeister mahnte den überbordenden Bürokratie-Aufwand in den Praxen an. Als Beispiel nannte er den Meldeaufwand bei Corona-Impfungen und appellierte an das BMG, diesen zu reduzieren: „Fast drei Jahre nach Beginn der Pandemie wird es endlich Zeit, die überbordenden Meldevorgaben abzuschaffen und das Prozedere an das bei anderen Impfungen anzugleichen.“

Hofmeister bemängelte, dass das BMG nicht an den Eckpunkten des von der Bundesregierung in Meseberg beschlossenen Bürokratieentlastungsgesetzes mitgewirkt habe. „Das BMG wiederum will bis zum 30. September eigene Empfehlungen zum Bürokratieabbau vorlegen“, so der KBV-Vize. „Wenn das Versprechen der Bundesregierung und die Ankündigungen des Gesundheitsministers in Sachen Bürokratieentlastung Substanz beweisen würden, dann wäre das ein echter Beitrag gegen den ´Praxenkollaps´!“

Der KBV-Vize monierte, dass sich das Misstrauen des BMG gegenüber der Selbstverwaltung auch im Hinblick auf den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) einer Richtlinie zur strukturierten Ersteinschätzung in der Notaufnahme zeige. „Nicht genug damit, dass das BMG die Inhalte der Richtlinie abkanzelt, es stellt darüber hinaus teilweise schon lange praktiziertes Vorgehen in Notaufnahmen in Frage, etwa die Weiterleitung von Patienten in die vertragsärztliche Versorgung“, sagte Hofmeister. „Die Politik will offenbar schlichtweg keine Steuerung, sondern erhält oder fördert einen ungebremsten Zugang in die stationäre Versorgung.“

Auch KBV-Vorstandsmitglied Dr. Sibylle Steiner übte erneut scharfe Kritik am BMG: „Das Vertrauen der Vertragsärzte und -psychotherapeuten in die aktuelle Gesundheitspolitik geht gegen Null.“ Laufende Gesetzesvorhaben gingen an die Substanz der Freiberuflichkeit und Selbstverwaltung.

Beim Krankenhaustransparenzgesetz wolle das BMG etwa den G-BA umgehen und direkt auf das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) zugreifen – ohne aber selbst dafür bezahlen oder für die Ergebnisse haften zu müssen. Minister Lauterbach warf sie deshalb eine „Aushöhlung der Selbstverwaltung“ vor.

Ein ähnliches Muster erkennt Steiner bei der TI-Finanzierung: Mit der per Rechtsverordnung festzulegenden Pauschale wolle man „vollends am System vorbei durchregieren.“ Ohnehin sei die TI-Pauschale „nach wie vor zu niedrig und wird bei Fehlen einer Anwendung weiterhin unverhältnismäßig gekürzt.“ Steiners Fazit: „Eine Politik, die die Praxen sehenden Auges in den Kollaps lenkt.“

 

Anmerkungen

Diese Presseerklärung der KBV ist selbstverständlich interessengeleitet. Es ist nämlich die Aufgabe und das gute Recht der KBV, die Interessen der Ärzte unmißverständlich zu formulieren und nach Möglichkeit jedenfalls mit Kompromissen umzusetzten. Selbstverständlich sollte auch sein, begründete Forderungen der KBV nicht etwa zu mißachten, sondern das Gespräch frei von ideologischen Scheuklappen zu suchen. Darüber hinaus wird der KBV bewusst sein, dass gegenläufige Interessen ebenfalls gehört und thematisiert werden müssen. Dazu gehört unbedingt der unzulässige Eingritt in die Befugnisse der Selbstverwaltung.
Wer das Gespräch sucht, gleichzeitig aber den potentiellen Gesprächspartner unter der Gürteilinie beschimpft, stellt sich schnell ins Abseits, so berechtigt seine Forderungen auch sein mögen.
Verbale Abrüstung ist daher im eigenen Interesse notwendig.
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