Profiteure der Gesundheitsversorgung

 

Gesundheit und Pflege sind ein Teil des Koalitionsvertrages. Die Absichten hierzu lassen erkennen, dass die Koalition eine Geisterfahrt beginnen will, die bestenfalls in der Sackgasse endet, im schlimmsten Fall jedoch Kranken- und Pflegeversicherung zerstört.

Angeblich sollen Versicherte und Patienten gemäß Koalitionsvertrag in den Mittelpunkt gestellt werden. Wer kennt den Slogan nicht: „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt“. Aber weil er im Mittelpunkt steht, steht er im Weg und muss an den Rand gedrängt werden. So auch die Versicherten, also die Arbeitnehmer und Rentner. Da aber alle Menschen nach Ansicht dieser Koalition nicht gleich sind, sollen  Arbeitgeber, Apotheker, Ärzte und Zahnärzte bevorzugt behandelt werden. Offensichtlich sind sie die neue Mitte. Jetzt wird auch der Satz im Koalitionsvertrag verständlich, „eine hochwertige Gesundheitsversorgung muss vom Menschen her gedacht werden. Dafür ist ein Umdenken erforderlich.“

Umdenken für mehr Profit bevorzugter Gruppen, so muss wohl hinzugefügt werden.

Inhaltsverzeichnis

Versicherungsschutz

“Die Versicherten sollen auf der Basis des bestehenden Leistungskatalogs soweit wie möglich ihren Krankenversicherungsschutz selbst gestalten können.“ Dieser Satz hat es in sich, besagt er doch, dass Versicherte wie in der privaten Krankenversicherung(PKV) wählen können, wie umfangreich der Versicherungsschutz sein soll. Wer viel zahlen kann, erhält viel, wer wenig zahlen kann, erhält wenig. Wem das plausibel erscheint, vergisst dabei, dass es das bisherige Solidarprinzip ist, welches unabhängig von Einkommen, Alter und Gesundheitsrisiko die gleiche Versorgung gewährleistet. Dieses Solidarprinzip wird entsorgt und stattdessen das Individualprinzip eingeführt. Im Ergebnis wird damit die gesetzliche Krankenversicherung privatisiert. Wer weiß, welch hohe Beiträge ältere und gesundheitlich vorbelastete PKV-Versicherte  zahlen müssen, kann sich ausrechnen, dass der bisherige Versicherungsschutz künftig für viele Einkommensbezieher nicht mehr bezahlbar sein wird. Die Gesundheit wird dem Profitdenken geopfert.

Beitrag zur Krankenversicherung

Der Beitrag der Versicherten soll künftig einkommensunabhängig gezahlt werden, während der Arbeitgeberanteil unverändert bleiben soll, obwohl der Beitragssatz über die Jahre vergleichsweise stabil geblieben und allein deswegen eine grundlegende Änderung der Finanzierung unnötig ist. Damit wird die Kopfpauschale eingeführt, die in der Höhe des Beitrags nicht mehr nach der Höhe des Einkommens differenziert. Wer ein Einkommen von 5000Euro hat, zahlt genauso viel wie ein Einkommensbezieher von 1000Euro. Auf der Grundlage des jetzigen Beitragssatzes von 14,9% des Einkommens (Versicherte: 7,9% einschließlich Sonderbeitrag von 0,9%, Arbeitgeber: 7%) könnte sich eine Pauschale von 220Euro ergeben. Bei 1000Euro Einkommen sind es jetzt 79Euro, während bei 5000Euro bisher 292Euro zu zahlen sind(7,9% von 3700Euro). Höhere Einkommen werden also entlastet, während niedrige Einkommen erheblich belastet werden. Das ist Umverteilung von unten nach oben und das genaue Gegenteil von Solidarität.

Keine paritätische Zahlung

Da Arbeitgeber bei künftigen Kostensteigerungen nicht mehr zahlen müssen, schließlich bleibt es bei 7%, werden ausschließlich die Versicherten zur Kasse gebeten. Die Höhe von 220Euro als Kopfpauschale ist also erst der Anfang. Wer einen solchen Betrag nicht mehr zahlen kann, muss dann einem deutlich eingeschränkten Versicherungsschutz wählen und die nicht versicherten, aber notwendigen Behandlungen im Krankheitsfall selbst zahlen. Aber wie?

Kostenerstattung, Festbeträge

Schon die jetzt bestehenden Möglichkeiten der Kostenerstattung gehen in die falsche Richtung, weil sie der solidarischen Krankenversicherung ebenso wie die  Wahltarife im Prinzip fremd sind. Sie künftig auszuweiten, ist allerdings nur konsequent.

Aber auch die bereits bestehenden Festbeträge sollen erweitert werden. Für ein Hörgerät z.B. gibt es einen Festbetrag von 420Euro unabhängig vom Preis des Geräts, der durchaus 1500Euro betragen kann. Wer mit einem billigen Ungetüm und veralteter Technik nicht einverstanden ist, muss daher kräftig zuzahlen, wenn er dazu in der Lage ist. Solche Zuzahlungen sollen offensichtlich zu Lasten der Versicherten deutlich ausgeweitet werden. Wer wird das noch bezahlen können?

Ärzte, Apotheker

„Die Gebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte wird an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst. Dabei sind Kostenentwicklungen zu berücksichtigen.“ So steht es im Koalitionsvertrag.  Im Klartext heißt das, dass Ärzte und Zahnärzte künftig bessere Verdienstmöglichkeiten haben werden. Um nicht missverstanden zu werden: Selbstverständlich ist dies den Ärzten zu gönnen, wenn sie im Interesse ihrer Patienten handeln. Nicht einzusehen ist jedoch die Schieflage der Maßnahmen, die bei den Versicherten zu erheblichen Einkommenskürzungen führt.

Apotheker sollen ebenfalls bevorzugt werden, da sie „für eine gute Arzneimittelversorgung eine zentrale und wichtige Rolle spielen.“ Wettbewerb, der sonst favorisiert wird, ist daher bei Arzneimitteln nicht vorgesehen. Die Apotheken werden geschützt und gleichzeitig wird der Arzneimittelmarkt dereguliert mit der Folge, dass die bereits ausufernden Ausgaben für Arzneimittel weiter steigen werden.

Beitrag zur Pflegeversicherung

Wie schon bei der Rentenversicherung mit der Riesterrente soll auch die Pflegeversicherung teilprivatisiert werden. Es soll nämlich eine „Ergänzung durch Kapitaldeckung“ erfolgen, die selbstverständlich allein von den Versicherten zu finanzieren ist. Freuen können sich die privaten Versicherungsunternehmen, denen zusätzliche Gewinnmöglichkeiten eröffnet werden, zumal diese Ergänzung verpflichtend sein soll. Das passt zwar nicht zusammen, weil es dann bei der bisherigen Finanzierung im Umlageverfahren hätte bleiben können, ist aber angesichts der Klientelpolitik dieser Koalition nur folgerichtig. Es ist aber schon ein Stück aus dem Tollhaus, wenn es dann noch heißt: „Die Veränderung der Finanzierung eröffnet Chancen, die Leistungen der Pflegeversicherung langfristig zu dynamisieren.“ Soviel Perfidie hätte ich nicht erwartet.

Fazit

Die Vereinbarungen zur Kranken- und Pflegeversicherung, von denen nur einige beispielhaft erwähnt sind, führen zur Endsoldarisierung,  ebnen den Weg zur Privatisierung und haben bis auf privilegierte Gruppen erhebliche Belastungen der Versicherten zur Folge. Mehr netto vom brutto gilt deswegen nur für diese Privilegierten. Arbeitnehmer und Rentner werden weniger netto vom brutto haben. Freuen können auch sich die Versicherungsunternehmen und die Pharmaindustrie, die erheblich profitieren werden.

„Wir haben die Kraft“ ist tatsächlich die Kraft des Kapitals, die diese Koalition zu ihrem Handlanger gemacht hat.

Rolf D.Aschenbeck

Gastkommentar Norbert Blüm

Mit der Kopfpauschale ging die CDU in der Bundestagswahl 2005 baden. 2009, nach der Bundestagswahl, versucht sie es wieder mit dem einkommensunabhängigen Beitrag zur Krankenversicherung, der für alle gleich hoch sein soll. Wenn der Chef den gleichen Beitrag zur Krankenversicherung zahlt wie sein Chauffeur und der Meister den gleichen wie der Hausmeister, musst Du nicht Plato, Aristoteles oder Kant gelesen haben, um das für ungerecht zu halten. Es genügt der gesunde Menschenverstand. Der hat für solche Fälle seit alters her die Faustformel: „gleiches gleich und ungleiches ungleich zu behandeln“.

Die Kopfpauschale behandelt Ungleiches gleich. Mit der Kopfpauschale soll die gleiche Geldsumme aufgebracht werden, die bisher mit dem einkommensproportionalen Beiträgen für die Krankenversicherung beschafft wurde. Die Kopfpauschale wirkt wie eine Durchschnittsregel, der Durchschnitt entsteht, indem die einen mehr, die anderen weniger zahlen. Mehr zahlen die, welche weniger verdienen, und weniger zahlen die, welche mehr verdienen. Das ist die Logik der Kopfpauschale. Sechs Punkte lassen sich als ihr Ergebnis festhalten, und sie fallen allesamt negativ aus.

Erstens: Die Kopfpauschale ist ein Schlag gegen die Gerechtigkeit. Der soziale Ausgleich, der bisher mit Hilfe des einkommenproportionalen Beitrags krankenversicherungsintern zustande kam, soll jetzt durch das Finanzamt organisiert werden. Die einkommensschwachen Versicherten sollen einen staatlichen Zuschuss zu ihrer Kopfpauschale erhalten.

Zweitens: Die Kopfpauschale löst mehr Staat und Transfer aus. Oberhalb der Einkommensgrenzen, bis zu der staatlicher Zuschuss gezahlt wird, bleibt es bei der nivellierenden Wirkung der Kopfpauschale, die alle Einkommensunterschiede über einen Kamm schert. Die mittleren Einkommen zahlen die Zeche. Die sollten eigentlich durch die Steuerreform besonders entlastet werden.

Drittens: Die Finanzierung des steuerfinanzierten Zuschusses steht im Widerspruch zu den Zielen der Steuerreform. Bei Ermittlung der Zuschussbedürftigkeit kann die Lohnhöhe nicht das einzige Kriterium sein. Ein Teilzeit arbeitender Millionär würde sonst zum Zuschussberechtigten erklärt. Also müssen alle Einkommensverhältnisse der Zuschussempfänger aufgeblättert werden. Hartz IV lässt grüßen. Der Sozialstaat mendelt sich so zur allgemeinen Bedürfnisprüfungsanstalt.

Viertens: Die Kopfpauschale hat mehr Bürokratie im Gefolge. Der Arbeitgeberanteil an der Finanzierung der Krankenversicherung soll eingefroren werden. Damit zahlen die Arbeitnehmer alle zukünftigen Kostensteigerungen allein. Die Arbeitgeber sind aus der Anstrengung zur Dämpfung der Gesundheitskosten entlassen. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände kann ihr Mitglied Pharmaindustrie von der Kette lassen. Die Entwicklung der Gesundheitskosten interessiert die Arbeitgeber fortan nicht mehr.

Fünftens: Das Festschreiben des Arbeitgeberbeitrages mindert den Druck auf die Kostensenkung. Die paritätische Finanzierung der Sozialversicherung und die Selbstverwaltung waren die Schule der Sozialpartnerschaft. In ihr wurde der Interessenausgleich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eingeübt. Nach der Riester-Rente wird der schleichende Ausstieg aus der gemeinsamen Verantwortung der Sozialpartner für den Sozialstaat fortgesetzt. Der Krankenversicherung folgt die Pflegeversicherung. Die Pflegeversicherung soll durch eine kapitalgedeckte private Zusatz-Pflichtversicherung ergänzt werden, die nur von den Arbeitnehmern bezahlt werden soll.

Sechstens: Die Sozialpartnerschaft wird langsam, aber stetig plattgemacht. Am Ende des Weges steht das Bündnis der Verstaatlicher und der Privatisierer. Die einen brauchen den anderen. Die Verstaatlicher bedürfen der Privatisierer, weil sie die Aufgabe einer relativen Lebensstandardsicherung nicht lösen können. Die Privatisierer sind auf die Verstaatlicher angewiesen, denn sie haben keine Antwort auf das Armutsproblem. Armut ist nämlich kein Geschäft.

Siebtens: Die Kopfpauschale und ihre Folgen führen in einen anderen Sozialstaat. Auf der Strecke bleibt die subsidiäre Solidarität, wie sie in einer auf Gegenseitigkeit angelegten und mit sozialem Ausgleich ausgestatteten Sozialversicherung erforderlich ist.

Eine Reform des Sozialstaats müsste auf mehr staatsfreie, selbstverwaltete Solidarität zielen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Geisterfahrer haben Vorfahrt.

 

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