Medienstaatsvertrag

Die EU-Kommission prüft den deutschen Medienstaatsvertrag. Wie es aussieht, könnte sie ihn zu Fall bringen. Aus obskuren Gründen. Die Folgen wären fatal. Lesen Sie den Artikel von Michael Hanfeld, der FAZ entnommen.

Fünf Jahre haben die Bundesländer an einem Werk gearbeitet, das Epoche machen soll, nämlich dem Medienstaatsvertrag. Für epochal darf man ihn tatsächlich halten, denn er passt das Medienrecht an eine Lage an, die es längst gibt. Anders als bei seinem Vorgänger, dem Rundfunkstaatsvertrag von 1991, geht es nicht mehr nur um Sender, Rundfunk und Medienanbieter, sondern um die Mächtigsten der Mächtigen – Google, Microsoft, Facebook und die Telekom-Konzerne –, also um diejenigen, die in der digitalen Welt das große Rad drehen. Diese werden endlich in die Verantwortung genommen, sollen transparent sein, dürfen Inhalte nicht diskriminieren und unterliegen der Medienaufsicht. Doch wie es aussieht, könnte daraus doch noch nichts werden – weil die EU-Kommission den Medienstaatsvertrag kippt. Sie ist im Begriff, die deutsche und die europäische Mediengesetzgebung – man muss es so sagen – zu vernichten. Die weltumspannenden Digitalkonzerne hätten dann freie Hand.

Positionen der EU-Kommission

Es hat jedenfalls seinen Grund, dass Heike Raab (SPD), Staatssekretärin in Mainz, Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder und zurzeit Vorsitzende der Europaministerkonferenz, gestern einen Brandbrief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und die für Digitalisierung zuständige Kommissarin Margrethe Vestager geschickt hat. In diesem bitte sie „inständig“ darum, dass die Kommission ihre „Positionierung“ überdenkt.

Welche Positionierung ist das? Es ist eine, die auf einer Ausarbeitung beruht, die befindet, der Medienstaatsvertrag widerspreche der E-Commerce-Richtlinie der EU. Diese Richtlinie stammt aus dem Jahr 2000 und stellt Plattformanbieter von der Haftung für bei ihnen verfügbare Inhalte weitgehend frei. Sie stammt aus einer Zeit, in der sich die Politik der Gefahren unregulierter Plattformen noch nicht bewusst war. Das hat sich in Zeiten von Hate Speech, Fake News, Rassismus und Populismus radikal geändert, heute hat selbst der Facebook-Chef Mark Zuckerberg erkannt, dass sein Netzwerkkonzern gesellschaftspolitische Verantwortung trägt.

Diese kennt die E-Commerce-Richtlinie nicht. Sie befindet sich deshalb auch längst in der Überarbeitung. So plant die EU-Kommission unter anderem, eine europäische Regulierungsbehörde für das Internet ins Leben zu rufen. Die Vorlage, mit der sich das EU-Kabinett am kommenden Montag beschäftigt, beruft sich nun allerdings wieder auf die digitalpolitische Steinzeit und impliziert, man dürfe Plattformen gar keine Schranken setzen. Es sei auch gar nicht erwiesen, dass die „Gatekeeper“, also die Plattformkonzerne, Einfluss auf die Meinungsvielfalt hätten. Daher dürfe man sie nicht dazu anhalten – wie es der Medienstaatsvertrag tut –, Nutzern gegenüber Transparenz bei der Auswahl der von ihnen verbreiteten Inhalte herzustellen und Inhalte nicht zu diskriminieren.

Medienvielfalt

Machte man sich diese Ansicht zu eigen, die der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundlegend widerspricht, wäre die gesamte deutsche Medienpolitik in Bund und Ländern Makulatur – die Landesmediengesetze, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, die Überlegungen zum Jugendschutz im Internet und das sich aus der erst im vergangenen Jahr beschlossenen EU-Urheberrechtsrichtlinie ergebende nationale Urheberrechtsgesetz, das vom Bundesjustizministerium gerade überarbeitet wird.

Nähme das EU-Kabinett die Vorlage zum Medienstaatsvertrag, von der die Bundesländer vorab eigentlich gar nicht erfahren sollten, an, wäre nicht nur dieser Grundlagenvertrag null und nichtig, die jetzige EU-Kommission würde zugleich all die Bemühungen ihrer Vorgänger zunichtemachen.

Heike Raab drückt dies in ihrem Schreiben an Ursula von der Leyen und Margrethe Vestager mit der gebotenen Höflichkeit, aber klar und deutlich aus: „Die nun in der Kommission möglicherweise diskutierte weitgehende Anwendung der vor allem wirtschaftsbezogenen Vorgaben der e-commerce-Richtlinie im Bereich medialer Vielfaltsicherung“, heißt es dort, „würde eine sinnvolle und vom Gedanken größtmöglicher Vielfalt getragene Medienregulierung der Mitgliedstaaten zukünftig praktisch unmöglich machen.“

Diskriminierungsverbot

In einem Brief, den die EU-Abgeordneten Petra Kammerevert (SPD) und Sabine Verheyen (CDU) an die EU-Kommission geschickt haben, lautet es ganz ähnlich: dass Regeln für ein Diskriminierungsverbot medialer Inhalte auf den großen, zumeist von amerikanischen Konzernen geführten Plattformen im Netz nicht nur für die Sicherung der Medienvielfalt in Deutschland unerlässlich seien, sondern in ganz Europa. Nähme die EU-Kommission die Vorlage gegen den Medienstaatsvertrag an, zerstöre dies nicht nur die Balance zwischen Wirtschafts- und Medienrecht in Europa, so die beiden Abgeordneten, sondern vergifte auch jede weitere Diskussion über Digitalgesetzgebung zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament.

Wollte man an Verschwörungen glauben, könnte man denken, eine Vorlage wie diese könne sich nur Google selbst ausdenken. Komisch war ja schon der zwischenzeitlich auf obskuren Wegen dem Medienstaatsvertrag hinzugefügte Absatz, der den Plattformkonzernen erlaubt, Inhalte zu diskriminieren, wenn diese mit der Abgeltung von Urheberrechten verbunden sind. Diskriminierung bei Suchergebnissen sei okay, stand da, wenn „der Intermediär diese aufgrund urheber- beziehungsweise leistungsschutzrechtlicher Regelungen nicht vergütungsfrei anzeigen darf oder kann“. Auch das wäre die endgültige Absicherung des Geschäftsmodells der amerikanischen Plattformkonzerne.

Grundwerte der EU

Mit der Tischvorlage der EU, sagt Tobias Schmid, der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, „würden alle Bemühungen in Frage gestellt, den Plattformen ein eigenes europäisches Verständnis einer demokratischen Medienordnung entgegenzustellen. Da ist ja der Facebook-Chef Herr Zuckerberg weiter, der selbst eine klarere Regulierung seiner Plattform durch die Gesetzgebung fordert.“ Im Medienstaatsvertrag, schreibt Heike Raab der EU-Kommission, gehe es um „zentrale Fragen und Herausforderungen einer digitalisierten Medienwelt. Regelungen, die eine diskriminierungsfreie Verbreitung von Medieninhalten (TV, Radio, Presse) gerade auch über die großen, zumeist US-amerikanischen Plattformen gewährleisten“. Diese seien „essentiell für eine vielfältige Medienlandschaft in Deutschland und in Europa“.

Man könnte auch sagen: Es geht einmal mehr um alles – um bürgerliche Freiheiten und Rechte, um die Grundwerte der EU und darum, diese gegen das abermilliardenschwere Geschäftsinteresse digitaler Megakonzerne zu verteidigen.

PS: Die Entscheidung der EU-Kommissare sollte am 27.April erfolgen. Wir werden darüber mit einer Ergänzung dieses Artikels berichten.

 

Hier die zugesagte Ergänzung, heise online entnommen:

Neben dem Pornowerbeverbot, welches jetzt eingeschränkt worden ist, ist auch die nicht minder umstrittene Ausnahme vom geplanten Diskriminierungsverbot von „journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten“ für Suchmaschinen nicht mehr im Entwurf. Suchmaschinen dürfen Inhalte von Presseverlegern nicht benachteiligen. Dies sollte ursprünglich nicht gelten, wenn ein Betreiber bestimmte Angebote in den Suchergebnissen „aufgrund urheber- bzw. leistungsschutzrechtlicher Regelungen nicht vergütungsfrei anzeigen darf oder kann“.

Die Verwertungsgesellschaft VG Media, die neben privaten Rundfunksendern auch mehrere hundert digitale verlegerische Angebote vertritt, war gegen diese Passage Sturm gelaufen. Wer sein mit der EU-Urheberrechtsreform verknüpftes Leistungsschutzrecht durchsetzen wolle, werde gar nicht mehr verbreitet oder lande auf den hinteren Rängen, befürchtete der Zusammenschluss.

Die Länder haben die Klausel daher allgemeiner gefasst und den direkten Bezug zum Leistungsschutzrecht entfernt: Insbesondere rechtstreues Verhalten oder „das Befolgen anderweitiger gesetzlicher Verpflichtungen“ könne einen „sachlichen Grund“ für einen Betreiber darstellen, „zugunsten oder zulasten eines bestimmten Angebots systematisch“ vom Diskriminierungsverbot abzuweichen, heißt es nun. Entsprechende Vorgaben können sich etwa aus jugendschutz-, straf-, persönlichkeits- oder urheberrechtlichen Bestimmungen ergeben.

Mit ihrem Prestigeprojekt wollen die Länder hauptsächlich Internet-Plattformen auch mit nutzergenerierten Inhalten strenger regulieren. Nach Ansicht von Kritikern verstößt der Medienstaatsvertrag aber gegen EU-Recht wie die E-Commerce-Richtlinie oder die neuen Vorschriften für audiovisuelle Medien und die darin unter anderem enthaltenen Haftungsprivilegien für Diensteanbieter. Das Normenwerk dürfte daher trotz des wackeligen Plazets der Kommission rasch vor dem Europäischen Gerichtshof landen, der es in Teilen für unanwendbar erklären könnte.

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