Zukunft der Pflegeversicherung

Die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung und deren Leistungen müssen mit den Entscheidungen des Deutschen Bundestages mittel- und langfristig gesichert werden. Langfristig heißt länger als eine Legislaturperiode, am besten mehr als zwei Perioden. Die vorgesehenen Entscheidungen bestimmen dann die weitere Entwicklung bis zum Jahr 2060. Lesen Sie die Pressemitteilung des Deutschen Bundestages.

Als Unterrichtung (20/12600) liegt dem Bundestag der Bericht der Bundesregierung „Zukunftssichere Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung – Darstellung von Szenarien und Stellschrauben möglicher Reformen“ vor. Mit diesem Bericht zur langfristigen Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung liegen den Autoren zufolge „datengestützte Darstellungen möglicher Szenarien für eine systemische Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung, die damit verbundenen Langfristprojektionen zu ihrem Finanzierungsbedarf bis zum Jahr 2060 sowie mögliche Stellschrauben auf der Ausgaben- sowie Einnahmenseite mit entsprechenden Finanzwirkungen vor“.

Ausgangspunkt der dem Bericht zugrunde liegenden Überlegungen für eine langfristige Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung war den Angaben zufolge die Analyse des aktuellen Systems. Danach wird der weit überwiegende Teil der pflegebedürftigen Menschen ambulant versorgt:

Von den rund 5,2 Millionen pflegebedürftigen Menschen wurden Ende 2023 über 4,,4 Millionen (84,6 Prozent) Menschen überwiegend durch Angehörige gepflegt, rund 700.000 (rund 13 Prozent) Menschen wurden vollstationär und rund 140.000 (rund 2.7 Prozent) in stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe versorgt.

Die Gesamtausgaben der sozialen Pflegeversicherung lagen im Jahr 2023 bei rund 59,2 Milliarden Euro, wie aus der Unterrichtung weiter hervorgeht. Die Ausgaben für die ambulanten Leistungen beliefen sich danach auf rund 36,2 Milliarden Euro, für stationäre Leistungen lagen sie bei rund 19,7 Milliarden Euro (ohne stationäre Einrichtungen der Eingliederungshilfe rund 19,3 Milliarden Euro).

Redaktion: Daraus ergibt sich, dass die ambulanten Leistungen relativ geringer sind als die stationären Leistungen. Der notwendige Vorrang verbesserter ambulanter Pflege kann damit nicht erreicht werden, obwohl er auch im Interesse der Pflegebedürftigen unausweichlich ist. Für diesen Fall bietet der Bericht der Bundesregierung nicht die erforderliche Perspektive, zumal das Kostenargument nicht trägt.

Wie die Autoren ausführen, stellt der demografische Wandel für das Umlageverfahren, in dem die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung erfolgt, eine besondere Herausforderung dar: „Zum einen geht damit ein erwartbarer Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials einher, das zu einem weit überwiegenden Teil die Einnahmesituation der sozialen Pflegeversicherung bestimmt. Zum anderen werden neben der Tatsache, dass die Zahl der Pflegebedürftigen über das demografiebedingt erwartbare Maß steigt, auch die Babyboomer in den kommenden Dekaden potenziell zu Leistungsempfängerinnen und Leistungsempfängern, was den Druck auf die Ausgabenseite nochmals erhöht“, heißt es dazu in der Vorlage weiter.

Redaktion: Der auch sonst übliche Hinweis des demografischen Wandels zur Rechtfertigung von Leistungseinschränkungen wird wiederum als Rechtfertigung genommen und versperrt u.a. notwendige Reformen zur Verbesserung der Pflegeversicherung, vergleichbar denen in der gesetzlichen Krankenversicherung zugunsten der Versicherten. Wesentlich ist darüber hinaus die Umwandlung der Plegeversicherung von einer Teilversicherung in eine Vollversicherung mit der Maßgabe, dass auch die  Pflegebedürftigen in Altenpflegeheimen lediglich die Kosten der Unterbringung zahlen, wie es jetzt schon bei der ambulanten Pflege der Fall ist. Im Bericht der Bundesregierung wird zwar eine solche Umwandlung thematisiert, aber nicht als Ziel, sondern lediglich als eine Möglichkeit.

In der Gesamtschau führt dies dem Bericht zufolge bei einem unveränderten Beitragssatz und gleichzeitiger Konstanthaltung des Realwertes der Leistungen zu einem Auseinanderlaufen von Ausgaben und Einnahmen der Pflegeversicherung. Hierdurch würden sowohl die Finanzierbarkeit als auch die Leistungsfähigkeit gefährdet. Darüber hinaus gefährdeten Preis- und Lohnentwicklung, und damit einhergehende steigende Eigenanteile die Akzeptanz des Teilleistungssystems.

Daneben verweisen die Autoren darauf, dass die Empfängerzahlen und die Ausgaben der sozialen Pflegeversicherung durch die „zum Teil deutlichen Leistungsausweitungen“ vor allem in der letzten Dekade stark gestiegen sind. Gleichzeitig stiegen die pflegebedingten Eigenanteile in der vollstationären Pflege respektive die Zuzahlungen in der ambulanten Pflege weiter. Dies führe zunehmend zu einer finanziellen Überforderung pflegebedürftiger Menschen. Ursächlich hierfür seien insbesondere „die krisenbedingte Verteuerung der Sachkosten, die gesetzlich verpflichtende Bezahlung von professionell Pflegenden auf Tarifniveau, sowie die gesetzlichen Vorgaben für die personelle Ausstattung und der gleichzeitig wirkende Fachkräfteengpass in der Pflege“.

Redaktion: Die Autoren des Berichts müssen sich schon entscheiden, wie künftig mit der Kostenentwicklung umgegangen werden sollte. Eine Teilfinanzierung durch Renditen eines Kapitalfonds, also eine Teilprivatisierung der sozialen Pflege, ist jedenfalls nicht die Lösung, zumal völlig unklar ist, wer dann im Umgang mit der Pflegeversicherung welche Befugnisse hat; z.B. um die Rendite zu erhöhen.

Leistungsausweitungen sind im übrigen nicht erfolgt; es sei denn, die gestiegene Zahl der Pflegebedürftigen und die damit notwendige Leistungsausweitung wird fälschlich als „deutliche Leistungsausweitung“ bewertet.

In dem Bericht werden zugleich „Grundszenarien möglicher Ausgestaltungsoptionen eines zukünftigen Systems“ aufgezeigt. Ausgehend vom Teilleistungscharakter und der Umlagefinanzierung des jetzigen Systems (inklusive ergänzender Kapitaldeckung zur Beitragssatzstabilisierung) seien alternative Ausgestaltungsoptionen entwickelt worden. „In der Kombination der systemprägenden Elemente Teil- versus Vollleistungssystem und Umlage- versus Kapitaldeckungsverfahren (mit Augenmerk auf Demografiefestigkeit) ergeben sich vier Grundszenarien für die konstitutive Ausgestaltung der sozialen Pflegeversicherung, wird dazu in der Vorlage des Weiteren ausgeführt.

Damit werden den Autoren zufolge die Möglichkeiten unterschiedlicher Reichweiten der Absicherung des Risikos Pflegebedürftigkeit von einer sozialen Teilabsicherung bis hin zur sozialen Vollabsicherung dargelegt. Diese könnten laut Unterrichtung jeweils über eine verpflichtende ergänzende Kapitaldeckung in unterschiedlicher Organisationsform und Ausprägung bis hin über ein reines Umlageverfahren finanziert werden. Je nach Ausgestaltung seien die künftige Finanzierungslücke sowie der sich daraus ergebende notwendige Reformbedarf in der sozialen Pflegeversicherung auf der Ausgaben- und Einnahmenseite kleiner oder größer.

Redaktion: Die dargestellten Variationen der Finanzierung der Pflegeversicherung bis zum jahr 2060 verkennen den bereits jetzt bestehenden Pflegenotstand. Es muss klar sein, dass der Vorrang der ambulanten Pflege auch bestehen bleiben muss, wenn die Zahl der pflegenden Angehörigen abnimmt, was schon jetzt festzustellen ist. Mit den vorgesehenen Beratungen des Berichts auf parlamentarischer Ebene müssen zuerst die bereits bestehenden Defizite benannt werden, was im Bericht auch festzustellen ist, um danach sofort die notwendigen Maßnahmen noch in dieser Legislaturperiode einzuleiten.

 

Rolf Aschenbeck