Wechselfieber

Seit Febr.2010  müssen einige Krankenkassen von ihren Mitglieder einen Zusatzbeitrag von 8 Euro monatlich fordern, weil sie wie insbesondere die DAK großen Wert darauf legen, eine qualitativ bestmögliche Versorgung und einen ortsnahen Service sicher zu stellen. Da muss man sich dann schon wundern, warum Mitglieder wegen dieses unvermeidlichen Zusatzbeitrags lieber die Kasse wechseln, statt ihrer Gesundheit zuliebe bei einer guten Krankenkasse zu bleiben.

Nun behauptet die fdp, es sei Wettbewerb, wenn es ausschließlich auf den Preis (Beitrag) ankommt unabhängig von der Qualität der Versorgung. Abgesehen davon, dass die fdp nicht verstanden hat, dass es sich bei den gesetzlichen Krankenkassen nicht um Privatunternehmen handelt, sondern um Körperschaften des öffentlichen Rechts, wird Wettbewerb pervertiert, wenn er nur noch über den Preis geführt wird. Wer Billigware anbietet, mag bestimmte Kunden sporadisch gewinnen können, wird aber eine dauerhafte Bindung nicht erreichen. Mitglieder der gesetzlichen Krankenkassen sind aber keine Kunden, die mal hier und mal da einkaufen, sondern wollen für den Fall des Falles abgesichert sein und sich darauf verlassen können, dann die bestmögliche Versorgung zu erhalten. Gesundheit ist eben keine Ware, was die fdp glauben machen will, sondern unser höchstes Gut. Wer damit leichtfertig umgeht und nur wegen des Preises zum Wechsel auffordert, handelt unverantwortlich zu Lasten der Versicherten.

Berlin(WN) – Hunderttausende Versicherte haben den ersten Krankenkassen mit Zusatzbeiträgen den Rücken gekehrt. Im ersten Halbjahr gab es eine deutliche Kündigungswelle bei den ersten 16 betroffenen gesetzlichen Kassen. Das belegen Informationen aus Branchenkreisen, die der Nachrichtenagentur dpa am Freitag vorlagen.

Die DAK verließen bis 1. Juli rund 241 000 Mitglieder, wie ein DAK-Sprecher bestätigte. Inklusive beitragsfrei Mitversicherten gibt es sogar 307 000 weniger Menschen mit dem orangefarbenen DAK-Kärtchen. Rund 60 000 der Mitglieder seien der Kasse nicht durch Kündigungen verloren gegangen, sondern durch Todesfälle oder den Wechsel in die beitragsfreie Familienversicherung, so die DAK

Die KKH-Allianz verlor 147 000 Versicherte, davon 116 000 Mitglieder. Erstmals hätten auch viele Rentner und Hartz-IV-Empfänger gewechselt, sagte eine KKH-Allianz-Sprecherin. Früher zogen fast nur jüngere Gutverdiener zu Kassen mit niedrigeren Beitragssätzen.

Die BKK Gesundheit musste einen Aderlass von 20 Prozent ihrer Mitglieder hinnehmen. «Wir können das eindeutig auf den Zusatzbeitrag zurückführen, mittlerweile geht die Abwanderung zurück», sagte eine Sprecherin. Marktführer Barmer GEK verzeichnete dagegen ein Plus von 69 000 Versicherten, die Techniker Krankenkasse sogar von 238 000. Knapp 511 000 Versicherte gewannen die 14 AOKen seit Januar dazu. Diese Kassen brauchen keine Zusatzbeiträge.

Die KKH-Allianz äußerte sich optimistisch, 2011 wieder ohne Aufschlag auszukommen. Der DAK-Sprecher sagte, für Prognosen sei es zu früh. «Die angesprungene Konjunktur führt im kommenden Jahr auch zu einer Entspannung in der gesetzlichen Krankenversicherung», sagte Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) der dpa. Außerdem sollen die Beiträge von 14,9 auf 15,5 Prozent steigen.

 

Vermehrt Zusatzbeiträge und Sozialausgleich dürften aber ab 2012 die Kassenlandschaft weiter durcheinanderwirbeln. «Die Unterschiede bei der Liquidität der einzelnen Kassen sind groß», sagte der Essener Gesundheitsökonom Jürgen Wasem der dpa. Wer also mehr zahlen muss, dürfte dahin wechseln, wo es weniger kostet. Viele Kassen dürften unter Druck geraten. Wasem meinte, absehbar werde die Zahl der Kassen von derzeit 163 auf 100 sinken.

Mit Spannung erwarten Kassen und Koalitionsfraktionen den Gesetzesentwurf von Minister Philipp Rösler (FDP) nach dem Sommer. Die bisher auf maximal ein Prozent des Einkommens begrenzten Zusatzbeiträge sollen künftig unbegrenzt steigen können. Ein Ausgleich aus Steuern soll aber verhindern, dass Versicherte mehr als zwei Prozent ihres Einkommens zahlen.

 

Die Ersatzkassen warnen vor neuer Ungerechtigkeit. Im Fall vermehrter Zusatzbeiträge «werden Besserverdienende relativ weniger stark belastet als Menschen mit mittlerem und niedrigem Verdienst», sagte der Chef ihres Verbands vdek, Thomas Ballast, der dpa.

Die Kassen pochen auf stärkere Einsparungen. Die Vorsitzende des Kassen-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, sagte der dpa: «Mit den bisher bekannten Eckpunkten bleibt die Bundesregierung deutlich hinter ihren Einsparplänen zurück.» Nullrunden bei Ärzten und Kliniken könnten die Belastung von Versicherten merklich verringern. «Es ist unverständlich, dass die Koalitionäre selbst in so schwierigen Zeiten diejenigen schonen, die in den letzten Jahren massive Zuwächse verzeichnen konnten.

 

Die Linke griff die Bundesregierung an. Kassenwechsel, Insolvenzen und Fusionen seien Folge von Unterfinanzierung der Kassen, sagte der Gesundheitspolitiker Harald Weinberg. «Die Zahl der Krankenkassen in Deutschland könnte bald so schnell schrumpfen wie die Umfragewerte von Union und FDP.» Die FDP-Expertin Ulrike Flach verteidigte die Pläne: «Wettbewerb ist nichts, was Angst machen muss.» Künftig gebe es mehr Wettbewerb, ohne dass Geringverdiener überfordert würden.

 

 

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