Volksentscheid

Volksentscheide, die auf kommunaler Ebene Bürgerentscheide heißen, können als Instrument der direkten Demokratie die Willensbildung von unten nach oben verbessern. Auf den ersten Blick also eine gute Möglichkeit, Absichten der jeweiligen Landesregierung zu korrigieren, wenn bestimmten Interessen der Mehrheit der Bevölkerung Gehör verschafft werden soll.


Es ist klar, dass das Verfahren bis zum Volksentscheid geregelt sein muss. In allen Bundesländern ist deswegen ein dreistufiges Verfahren vorgesehen:

1.Volksinitiative bzw. Antrag auf Volksbegehren

2.Volksbegehren

3.Volksentscheid

Damit hören die Gemeinsamkeiten aber bereits auf. Je nach Bundesland sind bei einer Volksinitiative 10.000-70.000 Unterschriften notwendig, und zwar nicht in Abhängigkeit von der jeweiligen Bevölkerungszahl; das Unterschriftenquorum hat eine Bandbreite von 5%-20% der Wahlberechtigten; und der Volksentscheid ist gültig bei einem Quorum von 0%-50%. Daraus ergeben sich bereits höchst unterschiedliche Voraussetzungen, die es Minderheiten in einigen Bundesländern ermöglichen, sich gegen den Mehrheitswillen durchzusetzen.

Aber selbst wenn bei einem Volksentscheid ein Quorum z.B. von 20% der Wahlberechtigten notwendig ist wie bei der Entscheidung gegen die Primärschule in Hamburg, muss die Frage erlaubt sein, ob es demokratischen Prinzipien entspricht, wenn 20% der Wahlberechtigten den übrigen 80% ihren Willen aufzwingen können. Dazu zwei Beispiele:

1. In Bayern haben sich 37,7% der Wahlberechtigten an dem Volksentscheid zum absoluten Nichtraucherschutz beteiligt. Davon haben sich 61% für das Rauchverbot ausgesprochen, mithin 23% der Wahlberechtigten. Da in Bayern kein Quorum für einen Volksentscheid existent ist, hätte es auch gereicht, wenn sich z.B. bei einer Wahlbeteiligung von 20% die Mehrheit davon für das Rauchverbot ausgesprochen hätte.

2. In Hamburg haben sich 37,8% der Wahlberechtigten beteiligt. 56,2% davon haben gegen die Primärschule gestimmt, mithin 21,2 % aller Wahlberechtigten. Das Quorum von 20% wurde knapp überschritten. Bedenklich an dieser Entscheidung ist darüber hinaus, dass die Bessergestellten (Pfeffersäcke, so Ole von Beust) in den wohlhabenden Stadtteilen mobilisiert worden sind- von ihnen ging die Initiative auch aus- während die Bürger, die ein Interesse an längerem gemeinsamen Lernen (bis zur sechsten Klasse) hätten haben müssen, überwiegend durch Wahlenthaltung aufgefallen sind. Mit dieser Entscheidung sind Partikularinteressen gegen die Interessen der Mehrheit durchgesetzt worden.

Albrecht Müller: „Der Vorgang von Hamburg hat übrigens sehr viel mit der Kernaussage von „Meinungsmache“ zu tun:  Die Bessergestellten haben entdeckt, dass sie ihre Minderheitenposition in der demokratischen Gesellschaft dadurch korrigieren können, dass sie ihre Interessen mithilfe von Propaganda, mit viel Geld und publizistischer Macht durchsetzen. Diese Aushebelung des Gedankens der Demokratie ist das eigentliche Signal der Bedrohung.“

Nun kann man einwenden, dass jeder Wahlberechtigte die Möglichkeit gehabt hätte, zur Wahl zu gehen und damit eine andere Entscheidung herbeizuführen. Was ist aber, wenn die sogenannten bildungsfernen Schichten sich gar nicht vorstellen konnten, welche positiven Folgen eine andere Entscheidung gehabt hätte? Gerade sie müssen sich auf die Volksvertreter verlassen und darauf vertrauen, dass im Parlament sachverständig in ihrem Sinne gerungen und entschieden wird. Je komplexer eine Materie, umso weniger eignet sie sich wohl für Volksentscheide. Gäbe es einen bundesweiten Volksentscheid zu möglichen Einsparungen bei den Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen, würden sich 82% für Einsparungen vor allem bei den Verwaltungskosten aussprechen. Ein solches Votum wäre absurd, da die Personalkosten als hauptsächlicher Teil der Verwaltungskosten nicht einmal 5% der Gesamtausgaben betragen. Nebenbei: Bei den privaten Krankenkassen sind die Personalkosten fast dreimal so hoch!

 

Bei der Entscheidung für den absoluten Nichtraucherschutz ist nicht die komplexe Materie der Grund für die geringe Wahlbeteiligung gewesen, sondern das Kopfschütteln über eine Frage, die so überflüssig ist wie die Entscheidung selbst. Raucher und Nichtraucher hatten sich auch in Bayern längst auf eine friedliche Koexistenz geeinigt, die nun von verbohrten Fanatikern zerstört worden ist, zumal diese in der Sache nicht einmal Recht haben. Wenn z.B. behauptet wird, 3000 Menschen würden in Deutschland pro Jahr wegen des Passivrauchens sterben, muss gefragt werden, wie das festgestellt wird. Das kann man medizinisch nicht feststellen, denn es ist eine ideologiebefrachtete Behauptung ohne Substanz. In Schleswig-Holstein z.B. gibt es in Restaurants je einen Raum für Raucher und Nichtraucher, wenn die Räumlichkeiten es zulassen. Kein Mensch stört sich daran. Wer für den absoluten Nichtraucherschutz ist, muss das Rauchen auch in Biergärten, auf Bürgersteigen und in den Wohnungen verbieten wollen. Das wäre dann ein totalitärer Anspruch.

 

Bürgerentscheide, die die gleichen Abläufe haben wie Volksentscheide, sind lokale Ereignisse mit vergleichbaren Ergebnissen wie bei Volksentscheiden auf Landesebene. Im Bezirk Eimsbüttel in Hamburg ist der Bau eines „Hoheluftkontors“ per Bürgerentscheid verhindert worden, obwohl er den Stadtteil vorangebracht hätte. Nun bleibt eine hässliche Ecke mit McDonalds als Krönung bestehen. Dazu Mathis Neuburger in der Mopo vom 8.Juli 2010:

„Die Eimsbütteler haben jetzt das „Hoheluftkontor“ gestoppt. Ein weiterer Erfolg der Demokratie? Nein! Denn 77 Prozent sind der Abstimmung fern geblieben. Kann man das Demokratie nennen? Wohl kaum. In den Bezirken hat sich ein gefährlicher Trend entwickelt: Anwohner und schlagkräftige Gruppen stoppen per Abstimmung missliebige Bauprojekte. Die übergroße Mehrheit interessiert sich nicht für die Frage und enthält sich. Zur Wahl gehen die, die dagegen sind- und gewinnen haushoch. Wenige bekommen so sehr viel Einfluss.“

 

Wenn dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung mit Volksentscheiden nicht entsprochen wird, muss es Änderungen der jetzigen Grundlagen geben. Die Vereinheitlichung der unterschiedlichen Regelungen auf Landesebene ist dafür die notwendige Voraussetzung, um den bestehenden Flickenteppich zu beseitigen.  Es ist nämlich nicht zu akzeptieren, dass der Bürgerwille je nach Bundesland einen anderen Stellenwert hat. Insbesondere das Quorum bei Volksentscheiden muss bei der bisherigen Bandbreite von 0% bis 50%  bundesweit Partikularinteressen verhindern, darf aber wie im Saarland mit 50% der Wahlberechtigten auch nicht eine unerreichbare Hürde sein.  Es böte sich an, einheitlich ein Quorum von 30% auch bei Bürgerentscheiden einzuführen. Ein solcher Vorschlag wäre ein Kompromiss, der immer noch nicht dem Mehrheitswillen entspräche, aber immerhin die Durchsetzung von Gruppeninteressen weitgehend verhindern könnte.

Im übrigen: Im Parlament gibt es immer auch eine Opposition.


Rolf D.Aschenbeck

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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