Triage

Der Bundestag hat 10.Nov.2022 ein Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, mit dem die Zuteilung nicht ausreichend vorhandener überlebenswichtiger intensivmedizinischer Behandlungskapazitäten in einer besonderen Ausnahmesituation wie z.B. einer Pandemie geregelt werden soll.

Gibt es, aufgrund einer übertragbaren Krankheit, keine ausreichenden intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten, ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit das maßgebliche Kriterium für die Zuteilungsentscheidung. Eine Zuteilungsentscheidung scheidet aus, wenn betroffene Patientinnen oder Patienten anderweitig intensivmedizinisch behandelt, insbesondere regional oder überregional verlegt werden können.

Das Gesetz dient der Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Dezember 202111 zu Benachteiligungsrisiken insbesondere von Menschen mit Behinderungen in einer Situation, in der überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten in einem Krankenhaus nicht ausreichend vorhanden sind.

Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach erklärt dazu: „Wer ein Intensivbett benötigt, muss es bekommen – auch in der Pandemie. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Aber prinzipiell muss klar sein, dass Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden. Diesem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts trägt das heute beschlossene Gesetz Rechnung.“

Das Gesetz enthält insbesondere folgende Regelungen:

> Schutz vor Diskriminierung: Die Regelungen zur Zuteilungsentscheidung von aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten gelten für alle Patienten unabhängig von der Ursache der intensivmedizinischen Behandlungsbedürftigkeit.
Niemand darf bei einer Zuteilungsentscheidung benachteiligt werden.
> Aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit: Maßgebliches Kriterium für die Zuteilungsentscheidung ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit. Komorbiditäten, das heißt weitere Erkrankungen, dürfen bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit eingeschränkt berücksichtigt werden.
> Zudem wird klargestellt, dass Kriterien, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, wie Alter, Behinderung und Grad der Gebrechlichkeit, nicht berücksichtigt werden dürfen.
> Ausdrücklich von einer Zuteilungsentscheidung ausgenommen sind bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten, so lange eine intensivmedizinische Behandlung noch indiziert ist und dem Patientenwillen entspricht.
Hierdurch wird dem Vertrauen der Patienten in die Fortsetzung ihrer bereits begonnenen Behandlung Rechnung getragen.
> Mehraugenprinzip: Zuteilungsentscheidungen müssen nach dem Gesetz im Rahmen eines Mehraugenprinzips durch hoch qualifizierte Ärzte getroffen werden. Dabei ist zudem die Einschätzung einer Person mit besonderer Fachexpertise zu berücksichtigen, wenn eine Patientin oder ein Patient mit einer Behinderung oder Komorbidität von der Zuteilungsentscheidung betroffen ist.
> Das Gesetz regelt darüber hinaus Dokumentationspflichten sowie die Verpflichtung der Krankenhäuser, die Umsetzung der vorgeschriebenen Entscheidungsabläufe durch Verfahrensanweisungen sicherzustellen.

 

Darüber hinaus wurden Insbesondere folgende Ergänzungen beschlossen:

> Meldepflicht der Krankenhäuser: Krankenhäuser werden verpflichtet, getroffene Zuteilungsentscheidungen an die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde zu melden. Hierdurch wird die zuständige Landesbehörde in die Lage versetzt, im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig zu werden, um zukünftige Versorgungsengpässe zu vermeiden.
> Wissenschaftliche Evaluierung: Eine externe Evaluation soll spätestens bis zum 31. Dezember 2025 beauftragt werden. Die Evaluation wird interdisziplinär auf Grundlage rechtlicher, medizinischer und ethischer Erkenntnisse durch unabhängige Sachverständige durchgeführt.

 

1Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 16.12.2021 (1 BvR 1541/20):

In seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit eine Pflicht hat, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen. Eine solche Situation ausgeprägter Schutzbedürftigkeit sah das Bundesverfassungsgericht in dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen und gab dem Gesetzgeber daher auf, Schutzvorkehrungen für diesen Fall zu treffen.

Anmerkungen

Während der Pandemie hat es tatsächlich Situationen gegeben, in denen sich die Ärzte genötigt sahen, Patienten mit einer geringen Überlebenschance nicht weiter zu behandeln, weil für andere Patienten die Überlebenswahrscheinlichkeit besser war und die kapazitäten nicht ausreichten, alle Intensivpatienten gleichzeitig zu behandeln. Dem Arzt ist nicht vorzuwerfen, dass er sich in einer solchen Zwangssituation befand, vorzuwerfen ist jedoch den Entscheidungsträgern, nicht rechtzeitig und in jedem Fall in jedem Fall die Intensivbehandlung zu gewährleisten.

Mit dem jetzigen Gesetz ist eine solche Zwangssituation zwar deutlich geringer geworden, aber leider nicht ausgeschlossen.

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