Tina

Nicht, was Sie denken. Tina ist keine Frau, sie ist auch sonst nicht begehrenswert; ganz im Gegenteil. Tina ist vielmehr eine Abkürzung, sie ist der direkte Weg ins Ungewisse. Das ist mit Frauen auch möglich, hat dann aber lediglich private und keine öffentlichen Auswirkungen, kann aber ebenfalls in der Katastrophe enden.


Die mächtigste Frau der Welt heißt nicht  Angela Merkel – sondern „Tina“. Sie regiert die Politik und dirigiert die Kanzlerin. Ein Kommentar von Heribert Prantl, SZ.

Angela Merkel gilt als die mächtigste Frau der Welt; aber das stimmt nicht. Die mächtigste Frau heißt Tina, sie wird auch von der Kanzlerin gern in Anspruch genommen. Tina ist das Kürzel für there is no alternative.

Inhaltsverzeichnis

Ausrede

Die Behauptung, dass es keine Alternative zu einer Entscheidung gibt, ist eine Ausrede, die Diskussionen unterbinden soll. Sie ist neuerdings die Begründung für die rasende Eile, mit der folgenreichste Beschlüsse gefasst werden. Wenn Milliardenpakete gepackt und der Börse vor die Tür gestellt werden – dann lautet die Begründung: es gibt keine Alternative. So wird das Parlament entparlamentarisiert und vor vollendete Tatsachen gestellt. Es gibt ja, angeblich, keine Alternative.

Mißtrauen

Deutschland und die EU stehen am Beginn einer Woche, in der es ständig heißen wird: there ist no alternative. Tina regiert die Politik, Tina dirigiert Angela Merkel, Tina macht aber nicht nur die CDU/CSU rebellisch; es macht die Bevölkerung misstrauisch. Tina ist das neue Wort für Basta. Mit Basta hat einst Kanzler Schröder Hartz IV eingeführt. Und dieses Hartz IV war damals für die Führung der SPD so „alternativlos“ wie der Kosovo-Krieg und die Verteidigung Deutschlands am Hindukusch.

Aber verglichen mit den neuen finanzwirtschaftlichen Entscheidungen waren die genannten militärischen Entscheidungen sorgfältig gereift. Das Parlament war und ist zwar bei der Entscheidung über die Kriegseinsätze unter Druck, aber es redet und streitet immerhin.Seit dem Bankenrettungspaket nickt es Milliardenausgaben nur noch ab.

Es gibt, sagt die Regierung, keine Alternative.

Das ist, mit Verlaub, Unfug.

 

Schuldenerlaß als Alternative

Es gibt sicherlich nicht Tatas, nicht also tausende von Alternativen (there are thousands of alternatives). Aber ein paar Alternativen gibt es immer: Anstelle eines gewaltigen Milliardenpaketes für Euro, Griechenland & Co hätte man sich, zum Beispiel, einen (Teil-)Schuldenerlass für Griechenland vorstellen können.

Parlament ausgeschaltet

Sicherlich: Die EU-Regierungen mögen den Zeitdruck als so groß empfunden haben, dass für sie eine solche Lösung nicht in Frage kam. Aber dann müssen sie das sagen, und sich nicht hinter der angeblichen „Alternativlosigkeit“ verschanzen. Das Parlament ist das Getriebe der demokratischen Politik. Wenn es ausgeschaltet wird, entsteht der Eindruck einer getriebenen Politik.

Die Milliardenrettungspakete sind der Versuch der exekutiven Politik, mit dem Tempo und der Brutalität von ökonomischen Prozessen zu konkurrieren. Das kann sinnvoll sein, aber die Politik muss dann für diese Sinnhaftigkeit werben.

Vertrauen beschädigt

Das Wort „alternativlos“ ist das Gegenteil von solcher Werbung. Demokratische Politik besteht darin, Entscheidungen auf der Grundlage des Abwägens der Alternativen zu treffen und zu begründen. Der Ort dafür ist das Parlament: Es ist der Ort, wo Vertrauen des Volks gesät wird. Ohne dieses Vertrauen hält auch der weltgrößte Rettungsschirm nicht.

Dieses Vertrauen der Bürger – es ist wirklich alternativlos für die Demokratie.


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