Steuerung der Migratrion

Hamburg. Die CDU meint, beim Thema Asyl wieder in der Offensive zu sein, und Rot-Grün feiert seinen Wahlkampfcoup. Das Problem aber bleibt. Meint Matthias Iken,stellv. Chefredakteur des Hanmurger Abendblatts. Lesen Sie den gekürzten und redaktionell geänderten Beitrag eines Demokraten.

Mit Schweden, Dänemark und Holland gab es mal drei Staaten, die hoch in unserer Gunst standen: Sie waren weltoffen, großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen, generös bei Sozialleistungen und Einbürgerungen. So stellten wir uns die Zukunft vor. In Deutschland hingegen galten die Regeln von vorgestern. Deutscher wurde man per Abstammung, Deutschland war laut Union „kein Einwanderungsland“, Nazis gab es reichlich.

Doch kaum war ich im gelobten Land der Migrationsexperten, fielen Wunsch und Wirklichkeit auseinander. Zwar galten die Regeln aus den Lehrbüchern, aber das Leben fühlte sich anders an. Migranten klagten, kein Teil der schwedischen Gesellschaft zu sein. Und viele Einheimische verloren mit jedem Bier an Höflichkeit. Die Rassismusgrenze taxierte ich auf 1,3 Promille.

Öffentliche und veröffentlichte Meinung lagen weit auseinander. Offiziell fühlte sich Schweden als humanitäre Großmacht, doch das Volk war desertiert. Das Hauptproblem: hohe Migration und die Folgen. Damals habe ich gelernt, dass guter Wille und gute Worte nicht helfen, wenn das Gefühl anders tickt.

Als die „Bild“ und die Rote Flora einig waren, wurden viele überhört

Deshalb habe ich Merkels Flüchtlingspolitik immer für falsch gehalten – wie übrigens auch manche Sozialdemokraten. Wenn die Rote Flora und die „Bild“ im Chor „Refugees Welcome“ rufen, ist das kein Beleg für einen großen Konsens, sondern schwierig. Denn wer anders dachte, bekam das Brandmal „rechts“ in den asozialen Netzwerken eintätowiert. Das hat falsche Politik nicht richtiger gemacht.

Migration per se ist etwas Gutes, sie bereichert, Asyl ist großartig. Aber es gibt einen Kipppunkt, an dem die Menschen eher die Risiken denn die Chancen sehen.

Asyl: Eine Mehrheit fordert eine Migrationswende

Der aktuelle Umschwung, nämlich die gewollte Begrenzung der Migration, speist sich nicht aus Rassismus, sondern Fassungslosigkeit nach Aschaffenburg, Solingen, Magdeburg, Mannheim, Brokstedt. Und den Untaten, die vergessen sind, weil man lieber wegsah aus Angst, der AfD in die Hände zu spielen: der Somali, der in Würzburg drei Frauen erstach, der Syrer, der in Dresden ein schwules Paar attackierte und einen Mann ermordete, der Palästinenser, der bei Edeka in Barmbek aus Hass einen Menschen tötete. Ja, das sind Einzelfälle. Aber es sind zu viele Einzelfälle. Wer sich die Frage stellt, warum eine irrlichternde, offen rassistische AfD auf 20 Prozent kommt, findet hier eine Antwort.

Die Mitte hat bislang politisch versagt

Es ist das Versagen der politischen Mitte, die auf diese Taten und das wachsende Unbehagen vor allem mit Beschwichtigungen reagierte. Merz ist nun „all in“ gegangen – aber hat nicht klug agiert. Der Konsens hätte aus der Mitte kommen müssen, mit Stimmen von SPD, Union und FDP wie beim Asylkompromiss 1992.

So weit liegen die Meinungen nicht auseinander: Zumindest zeitweise sind Zurückweisungen akzeptabel, und es war Scholz, der „im großen Stil“ abschieben wollte. Jetzt aber klafft ein tiefer Graben zwischen Union und Rot-Grün. Die Union hat eine falsche Abstimmung gewonnen, die Restregierung verbeißt sich im hysterischen Kampf gegen „rechts“.

Damit gehen alle Zwischentöne verloren. Eigentlich könnten wir stolz sein auf das Erreichte. Deutschland hat mehr Flüchtlinge aufgenommen als jedes andere Industrieland, mehr als 3,5 Millionen Menschen wurden untergebracht, versorgt, oft integriert. Was für eine Leistung!

Doch nun ist ein Punkt erreicht, an dem vieles kippen kann. Migration taugt nicht für Wahlkämpfe. Es ist aber weder rechts noch rassistisch, Migration zu steuern. Ganz im Gegenteil: Wer nicht steuert, macht nur Rechtsradikale stark. Schweden und Holland sind gekippt. In Dänemark dagegen haben die Sozialdemokraten die Migrationswende geschafft.

Wer weiter mit rechtsstaatlichen Maßnahmen wartet, sieht bald eine Mehrheit der AfD.

 

Klarstellungen

Matthias Iken verweist auf die Aussage von Merz, dass dieser „all in“ gegangen ist. Er hat also in Zockermanier alles oder nichts gepokert und alles verloren. Er hat seine Glaubwürdigkeit verloren und sich und seine Partei damit auf Dauer geschadet. Wer will schon eine Partei wählen, die die Grundwerte verzockt, darunter auch das spezifische deutsche Asylrecht als eine Antwort auf die unsäglichen Verbrechen der Nazis. Wie soll Merz denn vorher klug gehandelt haben? Es ging ihm überhaupt nicht um einen Kompromiß in der Sache, sondern um eine Demonstration vermeintlicher Macht, mit der er die Grünen und die SPD kurz vor der Wahl vorführen wollte.

Wenn er tatsächlich einen Kompromiß gewollt hätte, dann hätte er vor seiner mißlungenen Machtdemonstration auf das europäische Migrations- und Asylpaket mit dem Ziel eines gemeinsamen Asylsystems abstellen müssen, welches z.B. den Schutz der Grundrechte von Migranten und die Prävention und Bekämpfung von Migrantenschmuggel zum Inhalt hat. Er hätte dann auch die bisherigen erfolgreichen Maßnahmen berücksichtigen und auf jeden Fall die Rechtsstaatlichkeit von weiteren Maßnahmen zur Grundlage seiner Partei machen müssen.

All das ist nicht geschehen, zumal ein Kompromiß bereits kurz nach dem Scheitern der Ampelkoalition hätte erfolgen können. Stattdessen hatte die CDU Schaum vorm Mund und war darauf aus, die Restkoalition zu vernichten.

Ist ein solcher Kanzlerkandidat als Kanzler geeignet?

Deswegen ist auch der Satz von Iken, „die Union hat eine falsche Abstimmung gewonnen und die Restregierung verbeißt sich im hysterischen Kampf gegen rechts“ falsch und geradezu absurd. Richtig wäre gewesen, die Anbiederung von FDP und CDU an den antidemokratischen Präsidenten der USA noch vor seinem Amtsantritt zu unterlassen und schon gar nicht seine Wortwahl „Deal“ zu übernehmen. Ist die soziale Sicherung, sind Freiheit und Gerechtigkeit von einem Deal abhängig, um nur einige Grundlagen unseres Gemeinwesens zu nennen? Wer sich derart anbiedert, überlässt die Grundwerte seines Staates einem ausgewiesenen Antidemokraten und wird sich – falls erforderlich – auch bei der AfD anbiedern.

Nach der Wahl am 23.Febr.2025 wird Merz den bequemen Weg gehen und eine Koalition mit der AfD eingehen, wenn die (formalen) Verhandlungen mit der SPD mangels Kompromißfähigkeit der CDU gescheitert sind. Mangelnde Kompromißfähigkeit wird er dann der SPD vorwerfen, weil diese sich nicht seinem Diktat unterwerfen wollte. Seine Aussage vor der Wahl, sich auf keinen Fall auf eine Zusammenarbeit mit der AfD einzulassen, wäre dann offensichtlich nichts wert. Damit wird Merz das Tor zur Hölle öffnen und die CDU wird in der Folge von der AfD kannibalisiert.

Das verächtliche Grinsen vieler CDU-Abgeordneter bei der Abschiedsrede von Kevin Kühnert ist der Beleg für ihre ideologische Verbohrtheit und ihr Unvermögen, andere Positionen zu respektieren. Daraus ergibt sich die Unfähigkeit, Kompromisse einzugehen. Daraus ergibt sich auch, dass die CDU keine Koalition der Mitte nach der Bundestagswahl will. Die Alternative ist eine Minderheitsregierung. Die hatte Merz erst kürzlich ausgeschlossen, nämlich auf dem Parteitag am 03.02.2025. Dort sagte er: „Es gibt keine Zusammenarbeit, es gibt keine Duldung, es gibt keine Minderheitsregierung“.

Kann man eine solche Partei guten Gewissens wählen?

 

Zur Kenntnis:

Minderheitsregierung

Eine Minderheitsregierung entsteht, wenn eine Partei oder Koalition keine absolute Mehrheit im Bundestag hat. Sollte Merz – was sehr wahrscheinlich ist – keine absolute Mehrheit erhalten und trotzdem keine Koalition mit SPD und oder Grünen oder der FDP eingehen wollen, kann er sich im dritten Wahlgang mit einfacher Mehrheit zum Bundeskanzler wählen lassen. Anschließend müsste Merz für jedes Gesetz Mehrheiten finden – wahrscheinlich, wie bei der Abstimmung über den Fünf-Punkte-Plan – mit den Stimmen der AfD.