Steuerhinterziehung

Rund sieben Milliarden Euro haben Steuerfahnder in NRW von Steuerhinterziehern in die Finanzkassen zurückgeholt. Jetzt sind sie gegangen. Die Steuerfahndung in Wuppertal hatte bislang einen guten Ruf.  Ist sie jetzt gegen die Wand gefahren worden? Lesen Sie den gerinfügig geänderten Artikel von Heide Platen, ver.di publik entnommen.

Zufall? Oder zumindest absichtslose Ähnlichkeit der Ereignisse? Zuerst der jüngere Fall: Im Januar 2018 wurde bekannt, dass die nordrhein-westfälischen Finanzbehörden zwei ihrer profiliertesten Steuerfahnder im fast schon legendären Wuppertaler Finanzamt verlieren. Sandra Höfer-Grosjean, 45, und Volker Radermacher, 49, wechselten in die Privatwirtschaft zur Kanzlei Deloitte Legal, die Großkunden in heiklen Steuersachen berät. Nun könnte man meinen, dass es gutes Recht der beiden sei, aus persönlichen Motiven die Seiten zu wechseln.

Zur Vorgeschichte: SPD-Finanzminister Norbert Walter Borjans, hatte Höfer-Grosjean, die der Behörde schon kommissarisch vorstand, zugesagt, sie könne Ende 2018 die Leitung der Behörde übernehmen. Dann wurde im Sommer 2017 die rot-grüne Landesregierung im bevölkerungsreichsten Bundesland abgewählt, eine Koalition aus CDU/FDP übernahm die Regierung. Finanzminister wurde Lutz Lienenkämper, CDU. Und die Behörde bekam stattdessen einen neuen Chef. Die mit Höfer-Grosjean ausgemachten, beamtenrechtlich notwendigen Sondervereinbarungen wurden außer Kraft gesetzt.


Foto: Oliver Berg/dpa

Für Schlagzeilen gesorgt

In den Jahren zuvor hatten die Steuerfahnder aus Nordrhein-Westfalen (NRW), allen voran das Wuppertaler „dream team“, immer wieder Schlagzeilen gemacht, vor allem mit dem Ankauf illegal angebotener CDs mit Daten von Steuerhinterziehern. Sie spürten Geld in der Schweiz, in Liechtenstein, Panama und anderswo in der Welt auf. Etwa 19 Millionen Euro wurden ausgegeben, rund 7 Milliarden Euro flossen durch Selbstanzeigen, Bußgelder und Geldstrafen zurück in die Kassen von Bund und Ländern. Außerdem reichten die Steuerfahnder ihre Erkenntnisse auch an andere europäische Länder weiter.

Auch anonyme Whistleblower vertrauten der Kompetenz der Fahnder. Unbekannte warfen eine CD mit fast 160.000 Kontoinformationen von Kunden einer Luxemburger Bank aus Deutschland und 19 weiteren europäischen Staaten in den Wuppertaler Behördenbriefkasten. Der damals noch amtierende Finanzminister Walter-Borjans lobte in seiner Amtszeit seine Behörden, allen voran die Wuppertaler, immer wieder über den grünen Klee. Sie trügen dazu bei, dass Steuerhinterzieher sich international nicht mehr so sicher fühlen könnten: „Weltweit besteht die Gefahr für sie, entdeckt zu werden.“

Er erhob jetzt schwere Vorwürfe gegen seinen Nachfolger: „So fährt man sehenden Auges eine bestens aufgestellte Steuerfahndung gegen die Wand.“ Er vermutete, dass auf Seiten der Steuerhinterzieher nun wohl „ein paar Champagnerkorken knallen.

Solchen Mutmaßungen hatte schon FDP-Chef Christian Lindner den Weg bereitet, als er zur Präsentation des schwarz-gelben Koalitionsvertrages betonte, dass der – inzwischen mehrfach von Gerichten bestätigt rechtmäßige – Ankauf von Steuer-CDs „Ausnahmefall“ bleiben müsse.

Der Fall Hessen

Hessen, Finanzamt V, Frankfurt am Main. Dort arbeitete ebenfalls ein „dream team“ und brachte Milliarden zurück, legte sich mit den ganz Großen an, ließ Banken durchsuchen und Unterlagen beschlagnahmen. 1999 wählten die Hessen Rot-Grün zugunsten von Schwarz-Gelb ab. Ministerpräsident wurde Roland Koch, CDU, der wegen der schwarzen Kassen seiner eigenen Partei heftig unter Druck geriet. Für vier Steuerfahnder begann 2001 ein Leidensweg. Ihr Team wurde zerschlagen, sie selbst gemobbt und mit unwichtigen Aufgaben an Katzentische versetzt. Sie schmissen nicht hin, sondern kämpften behördenintern. Bis sie gezwungen wurden, sich von Amts wegen psychiatrisch begutachten zu lassen. Ein inzwischen deswegen zu Geldstrafe und Entschädigung verurteilter Arzt bescheinigte allen Vieren, dass sie psychisch krank und dauerhaft arbeitsunfähig seien. Sie gingen an die Öffentlichkeit und wurden, zumindest medizinisch, rehabilitiert. Zwei machten sich als Steuerberater selbständig, zwei wechselten den Beruf.

Im Nachgang gab es Untersuchungsausschüsse und immer wieder die Vermutung, dass das Zerschlagen der effektiven Truppe von Landesregierung und Finanzministerium politisch gewollt gewesen sein könnte, um die Großverdiener des Landes zu schonen. Gleiche Vorwürfe wurden jetzt auch in NRW laut. Viele Beamte vermissen die vormals reichlich vorhandene Rückendeckung durch die Landesregierung und fühlen sich verunsichert, zumal Minister Walter-Borjans sie auch vor Kritik der Oberfinanzdirektion (OFD) geschützt habe, die die unkonventionellen Methoden vor allem der Wuppertaler, so Insider, immer wieder bemängelt hatte.

Kündigung erspart

Duplizität der Ereignisse hin oder her, ein starkes Unbehagen bleibt. Die beiden Spitzenfahnder aus NRW ersparten sich mit ihrer Kündigung – unter Verzicht auf sicheren Arbeitsplatz, hohe Pension und alle Versorgungsansprüche – jedenfalls die entwürdigende Herabstufung innerhalb ihrer eigenen Dienststelle. Ihr Wissen und ihre Kontakte bleiben ihnen. Der neue Arbeitgeber ließ öffentlich wissen, dass sie die „ideale Ergänzung“ des Personals seien: „Beide kennen die regulatorische Seite sehr genau.“

 

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