Steuergerechtigkeit

 

Momentan ist die Meinungsmache gegen Steuererhöhungen mal wieder auf Hochtouren.  Eine besonders dreiste Manipulation ist dem „Focus“ gelungen. Ziel dieser Manipulation ist wieder einmal die Panikmache vor möglichen Steuererhöhungen. Diesmal hat es die Grünen getroffen, deren Steuerkonzept den neoliberalen Meinungsmachern so gar nicht ins Konzept passt. Von Jens Berger, NachDenkSeiten.

In den Focus-Artikeln „Tausende Euro mehr – Mit Rot-Grün wird’s für die Steuerzahler teuer“ und „Steuerpläne sind ein Jobkiller“ stützen sich die inhaltlichen Aussagen der Focus-Redaktion auf Tabellen des Karl-Bräuer-Instituts. In diesen Tabellen geht es um die vermeintliche Mehr- bzw. Minderbelastung der Steuerzahler durch das Einkommensteuermodell, das Anfang Mai von den Grünen verabschiedet wurde. Nun muss man jedoch wissen, dass das Karl-Bräuer-Institut ein Think Tank der Lobbyorganisation „Bund der Steuerzahler“ ist – einem der größten Gegner von Steuererhöhungen.

Um die Berechnungen des Karl-Bräuer-Instituts soll es hier jedoch nicht gehen. Wichtig ist vielmehr, dass das Karl-Bräuer-Institut die jeweilige Steuerbelastung explizit auf das „zu versteuernde Jahreseinkommen“ bezieht. Wer mehr als 62.000 Euro zu versteuerndes Jahreseinkommen hat, zahlt nach dieser Tabelle mit dem Steuermodell der Grünen mehr als beim jetzigen Modell. Das ist an sich relativ undramatisch.

Will man die Steuereinnahmen erhöhen und dabei die Niedrig- und Normalverdiener nicht zusätzlich belasten und damit die ohnehin schon schwache Binnennachfrage abwürgen, muss man die Einkommen der Besserverdiener stärker besteuern.

So weit, so gut. Doch was macht der Focus aus diesen Zahlen? Bei der redaktionellen Berichterstattung des Focus wird aus dem „zu versteuernden Einkommen“ des Karl-Bräuer-Instituts ausnahmslos in allen Rechenbeispielen das „Bruttoeinkommen“. Zwischen diesen beiden Werten gibt es jedoch in der Realität einen großen Unterschied, den man je nach politischer Couleur als „Steuerschlupflöcher“ bzw. als „politischen Lenkungsrahmen innerhalb der Einkommensteuergesetzgebung“ bezeichnen kann. Oder auf gut Deutsch: Hierzulande muss man nur das Einkommen versteuern, das nach Abzug aller Belastungen und abzugsfähigen Kosten vom Bruttoeinkommen übrig bleibt.

Je nach persönlicher Situation und den Einkommensstrukturen gibt es zahlreiche steuerrechtliche Belastungen, die das zu versteuernde Einkommen drücken. Dazu zählen neben den Werbungskosten (u.a. Pendlerpauschale) und den Betriebsausgaben sowie den Verlustabzügen auch Vorsorgeaufwendungen sowie die Altersvorsorge, die Kirchensteuer, außergewöhnliche Belastungen, die Förderung des Wohneigentums, Spenden und die Kinderfreibeträge. Während Bezieher von niedrigen Einkommen in der Regel nur sehr wenig von der Steuer absetzten können, haben gerade Besserverdienende hier einen mannigfaltigen Gestaltungsspielraum.

 

Wer 62.000 Euro zu versteuern hat, bezieht in der Regel daher wesentlich mehr als 62.000 Euro Einkünfte pro Jahr. Es kann sich hierbei um 65.000 Euro oder auch mehr als 100.000 Euro handeln – vor allem die Posten „Betriebsausgaben“, „Vorsorgeaufwendungen“ und „Förderung des Wohneigentums“ können hier zum Teil zu sehr großen Verschiebungen führen. Wer also 62.000 Euro brutto pro Jahr verdient, wird in der Regel durch die möglichen Steuerabzüge ein zu versteuerndes Einkommen von unter 60.000 Euro pro Jahr haben und von den Steuerplänen der Grünen finanzielle Vorteile haben. Da sicher auch viele Focus-Leser in dieser Einkommensklasse zu finden sind, mag der Focus, der traditionell marktliberal und sozialstaatsfeindlich ist, dies freilich nicht so sagen. Daher verbiegt man stattdessen lieber die Zahlen und Definitionen so weit, bis auch der besser bezahlte Beamte denkt, die Grünen wollten ihm finanziell ans Leder.

 

Diese Strategie ist nicht neu. 1972 entwarf der Künstler Klaus Staeck das Plakat „Deutsche Arbeiter! Die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen!“ Heute sind es die Grünen, die Arbeiter(Arbeitnehmer) mit siebenstelligen Löhnen zur Kasse bitten wollen.

Kommentar

Die politisch gewollte Einkommensverteilung vom unten nach oben, die insbesondere die fdp zu verantworten hat, muss umgekehrt werden. Wenn Wenige immer reicher und Viele auch in der Mittelschicht immer ärmer werden, muss klargestellt werden, dass leistungslose Einkommens- und Vermögenszuwächse asozial sind und gesellschaftlich geächtet werden müssen. Es genügt daher auch nicht, lediglich die Einkommenssteuer anzuheben.  Darüber hinaus muss die Vermögenssteuer eingeführt werden. Vorher allerdings muss sichergestellt werden, dass Einkommen und Vermögen wie bei Arbeitnehmern im vollem Umfang dem Zugriff der Finanzämter zur Verfügung stehen, um Steuerhinterziehung und die Kapitalflucht in Steueroasen von vornherein zu verhindern.

Im übrigen:

Weil Angehörige der Mittelschicht immer noch den Irrglauben haben, aufsteigen zu können, obwohl sie inzwischen vom Abstieg bedroht sind, was sie insgeheim fürchten, aber nicht wahrhaben wollen, grenzen sie sich nach unten ab. Mit dieser Illusion des Aufstiegs wehren sie sich gegen die vermeintlichen Nachteile von Steuererhöhungen, die sie nicht treffen, die ihnen aber eingeredet werden. Die aberwitzige Kumpanei mit den Reichen, mit denen sie nicht mithalten können,  verbessert ihren Status nicht und schadet ihnen, weil sie mit einer solchen Haltung keine steuerliche Entlastung erwarten können.

Im Gegenteil.

Rolf Aschenbeck