Statusanspruch

Wenn ich auf der Autobahn einen LKW überhole und sich ein SUV mit aggressiver Frontpartie schnell nähert, bis er am Heck klebt, fühle ich mich bedroht. Mich erinnert das an eine Filmszene, in der ein dicker Wagen das vor ihm fahrende Fahrzeug rammt und versucht, es von der Straße zu drängen.

Als erfahrener Autofahrer bin ich auf Autobahnen, Bundesstraßen und Landstraßen unterwegs und kenne solche Nötigungen, die kein Einzelfall sind. Ich fahre nicht sporadisch, sondern ungefähr 22.000 km pro Jahr. Ich fahre zügig, was auch bei einem Kleinwagen (Hyundai i 20) möglich ist. Dies vorweg, um klarzustellen, dass ich mit meiner Fahrweise kein Verkehrshindernis bin und bei meiner Fahrleistung in der Lage bin zu beurteilen, inwieweit sich Verkehrsteilnehmer ausnahmsweise regelwidrig verhalten oder aber glauben, je nach Größe des PKW rücksichtslos und verantwortungslos ihr fehlgeleitetes und aufgeblasenes Ego zum Maßstab ihres asozialen Verhaltens zu machen.

Inhaltsverzeichnis

Klarstellung

Um nicht missverstanden zu werden: Niemand, der überholt, der bei Gelb über die Kreuzung fährt, der eine Stadt kennt und deswegen zügiger vorankommt, oder aber bei einem Stau auf der Autobahn rechtzeitig erkennt, welche Fahrspur er nehmen muss, um schneller voranzukommen, verhält sich rücksichtslos zum Nachteil der übrigen Autofahrer. Mit einer Fahrweise, die lediglich dem eigenen Fortkommen dient, wird niemand behindert und gefährdet. Wäre es anders, dürfte es nicht mehr möglich sein, z.B. im Stadtverkehr auf der einen Fahrspur schneller voranzukommen als auf einer anderen. Auch ein Spurwechsel ist ohne Verkehrsgefährdung deswegen völlig legitim, auch wenn das im Stadtverkehr einige stören mag.

Gemeint ist daher nicht der Autofahrer, der sein Ziel so schnell wie möglich erreichen will, sondern u.a. der, der mit der Attitüde des vermeintlich Stärkeren andere Autofahrer nötigt, sich seinen eigenen Regelungen zu unterwerfen. Hierbei handelt es sich um die Trittbettfahrer eines gesellschaftlichen Machtanspruchs, den diese tatsächlich nicht haben, aber dennoch glauben, ihn wenigstens im Straßenverkehr ausleben zu können.

Beispiele

1.Ich fahre aus Berlin kommend Richtung Hamburg, fahre auf der rechten Fahrspur und bin auf der Höhe des Dreiecks Oranienburg mit der Abzweigung nach Magdeburg/Leipzig. Diese Abzweigung habe ich bereits erreicht. Mich überholt ein SUV, nötigt mich zu bremsen und fährt anschließend nach rechts diese Abzweigung Richtung Magdeburg. Einen Vorteil hat dieser SUV-Fahrer nicht, weil er bereits vor dem Überholvorgang die Abzweigung hätte nehmen können. Was er aber zeigen wollte, war sein Anspruch, mir als Autofahrer deutlich zu machen, dass ich im Gegensatz zu ihm unbedeutend bin. Meine ratlose Armbewegung wegen dieses unverständlichen und gefährlichen Verhaltens quittiert er mit dem Mittelfinger.

2.Ich überhole, immer noch Richtung Hamburg, einen Lastwagen. Hinter mir rast ein Sprinter in bedrohliche Nähe meines Autos, die schon fast ängstigt, und er bleibt in dieser Nähe, bis ich auf die rechte Fahrspur wechsele. Der Fahrer in diesem Sprinter ist wahrscheinlich ein abhängig Beschäftigter in Zeitnot, aber auch ein Wichtigtuer, der auf der Autobahn seine Machtphantasien ausleben möchte. Er hat keinen Zeitgewinn, sondern ist wohl nur ein Prolet, der glaubt, seinen Status, wenn auch nur kurzzeitig, verbessern zu können.

3.Auf einer schmalen Landstraße ohne Mittelstreifen fahre ich rechts, was ohnehin erforderlich, aber wegen der schmalen Straße unumgänglich ist. Es gibt aber Fahrer, die zu glauben scheinen, dass sie allein unterwegs sind und sich mehr in der Mitte der Straße orientieren. Das kann durchaus Unsicherheit sein, ist aber oftmals leider nur ein Alleinvertretungsanspruch ohne Rücksicht auf den Gegenverkehr. Solche Fahrer sind schon fast Geisterfahrer.

Statisten der Macht

Nur drei Beispiele von vielen, mit denen deutlich wird, dass das Verhalten von Autofahrern, die die Größe ihres PKW mit Potenz verwechseln, kennzeichnend ist für eine Gruppe in unserer Gesellschaft, für die nicht mehr Rücksicht und Partnerschaft zählen, sondern der Versuch, es der Herrschaft der Eliten gleich zu tun; und sei es nur für den kurzen Moment einer Autofahrt. Diese Eliten sind tatsächlich mächtig und bestimmen die Regeln; und zwar insgesamt. Der Rambo der Straße ist allerdings nur ein dämlicher Statist der Macht, der glaubt, als Trittbrettfahrer mit den Mächtigen mithalten zu können. Er ist nicht einmal ein Epigone.

Erzieher

Es gibt aber auch eine Gruppe, die jede Geschwindigkeit über 100 km als Raserei empfindet und glaubt, im Straßenverkehr erzieherisch tätig sein zu müssen. Da fährt dann ein solcher selbsternannter Erzieher mit knapp 100 km auf der linken Fahrspur der Autobahn, obwohl auf der rechten Fahrspur genug Platz wäre. Ich gebe zu, dass ich dann zumindest genervt bin und schon versucht habe, rechts zu überholen. Das muss ein solcher Fahrer aber unterbinden und setzt seine erzieherische Tätigkeit fort, indem er ebenfalls auf die rechte Fahrspur wechselt, um den Überholvorgang zu verhindern. Dabei nimmt er allerdings eine Verkehrsgefährdung in Kauf, die nicht seinem Erziehungsauftrag entspricht. Wahrscheinlich handelt es sich um bornierte Umweltaktivisten mit einem ausgeprägten Sendungsbewußtsein.

Regelfetischisten

Jetzt komme ich zu den Autofahrern, die penibel darauf achten, nicht nur die Verkehrsregeln  einzuhalten, sondern alle Regeln, weil sie als autoritätsgläubige Mitmenschen in jedem Fall genau das tun, was ihnen vorgegeben wird, ohne auch nur eine Regel in Frage zu stellen.  Eine solche Einstellung führt schnell zur Denunziation, wenn andere Autofahrer sich in bestimmten Situationen über eine Regel hinwegsetzen, ohne deswegen andere Verkehrsteilnehmer zu behindern oder zu gefährden. Wer z.B. auf einer Landstraße  einen PKW überholt und dabei deutlich schneller als 100 km fährt, kann durchaus damit rechnen, angezeigt zu werden, wenn der Insasse des überholten PKW zu dieser Gruppe gehört.

Mehrheit

Sie haben sich hoffentlich nicht wiedererkannt, sondern gehören zu der deutlichen Mehrheit der Autofahrer, die einfach nur von A nach B kommen will und die übrigen Autofahrer, aber auch andere Verkehrsteilnehmer, als gleichberechtigte  Personen ansieht, im Zweifelsfall Rücksicht nimmt und nicht den Anspruch hat, den Straßenverkehr als Ersatz für nicht erfüllte Statusansprüche anzusehen.

Wenn das so ist, befinden Sie sich in guter Gesellschaft.

Rolf Aschenbeck

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