Rentenzugang

Französische Mentalität könnte uns gut tun. Franzosen wehren sich wenigstens gegen unzumutbaren sozialen Kahlschlag. Und was machen wir Deutschen? Obrigkeitshörig, wie wir sind, nehmen wir klaglos die Heraufsetzung der Altersgrenze auf das 67.Lebensjahr hin, die in Wahrheit eine Rentenkürzung zusätzlich zu den bereits erfolgten Kürzungen ist. Gutgläubig meinen wir auch noch, mit einem solchen Verzicht  unseren Kindern und Enkelkindern zu helfen. Welch ein Irrtum. Wer sich selbst schadet, hilft anderen nicht. Ganz im Gegenteil.


Paris – Die Massenproteste(3,5 Mio) gegen die Rentenreform der französischen Regierung haben einen neuen Höhepunkt erreicht. Nach Angaben der Gewerkschaften gingen am Dienstag landesweit mehrere Millionen Menschen auf die Straße, um gegen eine Anhebung des Rentenalters von 60 auf 62 Jahre zu protestieren.

Streiks im Schienen- und Luftverkehr lösten vielerorts Chaos aus. Das Reformprojekt ist vom Parlament in seinen Kernpunkten bereits weitgehend gebilligt.

Die Proteste an diesem dritten Streiktag seit Anfang September waren die bislang größten. Die Gewerkschaften sprachen von 3,5 Millionen, das Innenministerium von 1,2 Millionen Menschen, die sich an rund 240 Kundgebungen und Demonstrationen beteiligten. Erstmals waren einige der Arbeitsniederlegungen zeitlich nicht befristet. Zum ersten Mal beteiligten sich auch zahlreiche Studenten und Schüler an den Protesten, die auch als Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit mit der Regierung von Nicolas Sarkozy gedeutet werden.

Im Schienen- und Flugverkehr gab es zahlreiche Behinderungen. Dies soll sich an diesem Mittwoch fortsetzen. Etwa ein Drittel der Hochgeschwindigkeitszüge nach Deutschland fielen aus. Die Verbindungen Frankfurt-Paris und Stuttgart-Paris waren teilweise unterbrochen. Einige ICE und TGV konnten nur bis Saarbrücken beziehungsweise Karlsruhe fahren, wie ein Bahnsprecher in Berlin berichtete. Der Nachtzug Berlin-Paris kam nur bis Mannheim, dann mussten die Fahrgäste in Busse umsteigen. Auf den beiden Pariser Flughäfen Charles de Gaulle und Orly mussten 30 bis 50 Prozent der Kurz- und Mittelstreckenflüge gestrichen werden. Auch Schulen, die Post und Erdölraffinerien waren von Streiks betroffen. Es war der vierte Aktionstag seit Anfang September und der dritte, der von massiven Streiks begleitet wurde.

 

Die französischen Gewerkschaften hoffen, mit den Massenprotesten die von der Regierung vorbereitete Rentenreform noch zu kippen. Kern des Projekts ist die Anhebung des Renteneintrittsalters. Wer mindestens 40,5 Jahre Beiträge gezahlt hat, kann derzeit in Frankreich bereits mit 60 Jahren die volle Rente beziehen. Diese Altersgrenze soll nun bis 2018 auf 62 Jahre angehoben werden. Wer nicht genügend Beitragsjahre hat, soll künftig erst mit 67 die volle Rente bekommen. Bislang war dies mit 65 Jahren möglich.

Beide Änderungen sind in einer ersten Abstimmungsrunde von der Nationalversammlung und dem Senat angenommen worden. Mit der endgültigen Verabschiedung des Reformpakets wird aber frühestens Ende des Monats gerechnet. Weil die Regierung aufs Tempo drückt und die Neuregelung noch am Montagabend in die Abstimmung im Senat brachte, werfen die Gewerkschaften ihr Provokation vor. Für kommenden Samstag ist bereits ein weiter Aktionstag mit Demonstrationen geplant(wn).

Kommentar:

Man fragt sich schon, warum die Gewerkschaften in Deutschland die Anhebung der Altersgrenze auf das 67.Lebensjahr nicht massiv bekämpft haben, wie jetzt die französischen Gewerkschaften bei der Anhebung vom 60. auf das 62.Lebensjahr bei langjährig Beschäftigten.  Haben sie vielleicht vergessen, dass jeder Arbeitnehmer auch irgendwann Rentner ist? Ist Armut im Alter kein Thema, weil Rentner in den Gewerkschaften, wie übrigens auch in den Parteien, keine Rolle spielen? Wird den Rentnern die Rolle der Parasiten zugeordnet, die aber tatsächlich leistungslose Eliten mit leistungslosen Einkommen für sich beanspruchen müssen?

Die Rentenzahlung ist das Ergebnis der persönlichen Lebensleistung . Unabhängig von der Arbeitsmarktsituation soll sie  spät beginnen,  bei einem erzwungenen früheren Rentenzugang aber mit Leistungskürzungen bestraft werden, vom übrigen Rentenklau mal ganz abgesehen.

 

Rente mit 67, Seehofer macht Front(19.Okt.2010, dem zdf entnommen):

Der Zuwanderungsstreit brodelt noch, da entfacht CSU-Chef Horst Seehofer schon die nächste Debatte. Diesmal geht es um die Rente mit 67. Seehofer droht mit einem Veto, sollte es nicht endlich mehr Jobs für Menschen ab 50 geben.

„Wenn die deutsche Wirtschaft nicht endlich beginnt, für die über 50-Jährigen die Beschäftigungschancen signifikant zu verbessern, dann macht die Verlängerung der Lebensarbeitszeit auf das 67. Lebensjahr keinen Sinn“, sagte CSU-Chef Seehofer in München. Dann liefe die Reform auf eine Rentenkürzung hinaus. In dem Fall würde er den bisherigen Konsens bei der Rente mit 67 aufkündigen.

Damit geht Seehofer bei einem weiteren Thema auf Konfrontationskurs mit den Koalitionspartnern CDU und FDP. Gleichzeitig nähert er sich der Position von SPD und Linken. SPD-Chef Sigmar Gabriel, die Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch und der DGB lobten die Veto-Drohung. Die Arbeitgeber reagierten dagegen mit Kritik und verteidigten die Beschäftigungsbilanz bei Älteren. Das Bundessozialministerium von Ursula von der Leyen (CDU) wollte sich nicht äußeren.

Die Rente mit 67 steht im Gesetz. Es müsste geändert werden, wollte man sie stoppen. Die SPD hatte allerdings beim Beschluss der Großen Koalition 2007 eine „Revisionsklausel“ durchgesetzt: 2010 und danach alle vier Jahre soll untersucht werden, wie sich die Beschäftigungschancen für Ältere entwickeln. Die ersten Ergebnisse sollen im November vorliegen und werden mit Spannung erwartet.

SPD-Chef Gabriel sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Ich kann Horst Seehofer in diesem Punkt nur unterstützen. Ich hoffe, dass er diesmal nicht nur wieder die Backen aufbläst, sondern auch pfeift.“ Nötig seien mehr Beschäftigung für ältere Menschen und flexiblere Übergangsmöglichkeiten vom Arbeitsleben in die Rente. Die SPD sei bereit, darüber mit der Regierung zu sprechen, sagte Gabriel.

DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach forderte Seehofer auf, „seinen richtigen Vorstoß gegen die Rente mit 67 schnellstens zu konkretisieren. Angesichts der dramatischen Arbeitsmarktsituation Älterer ist die Rente mit 67 nicht vertretbar.“

Die Rente ab 67 ist beschlossen. Lesen Sie dazu den gekürzten Beitrag vom 18.Nov.2010, der  taz entnommen:

Heute wird die Regierung erneut beteuern: Die Rente mit 67 kann kommen. „Die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist vertretbar und bleibt notwendig“, lautet das Fazit des Berichts „Aufbruch in die altersgerechte Arbeitswelt“, den Ursula von der Leyen (CDU) vorstellen wird. Von Eva Völpel und Barbara Dribbusch.

Der Bericht überprüft zum ersten Mal, ob sich die Beschäftigungssituation älterer ArbeitnehmerInnen nachhaltig verbessert hat. Nur dann könne die Regelaltersgrenze ab 2012 schrittweise von 65 auf 67 Jahre angehoben werden, heißt es im Gesetz zur Rente mit 67, das Union und SPD 2007 beschlossen haben. Auf Druck der Sozialdemokraten wurde damals auch vereinbart, künftig alle vier Jahre die Situation zu überprüfen.

Von der Leyen ist bereits jetzt hochzufrieden. Vor allem die Beschäftigungslage für Ältere habe sich in den vergangenen Jahren „deutlich verbessert“. Laut Bericht hat sich die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen in sozialversicherungspflichtigen Tätigkeiten zwischen 2000 und 2009 auf rund 23 Prozent verdoppelt. Auch in der Gruppe der 55- bis 65-Jährigen ist die Quote zwischen 2005 und 2009 von 29,3 auf 37,3 Prozent gestiegen.

Also grünes Licht für die Rente mit 67, und das heißt auch: für deutliche Rentenabschläge, wenn jemand früher aussteigt? „Die Regierung will nicht einsehen, dass es auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben die Voraussetzung für die Rente mit 67 nicht gibt“, sagt der Ökonom und Rentenforscher Ernst Kistler. Auch SPD, Grüne, Linke und Gewerkschaften fordern mittlerweile unisono, den Einstieg in die Rente mit 67 zu verschieben. Für Kistler ist es schlichtweg „Irrsinn“, wie Politik und Arbeitgeber mit den Zahlen operieren.

Die Kritik, die man an die Regierung richten kann, wenn man sich die Zahlen genauer anschaut, ist umfangreich. Da werden Menschen in der passiven Phase der Altersteilzeit als „Beschäftigte“ gezählt, obwohl sie gar nicht mehr im Betrieb arbeiten. Auch die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen zusammenzufassen, verschleiere die Realität am Arbeitsmarkt, sagt Kistler. Denn ab 63 Jahren nimmt die Erwerbsquote, zumal die der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, rapide ab. Gerade einmal jeder Zehnte hat mit 64 Jahren, also kurz vor der derzeit noch aktuellen Rentengrenze von 65 Jahren, eine abgesicherte Beschäftigung. Und die kann dann immer noch Teilzeit- oder Leiharbeit sein.

Doch eines ärgert Kistler besonders: „Man ignoriert völlig, dass es einen demografischen Effekt gibt.“ Weil die geburtenstarken Jahrgänge in die Gruppe der 55- bis 60-Jährigen hineinwüchsen, steige deren Beschäftigungsquote automatisch an. „Das hat aber nichts damit zu tun, dass sich in den Betrieben oder am Arbeitsmarkt etwas geändert hat.“ Die Zahlen zeigen, wie schwer es für Ältere am Arbeitsmarkt immer noch ist. Mehr als ein Drittel aller Betriebe beschäftigte im Jahr 2008 keine Menschen über 50 Jahre. Und die Anzahl der Betriebe, die in Maßnahmen investieren, um ihren älteren Beschäftigten das Arbeitsleben zu erleichtern, sank zwischen 2002 und 2007 sogar von 20 auf 17 Prozent.

Drei von 800 schaffen es, bis 65 zu arbeiten

Im Waggonbauwerk Görlitz hält schon heute fast niemand bis 65 durch. „Unter hohen Temperaturen schweißen, hämmern und mit dem 10 Kilogramm schweren Vorschlaghammer die Waggonwände richten, das wird mit 60 Jahren nicht leichter“, erzählt Volker Schaarschmidt. Atemwegs-, Skelett- und Muskelerkrankungen seien bei den Kollegen an der Tagesordnung. Der 58-Jährige selbst hat Glück, er ist als Betriebsratsvorsitzender freigestellt. Er könnte sich aber nicht vorstellen, mit über 60 noch in der Produktion zu arbeiten. Gerade mal zwei oder drei Kollegen von 800 hätten in den letzten zehn Jahren bis 65 gearbeitet. „Der Rest geht deutlich früher.“

Das aber wird in Zukunft nicht mehr so einfach sein, nachdem die Politik Ende 2009 die geförderte Altersteilzeit beendet und damit die Möglichkeit genommen hat, ohne deutliche Rentenkürzungen den Job früher aufzugeben. „Die Leute kriegen eh schon keine üppige Rente, die können Kürzungen von acht bis 12 Prozent nicht verkraften“, sagt Schaarschmidt.

„Wir müssen uns Regeln überlegen, wer früher ohne Rentenverluste aus dem Job kann, wenn er schwer körperlich oder psychisch gearbeitet hat. Die Regierung ignoriert diese Frage bisher völlig“, sagt Kistler. Untersuchungen zeigen: Dachdecker, Bauarbeiter, ErzieherInnen, LehrerInnen, Fleischer, Beschäftigte im Gastgewerbe oder in den Metallberufen: Sie alle steigen lange vor 65 aus, weil die Belastungen so hoch sind. Auch im bundesweiten Durchschnitt wird die magische Zahl von 65 Jahren nicht erreicht. Mit durchschnittlich 63,2 Jahren gingen die Menschen 2008 in Rente. Mit 61,7 Jahren treten sie aber bereits aus dem aktiven Erwerbsleben aus. Bis zur Rente drehen dann viele Schleifen: Sie sind krankgeschrieben oder arbeitslos.

So erzeugt die Rente mit 67 neue Ungerechtigkeiten. Leute mit sehr stressigen Jobs und wenig Bezahlung müssen durchhalten, weil ihnen sonst im Alter hohe Rentenabschläge drohen. Ähnlich ist es, wenn sie krank werden und lange gar nicht oder mit reduzierter Stundenanzahl arbeiten. In Folge sinkt das Gehalt und damit auch die spätere Rentenhöhe. Zudem wird die Arbeit häufig umverteilt: Auf KollegInnen, die den Job von dauerkranken älteren MitarbeiterInnen miterledigen müssen.

Rentenkürzungen schlugen bereits in den letzten Jahren deutlich zu Buche. So sank die Zugangsrente laut Deutscher Rentenversicherung zwischen 2000 und 2008 von 1.021 auf 942 Euro. Rentenkürzungen betreffen bereits heute jeden zweiten Ruheständler. Im Schnitt büßen die Ruheständler 114 Euro ein. Das liegt unter anderem an der Ausweitung des Niedriglohnsektors und den gesetzlich beschlossenen Dämpfungsfaktoren in der Rentenversicherung.

Der Grundkonflikt besteht zwischen Arm und Reich

Trotzdem halten Regierung und Arbeitgeber an ihrer Forderung nach der Rente mit 67 fest. Wenn die Leute älter würden, müsse sich die Lebensarbeitszeit erhöhen, fordern die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK). „Wir müssen durch längere Arbeitszeiten die Belastung der Rentenkasse und damit der Beitragszahler vermindern“, sagt Anne Zimmermann, Leiterin des Referats Soziale Sicherung bei der DIHK.

Für Kistler greifen diese Argumente viel zu kurz. „Die Ursachen für die knappen Sozialkassen liegen vor allem in der niedrigen Lohnentwicklung der letzten Jahre und im wachsenden Anteil der Niedriglohnbeschäftigung, nicht im Mangel an den Köpfen.“

Tatsächlich zeigen die Zahlen, dass von 1970 bis 1980 ein viel geringerer Anteil der Bevölkerung als heute gearbeitet und damit die Nichterwerbstätigen versorgt hat. Und so kommen acht große Sozialverbände und die Gewerkschaften in ihrem Vierten Monitoring-Bericht des Netzwerks für eine gerechte Rente nach Berechnungen zu dem Schluss, dass der steigende Altenanteil durchaus ohne Rente mit 67 finanzierbar wäre. „Allerdings müsste dazu die Lohnquote steigen und die Kapitaleinkünfte müssten stärker zur Finanzierung der Alterssicherung bzw. des Sozialstaats insgesamt herangezogen werden“, lautet ihr Fazit.

„Der gesellschaftliche Grundkonflikt besteht nicht zwischen Jung und Alt, sondern innerhalb der Generationen: zwischen Arm und Reich und zwischen Kapital und Arbeit. Das wird in Deutschland systematisch ausgeblendet“, sagt Kistler.

So ist es!





 

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