Kann ein Mitglied einer verfassungsfeindlichen Partei noch Richter sein? Rund 20.000 hauptamtliche Richter und 60.000 ehrenamtliche Richter – Schöffen – sind in Deutschland tätig. Sie müssen unabhängig und unparteilich sein. Doch kann jemand, der privat eine Partei unterstützt, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, zugleich im Gerichtssaal das Grundgesetz verteidigen? Lesen Sie dazu die Informationen von CORRECTIV.
„Es erscheint zumindest fraglich, ob diese Person dann noch auf dem Boden der freiheitlich demokratischen Grundordnung steht“, sagt eine Pressesprecherin der Justizsenatorin Bremen auf Anfrage. Und stellt ein Disziplinarverfahren in Aussicht: „Sollte eine Richterin oder ein Richter nach der Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem Mitglied dieser Partei sein, würde entsprechend ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden können.“
Mögliche Disziplinarverfahren gegen AfD-Richter
Die Auffassung, dass die Mitgliedschaft in der AfD genügt, um ein Disziplinarverfahren einzuleiten, teilen nicht alle Justizministerien. Die Bundesländer sind jeweils zuständig für ihre Richterinnen und Richter. Die meisten gehen davon aus, dass es weitere Hinweise, wie aktives Engagement in der Partei, bräuchte. Aus dem Haus von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) heißt es dazu: „Die Mitgliedschaft in einer Partei, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, […] kann […] ein Aspekt bei der Einleitung eines Disziplinarverfahrens oder einer Richteranklage sein.“( ! )
Die AfD klagt gegen ihre Einstufung als „gesichert rechtsextrem“. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat in diesem Zusammenhang zugesagt, bis zum Abschluss des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens – möglicherweise auch bis zur rechtskräftigen Entscheidung – die AfD nicht mehr öffentlich als „gesichert rechtsextrem“ zu bezeichnen. ( ? )
Es sollte gezielt Disziplinarverfahren gegen AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst geben, sagt Felix Hanschmann, Jura-Professor für Verfassungs- und Verwaltungsrecht an der Bucerius Law School in Hamburg. Das würde Klarheit für alle Beteiligten schaffen. Die betroffenen Richter müssten die Chance haben, dagegen Einspruch zu erheben und die Maßnahmen rechtlich überprüfen zu lassen, so Hanschmann.
Zwingende Ermittlungen bei AfD-Mitgliedschaft?
Wenn ein Richter zugleich Mitglied in der AfD ist, müssten die Vorgesetzten zumindest zwingend ermitteln, ob weitere Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die Verfassungstreuepflicht bestehen, sagt auch Fachanwalt Sebastian Baunack. Baunack ist spezialisiert auf das Disziplinarrecht von Richtern. Wenn bei den Vorermittlungen weitere Anhaltspunkte auftauchen, beispielsweise aktives Engagement für die AfD, müsse ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden, sagt er. Sachsen-Anhalt beschreibt in der Antwort an CORRECTIV, welche Konsequenzen einem Richter in einem Disziplinarverfahren drohen könnten:
„Als Disziplinarmaßnahmen gegen aktive Richter kommen je nach Schwere des Dienstvergehens Verweis, Geldbuße, Kürzung der Dienstbezüge, Zurückstufung oder die Entlassung aus dem Dienstverhältnis in Betracht“, heißt es dort. „Darüber hinaus sind im gerichtlichen Disziplinarverfahren Versetzung und Amtsenthebung sowie vorläufige Untersagung der Amtsgeschäfte möglich.“
In der Praxis wissen die Bundesländer nicht, ob und wie viele AfD-Mitglieder es unter ihren Richtern gibt. Sie dürften sensible Informationen, dazu zählt auch eine Parteimitgliedschaft, weder erheben noch speichern.
Instrumente zur Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit
In den Bundesländern gibt es verschiedene Instrumente, mit denen Verfassungsfeinde aus dem Justizsystem ferngehalten – oder entfernt werden sollen. Grundsätzlich ist es einfacher, einen Bewerber abzulehnen, als später einen Richter des Amtes zu entheben.
Dazu zählen:
- Richter und Schöffen müssen einen Eid auf das Grundgesetz leisten.
- Vor ihrer Berufung wird beim Bundeszentralregister und/oder beim Melderegister abgefragt, ob mögliche Vorstrafen bestehen.
- Die Namen neuer Schöffen werden öffentlich ausgelegt, damit Bürgerinnen und Bürger Einwände erheben können.
- Gemeinden prüfen mit öffentlichen Quellen, ob es Hinweise auf verfassungsfeindliche Einstellungen bei neuen Schöffen gibt.
- Bevor neue Richter ernannt werden, wird beim Landesverfassungsschutz abgefragt, ob dort Erkenntnisse vorliegen.
- Richteranklage: Damit können Richter versetzt oder in den Ruhestand geschickt werden. Das muss vom Landesparlament beantragt und vom Bundesverfassungsgericht entschieden werden.
Background-Check beim Verfassungsschutz
Im Fall der hauptamtlich tätigen Richter fragen einige Bundesländer standardmäßig beim Verfassungsschutz an, ob dort etwas über die Kandidaten bekannt ist. Konkret geht es darum herauszufinden, ob Zweifel bestehen, dass der Bewerber für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintritt.
Fünf Bundesländer führen diese „Verfassungstreuechecks“ durch. In Bayern ist das bereits seit 2016 Praxis. Hamburg und Hessen beabsichtigen, so eine Regel ebenfalls einzuführen.
Das bayerische Justizministerium teilt auf Anfrage mit, dass es seit der Einführung der Regelabfrage keinen Treffer für Extremisten gegeben habe, womöglich weil es einen abschreckenden Effekt bei den Bewerbern gebe. Belegen lässt sich das allerdings nicht.
Generalverdacht durch Regelabfrage?
Jura-Professor Felix Hanschmann hält solche Abfragen mit Blick auf die Geschichte des Radikalenerlasses für problematisch: „Ich möchte nicht in einem Staat leben, in dem solche Abfragen aufgrund eines Generalverdachtes erfolgen“, sagt Hanschmann.
Der sogenannte Radikalenerlass von 1972 sah vor, Bewerber für den öffentlichen Dienst auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen – und führte teils zu Berufsverboten für politisch missliebige Personen, insbesondere Kommunisten.
AfD gibt Tipps an ihre Mitglieder
Die AfD selbst sah sich nach der Hochstufung als „gesichert rechtsextrem“ durch den Verfassungsschutz offensichtlich veranlasst, eine interne Handreichung für Beamte und AfD-Mitglieder im öffentlichen Dienst zu verschicken. Mitglieder sollten „persönliche Angriffe auf andere unterlassen“ und sich distanzieren, wenn sie Äußerungen für verfassungsfeindlich halten, heißt es in dem Dokument, das wir hier im Original veröffentlichen.
Besonders AfD-Mitgliedern im öffentlichen Dienst wird von der Partei geraten, „mit ihren Äußerungen im verfassungskonformen Bereich“ zu bleiben. Eine Mitgliedschaft allein sei jedoch kein Grund zur Sorge, heißt es in dem Dokument. Es wird auf das Bundesverwaltungsgerichtsurteil von 2024 zur Mitgliedschaft bei der Kleinstpartei „Der III. Weg“ verwiesen.
Dort machte das Gericht jedoch klar, dass im Rahmen eines Einstellungsverfahrens auch ohne Parteiverbot die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Partei wie „Der III. Weg“ negativ berücksichtigt werden kann.
Wörtlich heißt es im damaligen Urteil: „Das ,Parteienprivileg‘ verlangt nicht, jedes Parteimitglied bis zum Parteiverbot als verfassungstreu zu behandeln.“ Das Gericht stellt klar, dass die aktive Mitgliedschaft – etwa durch herausgehobene Funktionen – eine Betätigung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung darstellen kann, auch wenn die Partei formal nicht verboten ist.
Wer wird vom Verfassungsschutz beobachtet?
Hanschmann warnt daher davor, zu sehr auf den Verfassungsschutz und die dort erhobenen Informationen zu vertrauen, „schließlich werden solche Maßnahmen oder Instrumente immer auch irgendwann gegen links zurückschlagen.“
Ähnlich äußert sich der Grünen-Politiker Jan Kürschner. In Schleswig-Holstein, wo er den Rechtsausschuss im Landtag leitet, soll aktuell ebenfalls eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz eingeführt werden. Kürschner befürchtet, dass damit nicht nur Menschen mit rechtsextremer Gesinnung vom Richteramt ferngehalten werden könnten: Wenn wir für alle Bewerbungen im öffentlichen Dienst eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz einführen, steht zu befürchten, dass dies auch einfachen Aktivisten, zum Beispiel aus der Klimabewegung, auf dem Weg in den öffentlichen Dienst zur Last werden kann.“
Ob tatsächlich Klimaaktivisten bei einer Regelabfrage beim Verfassungsschutz durchfallen würden, lässt sich nicht überprüfen. Grundsätzlich werden vor allem Gruppen, deutlich seltener Einzelpersonen vom Verfassungsschutz beobachtet.
Richteranklage: Instrument gegen Verfassungsfeinde – oder gegen politische Gegner?
Ein weiteres Werkzeug gegen Verfassungsfeinde ist die Richteranklage, damit kann ein hauptamtlicher Richter des Amtes enthoben werden. 14 von 16 Bundesländern haben die Richteranklage gemäß ihren Landesverfassungen als Instrument zur Verfügung. In den meisten Bundesländern wird ein solches Verfahren vom Parlament eingeleitet, am Ende entscheidet immer das Bundesverfassungsgericht über die Anklage.
Kritiker befürchten, dass dieses Instrument politisch missbraucht werden könnte. „Ich denke, dass der berechtigte Einsatz gegen Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst nicht dazu führen darf, dass die Rechtsposition der Beschäftigten deutlich geschwächt wird und dass Regierungen ermächtigt werden, unliebsame öffentliche Beschäftigte gegen willfährige neue Personen auszutauschen“, sagt Fachanwalt Baunack. Er verweist auf die aktuellen Entwicklungen in den USA, wo die Regierungen aktuell Posten im öffentlichen Dienst durch ihnen politisch nahestehende Personen besetzte. „Dieses Risiko sollte durch die Wiedereinführung des Beamtenverhältnisses auf Lebenszeit nach dem Nationalsozialismus verhindert werden.“
Disziplinarverfahren durch geschultes Personal
Baunack fordert eine Rückkehr zu einem professionalisierten Disziplinarverfahren im öffentlichen Dienst – wie es bis 2001 üblich war. Damals führten unabhängige, besonders geschulte Untersuchungsführer die Ermittlungen, getrennt von den betroffenen Dienststellen. Heute dagegen übernehmen Vorgesetzte ohne spezielle Schulung diese Aufgabe zusätzlich zu ihrem Tagesgeschäft, was häufig zu Verzögerungen, Interessenkonflikten und mangelnder Objektivität führt, so Baunack. Die Wiedereinführung unabhängiger Untersuchungsführer könne die Verfahren beschleunigen, rechtssicherer gestalten und das Vertrauen in den Disziplinarvollzug stärken, sagt der Fachanwalt.