Mindestlohn

Es ist richtig, wenn die SPD erneut den Mindestlohn thematisiert, um das Verhalten einer Vielzahl von Arbeitgebern anzuprangern, die nicht einmal die bisher unzureichende Höhe von 8,50 und wohl auch nicht die aktuelle Höhe von 8,84 zahlen, obwohl sie dazu gesetzlich verpflichtet sind. Ein solches Verhalten ist volkswirtschaftlich schädlich und betriebswirtschaftlich kurzsichtig. Lesen Sie den Beitrag von Philipp Neumann, dem HA entnommen.

Berlin.  Die Vizechefin der SPD-Bundestagsfraktion, Carola Reimann, fordert Nachbesserungen beim Mindestlohn. Es brauche gesetzliche Änderungen, damit Arbeitnehmer ihren Anspruch auf den Mindestlohn künftig besser durchsetzen könnten, sagte sie unserer Redaktion. Konkret: „Wir brauchen endlich ein Verbandsklagerecht für Gewerkschaften, damit die Arbeitnehmer gestärkt werden und ihre Rechte auch durchsetzen können.“

Arbeitnehmer könnten den Mindestlohn zwar schon jetzt auf dem Klageweg einfordern, sagte Reimann. Aber: „Die Erfahrung zeigt, dass nur wenige dies tun. Arbeitgeber und Arbeitnehmer begegnen sich nicht auf Augenhöhe.“ Viele Beschäftigte trauten sich nicht, ihren gesetzlich garantierten Lohn gerichtlich einzufordern.

 

Studie: Viele Arbeitnehmer bekommen weniger als Mindestlohn

Anlass für Reimanns Forderung ist eine gestern veröffentlichte Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung (WSI). Danach werden viele Arbeitnehmer mit einem 450-Euro-Job unterhalb des Mindestlohns bezahlt. Jeder zweite Minijobber, so die Erkenntnis der Arbeitsmarktexperten des WSI, habe im Jahr 2015 weniger als 8,50 Euro pro Stunde bekommen. Jeder Fünfte sogar weniger als 5,50 Euro.

Der gesetzliche Mindestlohn war im Januar 2015 bei 8,50 Euro gestartet. Anfang dieses Jahres wurde er das erste Mal erhöht – auf jetzt 8,84 Euro. Die nun veröffentlichte Studie des WSI bezieht sich auf die Situation im März 2015, also kurz nach Einführung der gesetzlichen Lohnuntergrenze. Aktuellere Daten lagen den Arbeitsmarktexperten nicht vor. Die Zahlen stammen aus groß angelegten Befragungen von insgesamt 30.000 Arbeitnehmern, die erst mit Zeitverzögerung ausgewertet werden. Grundsätzlich infrage gestellt wird die Studie deshalb aber nicht.

 

Großer Widerstand in der Wirtschaft

Sie sei nicht überrascht von dem Ergebnis, sagte SPD-Politikerin Reimann. Nach dem Start des Mindestlohns habe es in der Wirtschaft großen Widerstand gegeben. „Es gab massive Versuche von Arbeitgebern, ihn zu umgehen“, erinnert sich Reimann. Viele Arbeitnehmer trauten sich nicht, gegen ihren Arbeitgeber vorzugehen. Es sei deshalb wichtig und richtig gewesen, die Kontrollen des Mindestlohns zu verschärfen und dem Zoll, der damit beauftragt sei, mehr Personal zu gewähren.

Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FSK) beim Zoll habe 1600 neue Stellen bekommen. „Diese Beamten beginnen jetzt sukzessive ihren Dienst, die Kontrollen werden nun besser wirken“, sagte Reimann und ist überzeugt, dass der Mindestlohn in diesem Jahr nun endlich „scharf gestellt“ sei.

 

2015 wurden nur zwei Prozent der Unternehmen überprüft

Wie wirksam der Mindestlohn inzwischen kontrolliert wird, ist unklar. Die Zahlen des Zolls für das Jahr 2016 werden erst in einigen Wochen veröffentlicht. Im Jahr 2015 wurden exakt 43.637 Arbeitgeber daraufhin überprüft, ob sie die Lohnuntergrenze einhalten. Das waren gerade einmal zwei Prozent der rund zwei Millionen Unternehmen, die theoretisch dazu verpflichtet sind, den Mindestlohn – oder mehr – zu zahlen. Das Ergebnis der Überprüfungen: Der Zoll leitete rund 2800 Ermittlungsverfahren ein, weil die Untergrenze nicht eingehalten wurde. Die meisten gab es im Baugewerbe, in der Gastronomie und bei der Gebäudereinigung.

Die Opposition nahm die Zahlen des WSI zum Anlass, die aus ihrer Sicht mangelhaften Kontrollen zu kritisieren. „Die Befunde des WSI sind skandalös“, sagte die Grünen-Arbeitsmarktpolitikerin Brigitte Pothmer. „Es rächt sich, dass die Bundesregierung die Kontrollen des Mindestlohns sträflich vernachlässigt hat.“ Linken-Parteichef Bernd Riexinger schrieb auf Twitter: „Wo sind die versprochenen Kontrollen, Frau Nahles?“

 

Arbeitsministerium spricht von Messungenauigkeiten

Die Bundesarbeitsministerin antwortete am Montag nicht direkt, sondern ließ über einen Sprecher nur mitteilen, dass „Befragungen, wie die auf der die WSI-Studie beruht, immer mit Unschärfen und Messungenauigkeiten verbunden seien. Die Angaben der Befragten zu ihren Arbeitszeiten seien nicht immer präzise. Andere Studien mit zum Teil größeren Befragtenzahlen belegten die Aussagen des WSI nicht. Das Statistische Bundesamt habe außerdem ermittelt, dass gerade die Stundenlöhne von geringfügig Beschäftigten 2015 überdurchschnittlich stark gestiegen seien.

Das zeigt auch die Statistik der Minijob-Zentrale, bei der alle geringfügig Beschäftigten gemeldet sind. Den jüngsten Daten dort zufolge lag der monatliche Durchschnittslohn für Minijobber im Jahr 2015 bei 300 Euro. Im Jahr davor, dem letzten ohne Mindestlohn, waren es 288 Euro.

Insgesamt hat die Einführung des Mindestlohns dazu geführt, dass inzwischen rund 200.000 weniger Menschen in Minijobs arbeiten als noch im Jahr 2014. Im gewerblichen Bereich sind es seit 2015 konstant rund 6,6 Millionen. Die Zahl der in Privathaushalten angestellten Minijobber ist mit 300.000 seit Jahren konstant. 

Anmerkungen

Auch mit 8,84 Euro ist der Mindestlohn zu niedrig und daher völlig unzureichend. Wenn man bedenkt, das die von ver.di begonnene Debatte um den Mindestlohn bereits 2003 zu der Forderung von 8,50 Euro geführt hat, kann man sich leicht ausrechnen, wie hoch der Mindestlohn heute sein müsste, wäre er 2003 in der Höhe von 8,50 Euro eingeführt und danach kontinuierlich entsprechend der Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst worden. Er würde jetzt eine Höhe von rund 11, 50 Euro erreicht haben und selbst mit dieser Höhe – die tatsächliche Zahlung vorausgesetzt – nicht ausreichen, eine Rente über der Grundsicherung zu erreichen.

Die von Carola Reimann genannte Notwendigkeit, die Zahlung des jetzt gültigen Mindestlohn von 8,84 Euro über ein Verbandsklagerecht sicherzustellen, kann daher nur der erste Schritt sein, um Armut sowohl im Erwerbs – als auch in der Rentenzeit zu verhindern. Gleichzeitig müssen Leiharbeit und befristete Arbeitsverhältnisse auf Ausnahmefälle beschränkt werden, die sie vor der Agenda 2010 waren.

Die Absicht von Martin Schulz, die Arbeitnehmer wieder in das Zentrum sozialdemokratischen Handelns zu rücken, ist uneingeschränkt zu unterstützen. Er wird dann allerdings nicht umhin können, wesentliche Regelungen der Ära Schröder wieder aufzuheben. Dazu gehört auch, erfolgte Privatisierungen rückgängig zu machen wie z.B. die Teilprivatisierung der gesetzlichen Rente mit der Einführung der Riesterrente, die ausschließlich den Versicherungen (Allianz & Consorten) genutzt hat und nutzt. Dazu gehört die Privatisierung der Krankenhäuser, mit der aus gemeinwohlorientierten Einrichtungen Renditeobjekte gemacht worden sind.

Rolf Aschenbeck

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