Lohnerhöhungen ohne Einkommensverbesserung

VW zahlt seinen Mitarbeitern 3,2 Prozent mehr Gehalt. Der Tarifabschluss bei Volkswagen gibt den Ton für die Lohnrunden in diesem Jahr an. Folgt jetzt der große Schluck aus der Pulle? Üppig ist anders,überschreibt die FR ihren folgenden Artikel:

Diesen Lohnabschluss haben sie mit Spannung erwartet, die Volkswirte in den Bankentürmen in Frankfurt, Paris und London, die Arbeitgeber und Arbeitnehmer in Deutschland. Wie durchsetzungsfähig sind die Gewerkschaften in der größten Volkswirtschaft Europas angesichts sinkender Arbeitslosigkeit, lauten Klagen über den Fachkräftemangel und der Angst vor anziehender Inflation? Und wo, wenn nicht bei Volkswagen, ist die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer stark?

 

Volkswagen geht es prächtig, die IG Metall ist im Konzern gut organisiert: 95 Prozent der Beschäftigten sind Gewerkschaftsmitglieder. Der Konzern ist seit jeher auf einen Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit bedacht, nicht zuletzt wegen der Beteiligung des Landes Niedersachsen.

Beste Voraussetzungen, um eine richtig satte Lohnerhöhung durchzusetzen.

Und was hat die IG Metall für die Beschäftigten in den westdeutschen VW-Werken herausgeholt? 3,2 Prozent plus eine Einmalzahlung von mindestens 500 Euro, bei einer Laufzeit von insgesamt 16 Monaten. „Moderat“, sagt Bert Rürup, ehemaliger Chef der Wirtschaftsweisen. „Moderat“, sagen sie in den Banktürmen, schon die Sorge um die Inflation und kurz bevorstehende Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank (EZB) umging. Auch Martin Lück, Deutschland-Volkswirt der Großbank UBS, sieht das so: „Jede Erhöhung unter drei Prozent hätte mich massiv überrascht.“ Dabei kommen Volkswirte je nach Rechenmethode sogar nur auf eine Erhöhung von 2,6 Prozent im Jahresvergleich – das ist wenig, wenn man bedenkt, dass die Inflation rund zwei Prozent betragen dürfte.

Wenn die starke IG Metall bei Volkswagen gerade mal 3,2 Prozent für 16 Monate durchsetzt, dann werden in anderen Branchen die Einkommen noch geringer steigen, da sind sich Ökonomen sicher. „Wir werden eine starke Lohnspreizung sehen“, meint denn auch Lück: Nur ein relativ kleiner Teil der Beschäftigten könne mit einem kräftigen Plus von drei bis vier Prozent rechnen – dies gelte insbesondere für Arbeitnehmer in der Industrie, etwa in der Chemiebranche. In Dienstleistungssektor wie dem öffentlichen Dienst oder dem Einzelhandel seien dagegen nur sehr geringe Zuwächse zu erwarten.

Übertriebene Sorgen vor anziehender Inflation

Im gesamtdeutschen Durchschnitt rechnet Lück für dieses Jahr mit einer Lohnerhöhung von maximal 2,5 Prozent: „Das ist die absolute Obergrenze, die ich sehe.“ Das gewerkschaftsnahe Wirtschaftsforschungsinstitut IMK ist noch pessimistischer und rechnet im Schnitt mit einem Zuwachs von knapp zwei Prozent. Auch die freiwilligen Erfolgsbeteiligungen, die einige Großkonzerne wie VW zahlen, würden daran nichts ändern, betont IMK-Direktor Gustav Horn. Denn solche Zuschläge gebe es eben nur in wenigen Firmen.

Und wie passt die moderate Lohnentwicklung mit den Klagen über Fachkräftemangel zusammen? Gar nicht. „Der Abschluss zeigt, dass dies noch kein akutes Problem ist. Ansonsten wären die Löhne stärker angehoben worden“, sagt Bert Rürup. Denn in einer Marktwirtschaft gibt es bei Knappheit ein probates Mittel: steigende Preise – beziehungsweise bei Arbeitnehmern steigende Löhne. Bislang gebe es nur „punktuell“ einen Mangel an Spezialisten, meint auch Bank-Ökonom Lück: „Damit sich der Fachkräftemangel in Tarifabschlüssen bemerkbar macht, muss er viel größere Ausmaße erreichen.“

Und wie steht es um die größte Sorge der EZB, dass die steigenden Rohstoffpreise über sogenannte Zweitrundeneffekte, namentlich Lohnerhöhungen, die Inflation dauerhaft anfachen? „Das Thema wird mit Hinweis auf die Staatsverschuldung, die Eurokrise oder die Geldpolitik der EZB von Bankanalysten und Medien hochgejazzt. Von der Lohnseite droht keine Gefahr“, sagt Rürup. Auch das belege der VW-Abschluss.

Ganz ähnlich argumentiert Sylvain Broyer. Der Chefvolkswirt der französischen Investmentbank Natixis sagt: „Der Markt übertreibt mit seiner Angst vor Lohnerhöhungen.“ Angesichts des moderaten Abschlusses sei schwer vorstellbar, woher der Kostendruck in den Unternehmen kommen solle. Die Kerninflationsrate, also jene ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise, dürfte in Euroland 2011 ein mageres Prozent betragen, schätzt Broyer. Zum Vergleich: Vor der Lehman-Krise, als die EZB zum letzten Mal die Zinsen erhöht hatte, betrug sie mehr als drei Prozent.

„Die beiden Phasen sind absolut nicht vergleichbar“, sagt Broyer. „Was die Preise derzeit treibt, ist nicht eine überbordende Liquiditätsversorgung, sondern sind die steigenden Rohstoffpreise“, sagt Rürup. Das jedoch sei importierte Kosteninflation, die mit Zinserhöhungen der EZB nur um den Preis spürbarer realwirtschaftlicher Verluste bekämpft werden könne. Kurzum: Die Sorgen vor anziehender Inflation sind genauso übertrieben wie vor einem unmittelbar drohenden Fachkräftemangel. Im Land der Lohnzurückhaltung wird es noch einige Zeit dauern, bis Tarifverträge abgeschlossen werden, die das Prädikat „üppig“ verdienen.

Kommentar:

Wird der Tarifabschluss der IG-Metall mit VW in Höhe von 3,2% auf 12 Monate umgerechnet, was allein wegen der Vergleichbarkeit notwendig ist, ist lediglich eine Einkommenssteigerung von 2,4% festzustellen. Das ist nicht nur nicht üppig, das ist einfach zu wenig. Wenn man dann noch bedenkt, dass der Warenkorb eine falsche Gewichtung hat und deswegen die voraussichtliche Inflation „nur“ um die 2% betragen dürfte, tatsächlich aber höher sein wird, bleibt selbst bei diesem Abschluss für die Arbeitnehmer bis auf  die Einmalzahlung im Egebnis nichts übrig. Bei VW wäre ein Ergebnis von 4,0% bei einer Laufzeit von 12 Monaten erforderlich gewesen. Ein solcher Abschluss hätte die richtige Signalwirkung zugunsten der Arbeitnehmer gehabt.

Stattdessen werden bei künftigen Tarifabschlüssen, die die unzureichende Höhe des Abschlusses bei VW nicht erreichen können,  zwar die Bruttoverdienste steigen, die Realeinkommen aber wiederum sinken. Dies umso mehr, als für das Jahr 2012 eine statistische Inflationsrate von 3% wahrscheinlich ist, tatsächlich aber höher sein dürfte.

So geht es auch, wenn auch immer noch zu wenig:

Hamburg. Die rund 16 000 Beschäftigten des Energiekonzerns Vattenfall Europe, davon rund 3500 in Hamburg, bekommen mehr Geld. Nach Angaben des Landesbezirks Nordost der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) wurde gestern in der vierten Runde der Tarifverhandlungen in Berlin ein Abschluss erzielt. Die Einigung sehe vor, dass die Einkommen der Beschäftigten rückwirkend zum 1. Januar 2011 um 3,4 Prozent steigen, sagte Verhandlungsführer Michael Winkler. Der Tarifvertrag habe eine Laufzeit von 13 Monaten. Die gemeinsame Konzerntarifkommission der drei verhandelnden Gewerkschaften IG BCE, Ver.di und IG Metall stimmte laut Winkler der Einigung bereits zu.

Hinweis: Umgerechnet auf 12 Monate sind das 3,14%. Das reicht für eine geringe Verbesserung der Realeinkommen im Jahr 2011. Mehr aber auch nicht.