Leistungsträger

Leistungsträger in unserer Gesellschaft sind die Arbeitnehmer, sollte man meinen. Das sehen aber marktradikale Ideologen im Verbund mit der FDP ganz anders. Deswegen wird die Leistung der Arbeitnehmer auch nicht gewürdigt, sondern ganz im Gegenteil ignoriert und stattdessen von Leistungsträgern geredet, die es überwiegend gar nicht sind.

Die unendliche Leistungsträgerlüge

Von Heiner Flassbeck, auszugsweise den „Nachdenkseiten“ entnommen.

Seitdem das Wirtschaftswunder Anfang der 70er Jahre brutal sein Ende fand, wird von unseren Politikern immer wieder, Jahr für Jahr, Wahl für Wahl, die schöne Geschichte von den magischen Steuersenkungen erzählt. Man müsse die Steuern für die „Leistungsträger“ senken und schon sei alles gut. Leistungsträger, das sei nämlich die Spezies von Mensch, die – gut ausgebildet und leistungsfähig – gerne ihr Bestes geben würde, aber unter der Abgabenlast des Staates so ächzt, dass sie viel weniger “Leistung” erbringt, als eigentlich von ihr zu erwarten wäre. Nähme der Staat seine Last nur weg, wäre der Rest ein Leichtes und die Wirtschaft florierte.

Steuern runter für „Leistungsträger“

Da die Mehrheit der Politiker seit vielen Jahren an die Geschichte glaubt, haben sie die Steuerbelastung für die Leistungsträger schon mächtig reduziert, also etwa von einem Steuersatz für die Menschen mit den höchsten Einkommen von 56 Prozent auf 42 Prozent. Da ächzt der Leistungsträger zwar etwas weniger, aber die Bürde des Staates drückt noch immer schwer.

Also weiter runter mit den Sätzen. 35 Prozent will die Partei der Leistungsträger jetzt, aber warum soll das reichen? Wer „Leistung“ bringt, wird immer noch bestraft mit dem Höchstsatz! Wo ist die Logik? Wenn man aber die vollkommen entlastet, die „Leistung“ bringen, woher bekommt der Staat dann das Geld für die Justiz, für die Polizei, für die Verteidigung, für die Strassen und für die Bildung? Offenbar von den anderen.

Eine moderne marktwirtschaftliche Ordnung ist gerade kein System, das davon lebt, dass eine „Handvoll Leistungsträger“ Spitzenleistungen erbringt und daraus sich die Einkommen aller anderen ergeben. Eine moderne Marktwirtschaft ist ein System der Arbeitsteilung, der Spezialisierung des Einzelnen also, in dem das Gesamtergebnis keineswegs mehr der Leistung eines einzelnen oder einiger weniger zugerechnet werden kann. Praktisch alles, was produziert wird, ergibt sich aus einem komplexen Zusammenspiel vieler Leistungen, die zum Teil in der Gegenwart, zum Teil aber auch in der Vergangenheit erbracht worden sind. Dass die Leistungen unterschiedlich entgolten werden, hängt allein mit der Knappheit der „Leistungsträger“ oder ihrer Marktmacht zusammen, in einer Marktwirtschaft aber gerade nicht mit ihrer „Leistung“ in irgendeinem vernünftig zu interpretierenden Sinne.

Leistung ohne Nutzen

Wer Tennisbälle sicher über ein Netz schlagen kann, schnell mit einem Auto im Kreis fährt oder populäre Liedchen trällert, wird in der „Leistungsgesellschaft“ schon vor Erreichen des dreißigsten Lebensjahres mit einem ungeheuren Vermögen entlohnt. Wie sinnvoll diese “Leistung” ist, wird nicht einmal gefragt, weil sich die westliche Gesellschaft, freilich ohne zu wissen, was sie tut, im Zuge der neoliberalen Revolution für ein Knappheitsprinzip ohne wenn und aber entschieden hat. Derjenige dagegen, der sein Leben lang die Böden in Universitäten und Betrieben schrubbt, muss statt eine ordentliche Rente zu erhalten, am Ende zum Sozialamt betteln gehen. Noch schlimmer, wer für die Gesellschaft vollkommen unproduktive Geschäfte tätigt, also z. b. auf den Finanzmärkten die Preise für Rohstoffe oder Währungen hoch treibt, weil er und viele seiner Kumpane darauf mit Schulden gewettet haben, erbringt offenbar eine „Leistung“  FDP-Welt. Auch wenn dabei schließlich das gesamte System zu kollabieren droht und der kleine Putzmann für die Verluste haften muss, ist der Spieler nach  ein Leistungsträger, weil an dem von ihm selbst aufgeblasenen Spekulationsballon so viel verdient hat, dass er – selbst wenn er brav seine Steuern bezahlt – danach nie wieder arbeiten muss. Das ist nicht die Leistung, die eine Gesellschaft trägt! Weil in einer Marktwirtschaft gerade nicht Leistung belohnt wird, ist es gerechtfertigt und notwendig, dass der Staat wesentlich mehr von denen verlangt, die durch glückliche Umstände, Privilegien oder die inhärente Knappheitslogik des Systems überdurchschnittlich „entlohnt“ worden sind.

Leistung und Allgemeinwohl

 Unabhängig davon ist der Staat einer der wichtigsten Vorleister des Systems. Ganz gleich, ob er durch verbesserte Infrastruktur, Rechtssicherheit, mehr Bildung, äußere Sicherheit oder auch durch sozialen Frieden mithilfe einer menschenwürdigen sozialen Absicherung zur Gesamtleistung beiträgt, er ist ein Vorleister wie alle anderen und muss vernünftig bezahlt werden. Bei keinem anderen Vorleister kämen  Ideologen auf die Idee, die Bezahlung generell in Frage zu stellen, ohne über den Wert und die Qualität der Vorleistung zu reden. Nur beim Staat wird die einfache, aber fundamentale Tatsache der Vorleistung in einer arbeitsteiligen Gesellschaft ignoriert oder von ideologischen Debatten überlagert.

Leistungsträger in einem funktionierenden und auf lange Sicht erfolgreichen Team sind alle, selbst wenn ab und an der eine oder der andere keinen besonders guten Tag hat. Wer die Beiträge der Einzelnen zur Bezahlung der Vorleistungen des Staates in einer arbeitsteiligen Gesellschaft diskutieren will, sollte ehrlich sein und offen die Frage stellen, ob die Armen oder die Reichen – absolut und proportional – mehr beitragen sollen. Da werden sich sicher auch die Geister scheiden. Die dümmliche Phrase von den Leistungsträgern, die nur zur Verteidigung der Reichen vorgebracht wird, kann man sich dann aber getrost schenken.

 

Wer sind die Sozialschmarotzer?

Worum geht es, wenn man allein die konservativere Schätzung zur Steuerhinterziehung nimmt und sie mit der – ganz sicher überzeichneten – Kalkulation der Schäden durch vermeintliche ALG-II-Betrüger vergleicht? Möglicherweise doch der, dass es Missbrauch offenbar in allen Bevölkerungsschichten gibt, aber der Missbrauch der viel beschworenen “Leistungsträger” die Gemeinschaft finanziell deutlich teurer zu stehen kommt als der der Bezieher der sozialen Grundsicherung.

Vielleicht könnte man auch zu dem Schluss kommen, dass die arbeitende Bevölkerung mit nur geringen oder durchschnittlichen Einkommen wesentlich mehr davon hätte, wenn die Politik die Steuerhinterziehung konsequenter bekämpfen würde – anstatt sich auf die rund fünf Millionen erwerbsfähigen Hilfeempfänger einzuschießen, die sich aber auch partout weigern, die knapp eine halbe Million bei der BA gemeldeten freien Stellen zu besetzen. Möglicherweise sollte der Staat einfach einmal über die Einstellung von zusätzlichen Steuerfahndern nachdenken. Damit wäre schließlich gleichzeitig etwas für die Beschäftigung getan.

Ein Problem mit der Steuerfahndung scheint übrigens besonders das von Roland Koch regierte Land Hessen zu haben. Dass sich Roland Koch nun an vorderster Front am Einprügeln auf vermeintliche Nutznießer der “sozialen Hängematte” beteiligt (”Wir haben Menschen, die mit dem System spielen und Nischen ausnutzen”), während seine eigene Verwaltung die Verfolgung der Steuerhinterziehung wohlhabender Bevölkerungskreise offensichtlich gezielt hintertreibt – das ist allerdings an Dreistigkeit kaum mehr zu überbieten.

 

 

 

 

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