Labour Party

Die programmatischen Aussagenvon John Mc Donnell auf dem Parteitag der Labour Party, die lediglich auszugsweise wiedergegeben werden und dennoch die inhaltlichen Positionen dieser Partei deutlich benennen, sollten für die Schwesterpartei  SPD die Vorlage für ihre notwendige inhaltliche Erneuerung sein. Lesen Sie den Beitrag von Christian Bunke, der Tageszeitung Junge Welt entnommen.

Wenn alle Medien und Unternehmerverbände einen anschreien, dann hat man als große linke Partei wohl etwas richtig gemacht. Das könnte sich zumindest Jeremy Corbyn, der Vorsitzende der britischen Labour Partei zum Abschluss des diesjährigen Parteitags in Brighton denken. In seiner Abschlussrede am Mittwoch bezeichnete er Labour als »Regierung im Wartestand«. Premierministerin Theresa May rief er zum Rücktritt im »Interesse des Landes« auf.

Das buchstäbliche rote Tuch für die auf der Insel ansässigen Großbänker und Industriellen war wie in den Jahren zuvor mal wieder Labours wirtschaftspolitischer Sprecher John McDonnell. Er würde beim Antritt einer von Corbyn geführten Regierung die Rolle des Finanzministers übernehmen. Am Montag präsentierte er dem Parteitag die neueste Version seines Wirtschaftsprogramms. Darin heißt es: »Wir wollen eine Wirtschaft für die vielen, nicht die wenigen aufbauen. … Das können wir nur machen, wenn wir den Besitz von Eigentum drastisch ausweiten. Wir werden Arbeiterkontrolle und den kooperativen Sektor ausdehnen wie nie zuvor in der britischen Geschichte.«

Das bedeute aber auch, die Energieversorger und »wichtige Dienstleister« wieder in »die Hände jener zu übergeben, die dort arbeiten und die sie nutzen. Ich möchte, dass hier kein Zweifel besteht. Eisenbahnen, Wasser, Energie, die Post: Wir holen sie uns zurück.« An dieser Stelle brach der Parteitag in tosenden Applaus und stehende Ovationen aus.

Nachdem McDonnell weitere Programmpunkte vorgestellt hatte, darunter die Einführung eines Mindestlohns von zehn Pfund pro Stunde, die Abschaffung der Antigewerkschaftsgesetze, die Stundung von Kreditkartenschulden, wandte er sich einer weiteren Schlüsselaufgabe zu: der Rücknahme von Privatisierungen durch PFI. Die Public Finance Initiative wurde von der konservativen Regierung unter Premier John Major eingeführt und von den »New Labour«-Regierungen unter Tony Blair und Gordon Brown drastisch ausgeweitet.

PFI sieht vor, dass private Unternehmen Krankenhäuser und andere öffentliche Einrichtungen bauen und betreiben, dafür zusätzlich noch reichlich Geld von der öffentlichen Hand bekommen. PFI-Verträge sehen vor, dass der Staat nicht nur für die Bau- und Betriebskosten aufkommt, sondern auch zweistellige Profitmargen für die »Investoren« garantiert.

Glaubt man John McDonnell, wird die nächste Labour-Regierung damit Schluss machen. »200 Milliarden Pfund werden durch PFI im nächsten Jahrzehnt vom öffentlichen an den privaten Sektor fließen. Was für eine Verschwendung von Steuergeldern«, rief er den Delegierten zu. »Nie wieder wird so viel Geld verwendet werden, um in Steueroasen sitzende Aktionäre zu bezahlen. Unsere Regierung wird keine neuen PFI-Verträge aufnehmen.«

Darüber hinaus hat McDonnell auch die komplette Abschaffung der PFI in Großbritannien versprochen. Das wird schwierig werden. Die Ausstiegsklauseln aus den Verträgen sind drakonisch. Der Unternehmerverband CBI protestierte bereits heftig. »Die Vision des Schattenwirtschaftsministers für eine massive staatliche Intervention ist der falsche Plan zur falschen Zeit«, ließ CBI-Generaldirektorin Carolyn Fairbairn den Medien ausrichten. »Erzwungene Verstaatlichungen großer Teile der britischen Industrie werden die Investoren zur Flucht veranlassen. Es handelt sich hier um fehlgeleitete Nostalgie und nicht um eine progressive Vision.«

In den kommenden Tagen wird man die Details von McDonnells Plänen prüfen müssen. Möglich ist, dass er, um eine direkte Konfrontation mit dem Kapital ausweichen, bestehende Verträge mit privaten Betreibern auslaufen lassen will, anstatt sie aufzukündigen. Doch auch eine solche sanfte Methode würde von der britischen Oligarchie als das verstanden, was sie ist: eine Kriegserklärung.

 

Albrecht Müller. NachDenkSeiten, zur Notwendigkeit klarer politischer Positionen zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung:

Nach Corbyn und Labour haben jetzt die portugiesischen Sozialisten mit Antonio Costa nach zwei Jahren Regierung im Land bewiesen, dass man mit der Besinnung auf die Wurzeln und die Grundwerte einer linken Partei Wahlen gewinnen kann. Siehe dazu einen Bericht in Anlage 1. Hierzulande wird hingegen kräftig daran gearbeitet, die Besinnung auf die in der Sache berechtigte und obendrein erfolgreiche Programmatik und die alten Grundwerte zu vermeiden. Diese Tendenz begegnet einem zum Beispiel in einer seltsamen neuen Organisation mit dem Titel „SPD++“ und in Äußerungen des Top-Vertreters einer Werbeagentur, die in den letzten 20 Jahren häufig für die SPD gearbeitet hat.

Die portugiesischen Sozialisten haben sich zusammen mit ihrem Vorsitzenden und jetzigen Ministerpräsidenten António Costa gegen das Austeritätsdiktat Deutschlands, der EU und der EZB gewehrt und ihre Politik selbst formuliert und an ihren Grundwerten orientiert.

Labour hat mit Corbyn an der Spitze Hunderttausende von Menschen mobilisiert und bei den letzten Wahlen deutlich zugelegt – um 9,5 % auf 40 %. Wider Erwarten und entgegen der teilweise verhöhnenden Kommentierung deutscher und internationaler Medien. Wenn man sich die Rede des Labour-Vorsitzenden vom 28.9.2017, die wir hier „Unser Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ – Jeremy Corbyns mitreißende Parteitagsrede im Original und in Übersetzung wiedergegeben haben, anschaut, dann wird man durchgehend finden: Hier verbindet ein politisch führender Kopf der Linken das Bedürfnis, Politik im 21. Jahrhundert zu machen, mit dem Rückgriff auf die bewährte Programmatik und die alten Grundwerte. Corbyn hat folgendes gesagt:

„Unser Wahlprogramm ist das Programm einer modernen, progressiven sozialistischen Partei, die ihre Wurzeln und ihren Sinn wiederentdeckt hat und sich damit gegen den europaweiten Trend stemmt.“

Besinnung auf die Wurzeln. Und den Sinn der alten Programmatik und Werte wiederentdecken – das ist neben der Aufgeschlossenheit für die moderne Zeit wichtig. Und noch etwas, Corbyn sprach von zwei Stars seiner Kampagne, und kommt hier auf den einen Star zu sprechen:

„Und, liebe Genossinnen und Genossen, der andere Star dieser Kampagne, das wart IHR. Unsere Mitglieder, unsere Unterstützer in den Gewerkschaften, unsere Leute im Haustürwahlkampf und in den sozialen Medien.“

Dieser Vertreter einer linken Partei hat verstanden, dass angesichts des überall erkennbaren Versuchs, mithilfe der etablierten Medien jedes linke Pflänzchen sofort und nachhaltig kaputt zu treten, Wahlen nur zu gewinnen sind, wenn man eine Gegenöffentlichkeit aufbaut. Diese Erfahrung haben wir in Deutschland schon vor 45 Jahren gemacht. Nichts daran ist veraltet.

Die Rede Corbyns enthält nahezu alle Elemente der Programmatik und Kampagne, die jede fortschrittliche Bewegung auch bei uns nutzen müsste:

  • aktive Beschäftigungspolitik, öffentliche Investitionen
  • hohe Löhne, und damit also keinesfalls ein Bekenntnis zum sogenannten Niedriglohnsektor,
  • kostenlose Bildung,
  • eine dynamische Rolle für den öffentlichen Sektor und Abkehr von der Privatisierungsideologie,
  • Politik für die vielen, nicht für die wenigen,
  • friedliche Lösungen internationaler Konflikte, und
  • selbstverständlich: Attacke auf die Konservativen.

Fazit: Corbyn in Großbritannien und Costa in Portugal haben gezeigt, dass die Linke nicht verloren ist, wenn sie sich programmatisch auf ihre Wurzeln und Werte besinnt und sie sich im Wahlkampf auf die eigenen Sympathisanten und ihre Stimme als Multiplikatoren abstützt.

 

Europafeindlichkeit

Leider ist der Vorsitzende der Labour Party in einer ideologisch behafteten, undifferenzierten Europafeindlichkeit aufgesessen, die seine Positionen zugunsten der Mehrheit der Bevölkerung konterkarieren. Lesen Sie den gekürzten und redaktionell geänderten Artikel von Bettina Schulz, ZeitOnline am 18.02.2019 entnommen:

Sieben Labour-Parlamentarier haben ihre Partei verlassen – von einstmals 255 Labour-Abgeordneten, die ohnehin keine Mehrheit im britischen Parlament haben. Das erscheint auf den ersten Blick wenig dramatisch. Und doch handelt es sich nicht um Einzelschicksale frustrierter Abgeordneter, die mit der sehr linken Politik von Parteichef Jeremy Corbyn nicht mehr einverstanden sind. Der Austritt der Sieben – darunter Chuka Umunna, die Stimme der pragmatischen Linksliberalen in der Partei – ist alarmierend. Das, was bei Labour gerade geschieht, droht zudem in ähnlicher Form auch der Konservativen Partei. Es ist die Konsequenz daraus, dass Ideologen das Sagen in beiden Parteien übernommen haben.

Jeremy Corbyn und seine Mannschaft wünschen sich den Brexit ebenso wie die meisten Konservativen, allerdings aus einem anderen Grund. Corbyn und sein finanzpolitischer Sprecher John McDonnell glauben, ihre sozialistische Politik besser außerhalb der EU als innerhalb eines Korsetts von EU-Vorschriften umsetzen zu können. Die Arbeiterbasis der Partei erhofft sich vom Brexit zudem bessere Lebensumstände. Corbyn hat daher kein Interesse, den von den Konservativen eingefädelten Brexit durch eine zweite Volksabstimmung zu gefährden.

Deshalb schert er sich auch wenig um die Vereinbarung, die der liberale, europafreundliche Flügel seiner Partei auf dem letzten Parteitag durchgesetzt hat: Sollte es Labour nicht gelingen, über das Brexit-Fiasko eine Neuwahl zu erzwingen, solle die Parteiführung sich für eine zweite Volksabstimmung stark machen. Da eine Neuwahl nicht in Sicht ist, müsste Corbyn also auf die Parteilinie einer zweiten Volksabstimmung einschwenken – was er nicht tut.

Damit fühlen sich die pragmatischen Abgeordneten, die den Brexit – und vor allem einen No-Deal-Brexit – nicht befürworten, verraten und im Stich gelassen. Sie können sich geschlagen geben – oder gehen. Wer über einen Abgang nachdenkt, droht abgesetzt zu werden, wie es die jüdische Abgeordnete Luciana Berger vor Kurzem erlebte, die ohnehin unter dem ständigen Antisemitismus in der Partei zu leiden hat. Wer dennoch aufgibt, riskiert, in einem Land, in dem kleine Parteien angesichts des Mehrheitswahlrechtes kaum eine Chance haben, in der politischen Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Und doch haben die sieben Abgeordneten den Schritt gewagt. Sie sind gegen Corbyns Brexit-Strategie und gegen seine national orientierte Wirtschafts- und Außenpolitik sowie den tolerierten Antisemitismus.

 

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