Übersehen wird bei Lauterbach gern, dass er schlicht und einfach auf Zack ist. Dass er nicht nur Schließungen fordert, sondern ständig neue Vorschläge macht, um künftige Shutdowns zu vermeiden, mal intern, mal öffentlich. Das unterscheidet ihn zum Beispiel von der Kanzlerin, die ebenfalls eine begnadete Schließerin ist, der darüber hinaus aber nicht allzu viel einfällt. Vom amtierenden Bundesgesundheitsminister sowieso.
Rechtzeitiges Handeln angemahnt
Schon Anfang Mai 2020 (!) sagte Lauterbach mir in einem Video-Interview über die Impfstoffproduktion: »Wenn ich erst abwarte, welcher Impfstoff den Erfolg bringt, und dann erst anfange, die Produktion vorzubereiten, dauert die Vorbereitung der Produktion möglicherweise so lange wie die Entwicklung des Impfstoffs. Das heißt: Jetzt ist es sehr, sehr, sehr wichtig, dass wir investieren in Impfstoffe, die möglicherweise später nie produziert werden. Das kann aber nur passieren, wenn das die Staaten machen. Das macht keine Firma. Wir müssen schauen, dass wir das vorbereiten.« Nur neun Monate später kam auch die Bundesregierung auf diesen Gedanken.
Konstruktive Vorschläge
Lauterbach war es auch, der sehr früh die staatliche Beschaffung von Luftfiltergeräten (zum Beispiel für Klassenräume) forderte, von Schnelltests und vielem, vielem mehr. Vor der letzten Ministerpräsidentenkonferenz hatte er den Plan entwickelt, Öffnungsschritte mit systematischen Testungen in Schulen und Betrieben zu verbinden. Doch der Plan scheiterte vorerst, weil nicht genügend Selbsttests besorgt wurden. Lauterbach wollte auch den AstraZeneca-Impfstoff sofort für Ältere zulassen, zudem forderte er früh, den Abstand zwischen zwei Impfungen zu verlängern. So kam es dann auch, nur viel, viel später eben.
Kompetenz als Makel?
Zweimal, 2013 und 2017, war Lauterbach als Gesundheitsminister im Gespräch. Aber die SPD hat nie wirklich um dieses Ministerium gekämpft, am Ende war immer irgendetwas wichtiger, der Regionalproporz oder andere Quoten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass gerade die SPD sehr gut darin ist, Genossen kleinzuhalten, die nur wenige Würstchen im Ortsverein gewendet, dafür aber mehr Grips in der Birne haben.
Kompetenz wird da eher als Makel empfunden. Das ist ziemlich ernüchternd, und außerdem schädlich. Nicht nur für die SPD.
Kommentar
Es ist mittlerweile eine Ausnahme, dass sich ein Journalist einem Politiker der SPD unvoreingenommen nähert, in diesem Fall Karl Lauterbach, und feststellt, dass er weder verbiestert noch ein Dampfplauderer ist, sondern ein im Interesse des Gemeinwohls orientierter Fachmann, der weiß, wovon er redet. Leider wird ihm nicht zugehört, weil plakativen Ankündigungen und egomanischen Selbstdarstellungen mehr akzeptiert werden als sachorientierte Argumente, die nicht lauthals verkündet werden, sondern differenzierte Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.
Woran liegt das? Ist es der autoritätsgläubige Ansatz, einem Minister mehr zu vertrauen als einem Oppositionspolitker? Ist es bequemer, das veröffentliche Urteil anderer zu übernehmen, als sich die Mühe zu machen, sich selbst ein Urteil zu bilden? Oder gibt es Vorbehalte gegenüber Personen, die nicht dem eigenen Weltbild entsprechen?
Lauterbach wird oftmals als Person allein deswegen abgelehnt, weil seine Stimme nicht dem gängigen Klischee entspricht. Er wird in die Ecke des griesgrämigen Meckerers gestellt, der schlechte Laune verbreitet und ansonsten nichts zu bieten hat. Auch Journalisten sind schnell dabei, über eine Person wie Lauterbach abfällig zu urteilen, weil sie Flitzpiepen sind.
Tatsächlich hat Lauterbach mit all seinen Aussagen Recht behalten. Das kann man vom Gesundheitsminister nicht behaupten. Trotzdem wird ihm in der Tagesschau am 18.März 2020 die fünfminütige Gelegenheit gegeben, sich für sein wiederholtes Versagen zu rechtfertigen mit dem Tenor, alles richtig gemacht zu haben.
Diese von der Tagesschau zugelassene Rechtfertigung, und dann auch noch in diesem Ausmaß, ist gleichzeitig ein journalistisches Schurkenstück, weil es ausschließlich darum ging, propagandistisch jenseits der Wahrheit zu handeln.