Kampf um den Datenschutz

In Brüssel führt der Hamburger EU-Abgeordnete Jan Philipp Albrecht seit Jahren einen Kampf David gegen Goliath: Er will eine neue Datanschutzverordnung durchboxen, die die Persönlichkeitsrechte der Bürger besser schützt. Lesen Sie den Beitrag von Yvonne Weiss, dem HA entnommen.

Das soll also der Mann sein, in dessen Händen unsere Zukunft liegt. Ohne den wir Facebook, Google, Amazon und Co. für immer ausgeliefert sein werden. Ohne den wir zum gläsernen Menschen würden oder, um es etwas härter mit Albrechts eigenen Worten zu formulieren, irgendwann „ausgebeutet und entmündigt“ dastünden. So ein Mann müsste stark und gerissen sein wie James Bond und im Umgang mit Politikern und Wirtschaftsbossen eine Erfahrung wie Angela Merkel aufweisen können. Er sollte eine Aura versprühen, die Mark Zuckerberg oder Jeff Bezos sofort dazu verleitet, ihre Tastatur wie einen Schutzschild vor sich zu halten. Er müsste ein Held sein.http://www.abendblatt.de/img/thema/crop206566219/9062606921-w820-cv16_9-q85/2Y9A9126.jpg

Doch vor uns steht ein Junge. Man kann es nicht anders sagen, aber Jan Philipp Albrecht wirkt mit seinen Löckchen und einer John-Lennon-Gedächtnis-Brille eher wie ein Bruder als ein Vater für seinen vier Monate alten Sohn, den er mit zum Interview bringt. Albrecht hat keine Zeit für ein Privatleben, also integriert der 32-Jährige es in die Arbeit. „Ob es hier einen Wickeltisch gibt?“, fragt er. Wohl kaum. Der Saal II auf der Schanze schenkt eher Bier als Pre-Milch aus, dementsprechend wenig familienfreundlich wirkt die Ausstattung. In einem Kinofilm wäre jetzt der Moment, in dem der Zuschauer denkt: „Oje, diese Schlacht haben wir verloren. Wie will dieser nette, dünne Kerl bitte schön die Bösewichte in die Schranken weisen?“ Aber diese Szene dient natürlich nur dem Spannungsaufbau. Rocky Balboa schien auch nie eine Chance gegen Apollo Creed zu haben, und welcher der beiden Boxer wurde am Ende der zwölf Runden wie ein Sieger gefeiert? Eben.

Jan Philipp Albrecht ist Rocky Balboa in Runde elf. Er hat bereits einen anstrengenden Weg hinter sich, er musste viele Kräfte lassen, aber er steht noch da, entschlossener denn je zuvor. Die nächste Runde zählt, sie bringt die Entscheidung. Entweder bekommt der Hamburger jetzt noch so richtig auf die Fresse, oder er geht als Held für die Persönlichkeitsrechte der Bürger in die Geschichte ein

Selbstbestimmung im Internet

Aber worum geht es bei diesem Fight überhaupt? Es geht um die Frage, wie viel Selbstbestimmung der einzelne Mensch im digitalen Zeitalter noch hat, und es geht um einen Widerspruch: Niemand von uns würde nackt am Fenster stehen, wenn der Nachbar herüberschaut, aber jeder gibt mit jedem Klick, mit jedem Telefonat, mit jeder Kartenzahlung, mit jedem im Internet bestellten Produkt seine Daten preis. Diese Daten wollen viele Unternehmen haben, denn in der digitalen Welt bedeuten sie Macht. „Daten sind das neue Öl. Öl hat unser Leben für immer verändert, und Daten werden dasselbe tun“, sagt Jan Philipp Albrecht. Das Problem an der Sache: Die Daten werden oft ohne das Wissen der Anwender abgegriffen, genau genommen werden sie gestohlen. „Gerade für Nutzer von Facebook, Google und Smartphone-Besitzer könnte das neue EU-Datenschutzgesetz eine Menge bringen, da sie bisher in der Praxis kaum gegen Datenklau und den Weiterverkauf persönlicher Informationen geschützt sind“, sagt Jan Philipp Albrecht.

Besonders Finanzdienstleister, Banken und Versicherer sind groß im Geschäft bei der Datensammlung. Wissen ist Macht, und Wissen über andere Leute bedeutet noch mehr Macht. Die Ausforschung einer Person entscheide unmittelbar über den Preis ihres Hauskredits oder ihrer Lebensversicherung, erklärt Albrecht, die Person selbst bekommt davon aber gar nichts mit: „Viele der heutigen Marktteilnehmer sitzen in einem Boot mit Kriminellen. Beide haben keinerlei Interesse daran, dass der Nutzer nachvollziehen kann, welche Datenverarbeitungsprozesse stattfinden und zu welchen Konsequenzen sie führen können.“

Für den Netzpolitiker ist die Verselbstständigung der Datenanalyse die unbemerkt stattfindende Ölkatastrophe des digitalen Zeitalters. Wenn Al­brecht so entschlossen spricht, dann vergisst man sein Alter und bekommt eine Ahnung davor, wie ernst ihm die Sache ist, dass er alles für einen besseren Datenschutz tun würde. Seit 2012 sitzt er dafür genau an der richtigen Stelle. Da wird der Grünen-Europaabgeordnete zum Verhandlungsführer des Europäischen Parlaments zur EU-Datenschutzverordnung gewählt. 28 Staaten sollen sich auf ein einziges gültiges Recht einigen. Noch sieht es nämlich überall anders aus. Ein einziges Kuddelmuddel, das die Entwicklung eines digitalen Binnenmarktes erschwert und unfaire Wettbewerbsbedingungen mit sich bringt.

Als Verhandlungsführer hat Al­brecht eine der einflussreichsten Positionen der europäischen Politik inne. Der Hamburger arbeitet ein Gesetz aus, das direkt für eine halbe Milliarde Menschen sowie für alle in Europa tätigen Unternehmen gilt.  Seit seiner Ernennung zum Berichterstatter bekommt Albrecht jeden Tag den Einfluss der großen IT-Konzerne aus dem Silicon Valley zu spüren. Die von ihnen bezahlte Lobby ist die reichste und wohl einflussreichste in Washington und Brüssel, den beiden Orten auf der Welt, an denen sich die meisten Lobbyisten tummeln. 4000 Änderungsanträge gehen zum sogenannten „Albrecht-Report“ ein, noch nie hat ein geplantes EU-Gesetz so viele Gegner auf den Plan gerufen. „Ich glaube, wir befinden uns im Kriegsmodus“, sagt eines Tages Ralf Bendrath, Albrechts engster Mitarbeiter in Brüssel, zu ihm. In ihrem Büro hängt groß der Buchstabe A für Aufpassen. Daran halten sie sich und ackern weiter.

Trotz Edward Snowdens Enthüllungen bleiben die Menschen zu gutgläubig

Die Regeln für den digitalen Markt würden den Wohlstand der Volkswirtschaften bedrohen, argumentieren die Lobbyisten. „Auf beiden Seiten des Atlantiks laufen deshalb Politiker den großen IT-Konzernen hinterher, weil die ihnen blühende Landschaften versprechen“, sagt Albrecht.

Aber er hat zum Glück nicht nur Feinde, sondern auch starke Verbündete wie Vivian Reding, die 2010 Vizepräsidentin der Europäischen Kommission wurde. Sie war es, die den Gesetzgebungsprozess durch einen ersten Entwurf in Gang brachte. „Unsere Regeln sind aus einer Vor-Internet-Zeit, es ist unerlässlich, sie zu ändern“, sagt Vivian Reding gegenüber dem Abendblatt. Edward Snowden habe zwar eine Welle der Empörung ausgelöst, vorsichtiger geworden seien die Menschen allerdings nicht. Weiterhin geben sie ihre Daten zu naiv heraus und erklären oft ihre Zustimmung, ohne zu wissen, wozu überhaupt. Die größte Lüge im Internetzeitalter stellt das Häkchen hinter dem Satz dar: „Ich habe die Datenschutzbedingungen gelesen.“

Reding glaubt, dass nur ein Skandal die Bürger wachrütteln könne, am besten im Gesundheitswesen. Wenn beispielsweise herauskäme, dass Daten, die durch scheinbar harmlose Anwendungen wie Kalorienzähler, Fitness-, Schlafphasen-, oder Rauchentwöhnungs-Apps generiert wurden, eine Auswirkung auf die persönlichen Versicherungsprämien hätten oder von Arbeitgebern bei der Neueinstellung von Kandidaten zurate gezogen würden. „All das wird kommen, wir befinden uns ja erst im Steinzeitalter der digitalen Entwicklung. Mir graut vor einer solchen Welt, und deshalb brauchen wir Menschen wie Jan. Er ist ein echter Glücksfall, weil er durchsetzungsstark, auf Augenhöhe und mit einem unheimlichen Detailwissen verhandeln kann“.

Der bisher größte Meilenstein für Albrecht war der 15. Juni dieses Jahres. An dem Tag sollte der Rat der Justiz- und Innenminister über einen gemeinsamen Standpunkt zur Datenschutzgrundverordnung abstimmen. Dort würde sich zeigen, ob Albrecht in den vergangenen Monaten erfolgreich gearbeitet hat, ob all seine Diplomatie, seine Argumente und sein Fachwissen es vermochten, die zahlreichen verschiedenen Positionen auf einen Nenner zu bringen. Er schafft es! Der Al­brecht-Report wird angenommen. Und was macht der Verfasser? Isst zur Belohnung einen Keks in seinem Büro: „Eigentlich feiere ich gerne, aber ich weiß, dass ich am nächsten Tag fit sein muss, um weiterzumachen. Die EU-Gesetzgebung geht über viele Runden.“ Und gefeiert wird erst nach der zwölften. Die läuft jetzt in diesem Moment. Bei den sogenannten Trilog-Verhandlungen diskutieren EU-Kommission, Parlament und Rat die finale Fassung der Datenschutzgrundverordnung; natürlich ist Albrecht vorne mit dabei.

Wird es eine strenge Verordnung oder nur ein harmloser Kompromiss?

Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit Johannes Caspar beobachtet den Reformprozess mit Spannung. Der 53-Jährige fragt sich, ob das Gesetz wirklich die erhoffte Wende oder nur mehr Bürokratie bringt. Sicher ist, dass es direkte Auswirkungen auf seine Arbeit hat. „Wir Datenschützer werden oft als Spielverderber gesehen, weil wir den Unternehmen Grenzen setzen. Aber gerade die Fehlentwicklungen digitaler Technologien kümmern die wenigsten“, sagt Caspar. Kaum ein Internetnutzer scheine sich darüber bewusst zu sein, dass er mit einer digitalen Tätowierung herumlaufe, dass andere Menschen ihn danach beurteilen, was über ihn im Internet steht. Caspar setzt sich daher für ein Recht auf das digitale Vergessen ein.

Besonders wichtig erscheint ihm auch eine strenge Zweckbindung, eines der zentralen Prinzipien des Datenschutzrechts. Jeder Internet-Nutzer muss sich darauf verlassen können, dass seine Daten nur zu den Zwecken verarbeitet werden, zu denen sie erhoben wurden, das ist jedoch wie schon erwähnt häufig nicht der Fall. Caspar befürchtet, dass die Zweckbindung im Vorschlag der Kommission aufgeweicht wird. Außerdem ärgert es ihn, dass die pseudonyme Nutzung bestimmter Dienste wahrscheinlich nicht in der Verordnung thematisiert wird. „Dabei gehört die pseudonyme Nutzung zum Grundrecht auf Privatsphäre, sie ist zentral für die Meinungsfreiheit im Netz“, sagt Caspar. Trotz der von ihm befürchteten Kompromisse bekundet er seine Hochachtung vor Albrecht und Reding. „Im Grunde grenzt es an ein Wunder, dass die beiden so weit gekommen sind. Sie müssen nun allerdings aufpassen, dass dem Gesetz auf der Zielgeraden nicht die ursprüngliche Intention abhandenkommt und es im Schutzgehalt hinter der derzeit geltenden Richtlinie zurückbleibt.“

Jan Philipp Albrecht weiß, dass der Teufel im Detail steckt, und wird in der letzten Runde nicht plötzlich einknicken: „Erfolg und Scheitern liegen in meinem Job nah beieinander. Aber ich bin optimistisch, dass wir uns bis Weihnachten einigen.“

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