Interessenwahrnehmung

Rückblick 2010. Heute: Gewerkschaften. Die DGB-Spitzenfunktionäre sind im Kanzleramt wieder gern gesehen. Doch ihre Politik geht zu Lasten der Beschäftigten. Von Daniel Behruzi, Junge Welt. Hat der Autor recht oder überzieht er seine Kritik? Schreiben Sie uns.


Schwache Tarifabschlüsse, halbherzige Sozialproteste, verstärkter Standortkorporatismus und bürokratische Tricksereien – bis auf wenige Ausnahmen haben die bundesdeutschen Gewerkschaftsspitzen im Jahr 2010 kein gutes Bild abgegeben. Dafür sind sie beim Establishment wieder gern gesehener »Partner«. Den Preis dafür zahlen die Beschäftigten.

Ver.di ging mit einer Lohnforderung von »fünf Prozent im Gesamtvolumen« in die Verhandlungen mit Bund und Kommunen, reduzierte das Ziel aber bald auf 3,5 Prozent, um schließlich bei insgesamt 2,3 Prozent zu landen – allerdings in 26 Monaten, nicht in zwölf. Den Kollateralschaden dabei hatten wieder einmal die Landesbeschäftigten: Wegen der langen Laufzeit bei Bund und Kommunen steht dieser weniger durchsetzungsfähige Bereich in der Anfang Februar beginnenden Tarifauseinandersetzung erneut allein da. Von den 120000 öffentlich Bediensteten, die sich Anfang 2010 an Warnstreiks beteiligten, waren insbesondere die Auszubildenden enttäuscht. Die Forderung nach garantierter Übernahme wurde in eine unverbindliche Absichtserklärung der Arbeitgeber verwandelt.

Die »Rituale« des Tarifkonflikts – also die Einbeziehung und Mobilisierung der Beschäftigten – gleich ganz beiseite ließ die IG Metall. Erstmals in ihrer Geschichte ging diese ohne bezifferte Lohnforderung in eine Tarifrunde, die zudem vorgezogen und dadurch vollständig im Rahmen der Friedenspflicht verhandelt wurde. Das Ergebnis war entsprechend: Auf elf Monate ohne tabellenwirksame Lohnsteigerung folgen in weiteren zwölf Monaten 2,7 Prozent mehr. Daß diese zum 1. April fällige Erhöhung in diversen Betrieben um zwei Monate vorgezogen wird, macht angesichts der vorangegangenen Reallohnkürzung nicht allzu viel aus. Vor allem hat sich die IG Metall mit der Laufzeit bis März 2012 der Möglichkeit beraubt, den Beschäftigten wenigstens ein Stück vom Aufschwungskuchen zu sichern – nachdem diese schon die Krisenkosten übernehmen mußten. Das taten sie u.a. in Form »tariflicher Kurzarbeit«, die mit einem weitgehenden Lohnverlust bei reduzierten Arbeitszeiten einherging.

Die IG-Metall-Spitze läßt dieser Tage keine Gelegenheit aus, ihr »Krisenmanagement« abzufeiern. Natürlich ist es ein Erfolg, daß Entlassungen zum Teil vermieden werden konnten. Dennoch ist es eine Tatsache, daß die abhängig Beschäftigten für die von ihnen nicht verursachte Krise zahlen müssen – zum einen durch Reallohnverluste und zum anderen durch erhöhte Steuerbelastungen bzw. Sozialkürzungen.

Für die Krise mit ihrem Arbeitsplatz bezahlt haben Zehntausende Leiharbeiter und befristet Angestellte, die innerhalb weniger Wochen und ohne viel Aufhebens auf die Straße gesetzt wurden. Auch von der IG Metall – die sich zuvor in einer Kampagne sehr um Leiharbeiter bemüht und 10000 von ihnen organisiert hatte – war in dieser Situation nicht viel zu hören. Und so mancher Betriebsratsfürst wird insgeheim gedacht haben: »Wie gut, daß es die Leiharbeiter als Puffer gibt, so werden meine Leute nicht gekündigt.« Dieses Verhalten ist nicht nur unsolidarisch, es ist auch kurzsichtig. Denn die Ausweitung der Leiharbeit führt zu einer direkten Schwächung der Stammbelegschaften. Sie bekommen ihre eigene Ersetzbarkeit vor Augen geführt. Und in der wachsenden Zahl von Betrieben mit einem Leiharbeiteranteil von 20 oder 30 Prozent wird es schwer, Arbeitskämpfe durchzuhalten.

Dieses Problem hat mittlerweile offenbar auch die Führung der IG Metall erkannt – nachdem sie der Förderung von Leiharbeit durch die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) unter »Rot-Grün« zunächst tatenlos zugesehen hatte. In der diesjährigen Stahl-Tarifrunde setzte die Gewerkschaft »equal pay«, also den Grundsatz der Gleichbezahlung, durch – angesichts von lediglich 3000 in der Branche eingesetzten Leiharbeitern ist das zwar eher symbolisch, aber dennoch ein Erfolg, an dem man ansetzen sollte.

Konterkariert wird dies allerdings durch Betriebsvereinbarungen wie bei Daimler, wo die zuvor durchgesetzte Begrenzung des Leiharbeiteranteils im Mai dieses Jahres ohne Not aufgeweicht wurde. Auch daß die DGB-Tarifgemeinschaft einen bis Ende Oktober 2013 (!) gültigen Mindestlohnvertrag für die Zeitarbeitsbranche unterschrieben hat, grenzt an Sabotage. Schließlich stand die zwischenzeitlich gefallene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts über die Tariffähigkeit der »christlichen« CGZP an.

Da deren Verträge nun ungültig sind, ist es allein die DGB-Vereinbarung, die verhindert, daß der Equal-Pay-Grundsatz aus dem AÜG zum Tragen kommt.

 

Wenig Sonne und viel Schatten also im Gewerkschaftsjahr 2010. Das gilt auch und besonders für die DGB-BDA-Initiative zur »Tarifeinheit«, die als bürokratisches Instrument gegen die Überbietungskonkurrenz von GDL, Marburger Bund und Co. wiederhergestellt werden soll – mit großen Gefahren für die gesamte Gewerkschaftsbewegung. Für deren Stärkung und Demokratisierung zu streiten, wird auch 2011 eine schwere, aber um so nötigere Aufgabe sein.

Kommentar:

Der Autor wollte ganz bestimmt nicht zum Ausdruck bringen, dass gewerkschaftliche Interessenvertretung nicht erforderlich ist. Vielmehr mahnt er eine erfolgreiche Vertretung an, die tatsächlich die Interessen der Mitglieder zur Grundlage hat und nicht das Ego von haupt- und ehrenamtlichen Spitzenfunktionären.

Da kann hoffentlich nichts mehr schiefgehen.

 

 

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