Inflationsrate

Angeblich sind die Verbraucherpreise in diesem Jahr bisher kaum gestiegen. Eine Behauptung, die vermeintlich belegt werden kann. Wie sieht nun der Beleg dafür aus? Grundlage dafür ist der Warenkorb, in dem 700 Güter und Dienstleistungen enthalten sind. Diese Waren haben eine unterschiedliche Gewichtung, wie der nachstehenden Tabelle entnommen werden kann.

Für Lebensmittel, Getränke und Kaffee geben Sie demnach 10,4% Ihres verfügbaren Einkommens aus. Bei einem Haushaltsnettoeinkommen von 2000€ wären das 208 € im Monat. Es ist offensichtlich, dass ein solcher Betrag deutlich zu niedrig ist. Wenn Sie das ebenfalls feststellen, stimmt jedenfalls bei Ihnen dieser Anteil von 10,4% an den monatlichen Ausgaben nicht. Sie müßten lediglich ein höheres Einkommen haben. Bei 6.000 € verfügbarem Haushaltseinkommen wäre das wahrscheinlich der Fall. Wer aber hat ein solches Einkommen? Aber auch die anderen anteiligen Ausgaben, die der Tabelle entnommen werden können, sind für Arbeitnehmer- und Rentnerhaushalte nicht repräsentativ. Prüfen Sie bitte anhand der Tabelle selbst, ob und inwieweit die Anteile mit Ihren tatsächlichen Ausgaben übereinstimmen, soweit Ihnen die Zuordnung gelingt.

Ein zusätzliches Problem ist, dass sich Preissteigerungen umso weniger bemerkbar machen, je geringer ihr statistischer Anteil an den monatlichen Ausgaben ist. Hinzu kommt, dass der Warenkorb veraltet ist, weil die dort enthaltenen Güter und Dienstleistungen letztmalig im Jahr 2005 in der Zusammensetzung und Gewichtung aktualisiert worden sind. Ein verändertes Konsumverhalten ab 2005 z.B. wegen gesunkener Einkommen wird daher nicht berücksichtigt. Aber nicht genug damit. Wenn Sie meinen, die Preise sind stärker gestiegen als die ausgewiesene Inflationsrate,  dann handelt es sich bei Ihnen um den Eindruck einer gefühlten Inflation. Das ist kein Witz, sondern wird Ihnen wohlmeinend unterstellt, weil man Sie nicht als Spinner bezeichnen will.

Nehmen wir die(zu niedrige)Inflationsrate seit 2005. Statistisch(!) sind die Verbraucherpreise bis 2008 um 8,24% gestiegen. Entsprechend hoch ist die Geldentwertung. Selbst wenn Ihr verfügbares Einkommen seitdem um 8,24% gestiegen ist, was bei Ihnen hoffentlich der Fall ist, können Sie sich heute nicht mehr leisten als 2005. Und wenn Sie dann auch noch lamentieren, mit dem Euro sei sowieso alles teurer geworden, dann werden Sie wahrscheinlich endgültig als Spinner bezeichnet, weil die statistischen Daten scheinbar eindeutig sind. Hat sich Ihr verfügbares Einkommen hingegen kaum erhöht, können Sie sich wegen der Geldentwertung deutlich weniger leisten. Sie müssen sparen und werden auf viele anteilige Ausgaben des Warenkorbs wie z.B. Restaurantbesuche verzichten müssen. Übrigens nur ein Bereich, bei dem DM in Euro im Verhältnis 1:1 umgerechnet worden ist. Jetzt bin ich der Spinner, weil meine Wahrnehmung absurd und falsch ist. Oder?

Rolf D.Aschenbeck

 

Zusammensetzung des deutschen Warenkorbes

Bestandteil 1995 2000 2005
01 Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke 13,1 % 10,3 % 10,4 %
02 Tabakwaren, alkoholische Getränke 4,2 % 3,7 % 3,9 %
03 Bekleidung, Schuhe 6,9 % 5,5 % 4,9 %
04 Wohnung, Wasser, Gas, Brennstoffe 27,5 % 30,2 % 30,8 %
05 Einrichtungsgegenstände 7,1 % 6,9 % 5,6 %
06 Gesundheit, Pflege 3,4 % 3,5 % 4,0 %
07 Verkehr 13,9 % 13,9 % 13,2 %
08 Nachrichtenübermittlung 2,3 % 2,5 % 3,1 %
09 Freizeit, Kultur, Unterhaltung 10,4 % 11,0 % 11,6 %
10 Bildungswesen 0,7 % 0,7 % 0,7 %
11 Hotel, Restaurants 4,1 % 4,7 % 4,4 %
12 Andere Waren und Dienstleistungen 6,1 % 7,0 % 7,4 %
Quelle: Statistisches Bundesamt

 

Löhne sanken erstmals trotz Booms

Hamburger Abendblatt,13. August 2009

Die deutschen Arbeitnehmer haben in den vergangenen Jahren erstmals während eines Wirtschaftsbooms weniger verdient.

Berlin. Während die Löhne seit 2003 unter dem Strich sanken, stiegen die Einkünfte von Unternehmern und Kapitalanlegern, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Arbeitnehmer werden zudem im Vergleich zu Arbeitgebern – und auch Beamten – stärker mit Abgaben belastet.

Die Lohnsteigerungen zwischen 2003 und 2008 wurden durch die Inflation aufgefressen, ergab die DIW-Studie. Jahr für Jahr sei Arbeitern und Angestellten- quer durch alle Berufsgruppen – weniger Geld zum Leben übrig geblieben. Einmalig in der Geschichte der Bundesrepublik sei, dass die Löhne auch nach dem Aufschwung, der 2004 eingesetzt hatte, weiter sanken. Als einen Grund für diesen Rückgang auch in Boomzeiten nennt das DIW die schwächere Position der Gewerkschaften. Die Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit und aus Kapitalvermögen seien in den vergangenen fünf Jahren dagegen besonders stark gestiegen.

Nach Angaben der Wirtschaftsforscher stieg bei den Arbeitnehmern zugleich die Belastung durch Steuern und Sozialabgaben weiter. Sie liege nun wieder bei mehr als 50 Prozent des Bruttoverdienstes.

Zur tatsächlichen Inflationsrate das Interview von Beate KranzAbendblatt) mit Professor Brachinger am 21.Febr.2011, auszugsweise entnommen:

Preiserhöhungen bei Lebensmitteln und Energie treiben die amtliche Inflationsrate in Deutschland an. Mit zwei Prozent liegt sie so hoch wie seit zwei Jahren nicht mehr. Doch viele Bürger meinen, dass die Preissteigerung viel stärker ausfällt. Und ihr Gefühl trügt sie nicht, sagt der Schweizer Wirtschaftsprofessor Hans Wolfgang Brachinger, 59, im Abendblatt. Er hatte nach der Bargeldeinführung des Euro, der schnell den Beinamen Teuro erhielt, einen Index der wahrgenommenen Inflation (IWI) entwickelt.

Abendblatt: In Europa geht ein Gespenst um. Angesichts hoher Staatsverschuldungen wächst die Angst vor Inflation und damit einer stärkeren Geldentwertung. Ist diese Sorge berechtigt?

Hans Wolfgang Brachinger: Durchaus. Weltweit klettern die Rohstoffpreise an allen Fronten, die wachsende Nachfrage der Schwellenländer treibt die Energiepreise hoch, die Notenbanken betreiben eine expansive Geldpolitik. Hinzu kommen hohe Lohnabschlüsse – der Inflationsdruck ist gewaltig. In Deutschland wird nach meiner Einschätzung die Inflationsrate in diesem Jahr auf über drei Prozent steigen. In Europa wird sie noch höher ausfallen.

Aktuell liegt die Inflationsrate in Deutschland bei zwei Prozent. Dennoch empfinden viele Bürger die Preissteigerungen als höher. Woran liegt das?

Brachinger: Der Bürger bemisst die Inflation vor allem an den Preissteigerungen, die er bei seinen täglichen Einkäufen wahrnimmt. Da sich Lebensmittel und Energie in den vergangenen Monaten besonders verteuerten, wird die Inflation als deutlich höher eingeschätzt.

Sie haben dafür einen eigenen Index der wahrgenommenen Inflation (IWI) entwickelt, der die „gefühlte“ Inflation erfasst. Wie steht dieser aktuell da?

Brachinger: Der Index der gefühlten Inflation liegt im Januar bei 4,5 Prozent, im Dezember waren es 5,2 Prozent.

Nach welchen Kriterien ermitteln Sie die „gefühlte Inflation“?

Brachinger: Unser Index basiert – wie auch der amtliche Verbraucherpreisindex – auf dem Warenkorb des deutschen Durchschnittshaushalts. Allerdings gewichten wir die Produkte aus dem Warenkorb anders. Während für den amtlichen Index hochpreisige Produkte – wie TV-Geräte – ein größeres Gewicht einnehmen, konzentrieren wir uns stärker auf die häufig gekauften Produkte des täglichen Bedarfs. Man kauft Brötchen, Milch oder Benzin eben öfter als Elektrogeräte. Ein Gut ist in unserem Index also dann besonders wichtig, wenn es häufig gekauft wird, und nicht, wenn es viel kostet.

Welche Inflationsrate ist die richtige?

Brachinger: Der amtliche Verbraucherpreisindex ist als Indikator für die allgemeine Geldentwertung gemacht – und damit für die Notenbanken interessant. Er ist aber auch für Lohnverhandlungen der adäquate Index. Für den Bürger ist er vergleichsweise unbedeutend. Der Verbraucher verlässt sich bei seinen Einkäufen vielmehr auf seine subjektive Inflationswahrnehmung. Diese wird durch den IWI erfasst.

Anmerkung:

Es handelt sich bei der wahrgenommenen Inflation um die reale Inflation im Unterschied zur statistischen Inflation.

So sieht aktuell die Entwicklung aus, die die reale Inflation wiedergibt:

Köln, 21.Sept.2011: Die Preise für Lebensmittel werden weiter steigen. Nachdem Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in den ersten neun Monaten 2011 um drei Prozent teurer waren als im Vorjahreszeitraum, ist künftig mit einem ähnlichen Preisanstieg von drei bis 3,5 Prozent zu rechnen. Das berichtet die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungswirtschaft. (dpa)

München, 12.Dez.2011: Verbraucher sind laut der Gesellschaft für Konsumforschung einer Welle von Preiserhöhungen bei Nahrungsmitteln ausgesetzt. Die Preise stiegen im Ottober um 7% im Vergleich zum Vorjahresmonat, berichtet „Focus“. (dpa)


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