Hass, Gewalt und Niedertracht

Walter Lübcke, Regierungspräsident in Kassel, ist Anfang Juni 2019 erschossen worden. Lesen Sie die redaktionell geänderte Dokumentation der Angriffe und Drohungen, auch Morddrohungen, gegen den CDU-Politiker, denen er seit einer Bürgerversammlung im Oktober 2015 wiederholt ausgesetzt war. Vice entnommen.

Zuerst gibt es im Saal Gelächter, sogar vereinzeltes Klatschen. Aber dann fangen plötzlich wütende Männerstimmen an, „Buuh!“ und „Pfui!“ zu schreien, irgendjemand ruft sehr laut „Verschwinde!“. Die Rufe gelten Walter Lübcke. Der Kasseler Regierungspräsident war an diesem 14. Oktober vor vier Jahren zur Bürgerversammlung in die Kleinstadt Lohfelden gekommen, um Fragen zu einer geplanten Flüchtlingsunterkunft zu beantworten. Im „Flüchtlingsjahr 2015“ gab es solche Veranstaltungen überall in Deutschland.

Kasseler Pegida-Ableger „Kagida“

Auch nicht ungewöhnlich war, dass Rechte und Rechtsextreme diese Termine nutzten, um Angst zu verbreiten – in diesem Fall waren es Anhänger des Kassler Pegida-Ablegers „Kagida“. Während Lübckes Vortrag, berichtet das Lokalportal hna.de danach, hatten die Rechten immer wieder versucht, den Politiker aus dem Konzept zu bringen. Und so lässt sich wohl erklären, was Lübcke gegen Ende in die Richtung der Störenden sagte:

„Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er will.“

Kurz danach ging das Tohuwabohu los. Was Lübcke trotz der kurzen Aufregung da wohl noch nicht geahnt hat: Dieser Satz wird ihn nicht nur an diesem Abend die Wut von ein paar rechten Randalieren einbringen. Sondern er wird ihm zum Ziel einer rechten Hasskampagne machen, die in ihrer Heftigkeit selbst im Jahr 2015 ihresgleichen suchte.

Morddrohungen

Die hunderten Todeswünsche und Morddrohungen, die der als „Volksverräter“ gebrandmarkte Politiker danach erhielt, machen es umso unheimlicher, dass Walter Lübcke in der Nacht zum Sonntag vor seinem eigenen Haus offenbar durch einen Kopfschuss getötet wurde.

Am Tag nach dem Vortrag veröffentlichte jemand, der offenbar dabei gewesen war, einen kurzen Bericht darüber auf dem rechtsextremen Blog PI-News. Überschrieben war der Artikel mit „Wem das nicht passt, hat das Recht und die Möglichkeit, das Land zu verlassen“ – und traf damit genau den Nerv der Leserschaft. „Früher hätte man solche Fatzkes geteert, gefedert und mit der Mistgabel durch die Straßen getrieben“, schreibt einer. „Heute murren die Leute nur noch, verstummen und machen ne Faust in der Tasche – wehrt Euch!!“ Ein anderer wunderte sich, dass die Leute im Saal so ruhig geblieben seien, er endet mit: „Dieser Hans Wurst gehört gelyncht.“

Hass und Gewaltaufforderungen

Am Ende des Artikels hatte PI-News den Lesern auch gleich die Anschrift und die Telefonnummer von Lübckes Büro herausgesucht. Wenig später, schreibt hna.de, wurde das Kasseler Regierungspräsidium von einer Welle von „Krawall-Emails“ überschüttet.

Noch extremer fielen die Reaktionen aus, als PI-News kurz darauf in einem zweiten Beitrag ein Video des Vortrags in Lohfelden verbreitete – garniert mit dem Aufruf: „Sie sollten sich was schämen, Herr Lübcke!!!“ Und der Notiz: „Abgelegt unter Volksverräter„.

Das genau auf Lübckes Äußerung zugeschnittene Video (es dauert nur eine Minute und sechs Sekunden) hatte ein Account namens „Professor Moriatti“ schon am Vortag auf YouTube veröffentlicht. In den nächsten Tagen fanden sich unter diesem Video unzählige Kommentaren, die von Hass, Gewalt- und Mordfantasien gegenüber dem Beamten nur so triefen. Zum Beispiel:

„Diese Ratte Lübke kann sofort auswandern, direkt ins Gulag, meine Hoffnung wäre, dass man seine Zunge gleich auf einen Holzpflock nagelt, damit dieses Schwein so einen Satz nie wiederholen kann, danach könnte man seinen dämlichen Schädel abschlagen und in die nächste Jauchegrube kicken.“

Als Reaktion auf die Drohungen, die er per Post und Email in sein Büro erhielt, stellte die Polizei Lübcke kurzzeitig sogar Personenschutz zur Verfügung.

Davidsterne und Konzentrationslager

In den folgenden Tagen verbreitet sich Lübckes Äußerung immer weiter in rechten Kreisen, auch Rechtsextreme aus dem Ausland kommentieren jetzt unter dem Youtube-Video. Lübcke wird zum Paradebeispiel der vermeintlich gewissenlosen deutschen Politiker, die die angeblichen geheimen Pläne der „Globalisten“ und der „New World Order“ umsetzen, die gemäß der verbreiteten Verschwörungstheorie vorsehen, die weiße Bevölkerung aus dem Land zu vertreiben und durch fanatische Muslime zu ersetzen. Irgendwann findet jemand ein Foto von 2010, das Lübcke bei einem Besuch der Jüdischen Gemeinde Kassel zeigt. Lübcke steht direkt unter einem Davidstern – und für viele aus der rechtsextremen Verschwörungsszene ist damit eigentlich alles klar.

Gegen Ende 2015 wurde es wieder stiller um Lübckes Äußerung, der rechte Shitstorm ebbte ab, die Trolle suchten sich neue Ziele. Jahrelang interessierte sich niemand besonders für den Kasseler Regierungspräsidenten – bis Erika Steinbach im Februar diesen Jahres auf einmal einen alten Artikel über den Vorfall twitterte. Noch einmal kochte der alte Hass auf den CDU-Mann hoch, dieselben Ausmaße wie 2015 erreichte es jedoch nicht.

Häme und Triumph

Bisher gibt es noch keine Hinweise darauf, wer Walter Lübcke erschossen hat, die Behörden ermitteln in alle Richtungen.

Eines ist aber jetzt schon klar: Die Szene, die sich damals seinen Tod gewünscht hat, feiert ihn jetzt – oft völlig ungeniert. „Freut mich, dass er erschossen worden ist“, schreibt einer; „Eine widerliche Ratte weniger. Fehlen noch die anderen“, ein anderer. Mehr von solchen Äußerungen sind hier, hier und hier dokumentiert.

Noch unheimlicher als die hämischen und die triumphierenden Kommentare ist vielleicht nur der, der sich unter demselben Youtube-Video findet, unter dem schon vor drei Jahren dutzende zum Mord an Lübcke aufgerufen haben. In einem Duktus, der nicht nur wegen der Sprache, sondern wegen des kühlen, bürokratischen Tons direkt aus dem Nationalsozialismus gekommen zu sein scheint, schreibt jemand:

„Der Volksschädling wurde jetzt hingerichtet.“

 

Kommentar

Es gibt Leute in der AfD, die den Mord an Walter Lübcke klammheimlich begrüßen; ihn sogar offen bejubeln. Es sind die Leute, die einer mehrheitlich rechtsextremen Partei angehören und im demokratischen Spektrum der Parteien nichts zu suchen haben, obwohl sie versuchen, eine demokratische Fassade aufrecht zu erhalten. Es gelingt ihnen immer weniger.

Wer jetzt noch dieser Partei angehört oder ihr nahesteht, muss sich gefallen lassen, als nationalistischer Antidemokrat bezeichnet zu werden, dem Freiheit, Vielfalt, Offenheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde nichts bedeuten. Dann gehört er auch zu denen, die die Verfassung als Grundlage des Rechtsstaates ablehnen. Mit solchen Leuten ist eine Verständigung nicht möglich.

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