Grundeinkommen

Die Forderung nach einem  „bedingungslosen“ Grundeinkommen ist populistisch und inhaltlich abwegig. Der Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge äußert sich zu diesem Grundeinkommen und zu der Gefahr, damit den Sozialstaat zu zerschlagen. Lesen Sie das folgende Interview von Fanny Schmolke, ver.di publik entnommen.
 

 
ver.di publik: Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) argumentieren mit mehr Autonomie für Arbeitnehmer/innen durch die Möglichkeit der Nichterwerbstätigkeit, mit mehr Zeit für Familie, politisches und ehrenamtliches Engagement, mit Humanisierung der Arbeit, Förderung der Bildung, etc.. Das klingt doch erst mal gut, oder?

Christoph Butterwegge: Ja, das klingt nach einer faszinierenden Idee: Alle Mitglieder einer Gesellschaft bekommen ­einen gleich hohen Geldbetrag, ohne dass noch ein Arbeitszwang besteht. Wer mit 1.000 Euro im Monat auskommt, kann sich dem widmen, was ihm Spaß macht.

ver.di publik: Wo ist der Haken?
Butterwegge: Es widerstrebt meinem Gerechtigkeitsverständnis, dass der Milliardär denselben Betrag erhält wie der Müllwerker und die Multijobberin. Würde schon Gleichheit in unserer Gesellschaft bestehen, wäre es sinnvoll, allen das Gleiche zu zahlen. Damit es gerecht zugeht, muss aber Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt werden. Beispiels­weise brauchen Menschen mit schwerster Behinderung doch viel mehr, damit sie über die Runden kommen, während Hausbesitzer weniger benötigen als Mieter. Wohlhabenden und Reichen sollte der Staat gar keine Transferleistungen zukommen lassen.

ver.di publik: Über das BGE wird gesagt, es würde Armut abschaffen.
Butterwegge: In einer wohlhabenden Gesellschaft wie der Bundesrepublik ist das Hauptproblem nicht die absolute ­Armut, bei der Menschen ihre Grundbedürfnisse nicht befriedigen können. Vielmehr breitet sich bei uns die relative ­Armut immer weiter aus – teilweise bis in die Mitte der Gesellschaft hinein. Die relative Armut, bei der sich Betroffene vieles von dem nicht leisten können, was für andere ganz normal ist, kann man aber im Unterschied zur absoluten Armut nicht mit einer Geldleistung für alle beseitigen. Die Armutsrisikoschwelle der EU liegt bei 60 Prozent des mittleren Einkommens. Wenn alle 1.000 Euro mehr haben, verschiebt sich die Armutsgrenze nach oben, aber wer nur das Grundeinkommen hat, bleibt ihr nahe. Das Grundeinkommen dürfte aus Kostengründen so knapp bemessen sein, dass man damit in der Konsumgesellschaft kaum Schritt halten kann. Deswegen würde ein indirekter Zwang fortbestehen, Geld zu verdienen.

ver.di publik: Wie würde sich denn die Arbeitswelt verändern?
Butterwegge: Wahrscheinlich wirkt das BGE als ein Kombilohn für alle. Wenn der Staat schon für Wohnung, Kleidung und Nahrung aufkommt, braucht sich der Unternehmer nicht mehr darum zu kümmern. Er kann den Lohn senken, weil die Menschen weiter arbeiten wollen. Dann wird der Niedriglohnsektor am Ende womöglich noch breiter sein als heute und die Armutsbedrohung nicht viel geringer.

Eine solidarische Bürgerversicherung wäre die beste Alternative zum Grundeinkommen und der richtige Weg, den bestehenden zu einem inklusiven Sozialstaat auszubauen, der alle Menschen in Würde leben lässt

ver.di publik: Das Grundeinkommen soll ohne Bedürftigkeitsprüfung an alle gezahlt werden. Das klingt nach Befreiung.
Butterwegge: Der Sozialstaat erscheint vielen Menschen als bürokratisches Monster, weil er seine Leistungen auf die ­Lebensbedingungen seiner Bürger bezieht, was zu differenzierten Lösungen und zahlreichen Leistungsarten führt. Dies tut das Grundeinkommen nicht: Bei ihm handelt es sich um eine Sozialpolitik nach dem Gießkannenprinzip. Über den Bürgern wird dieselbe Leistung ausgegossen, in welchen Lebensumständen sie sich auch befinden. Die staatliche ­Unterstützung bestimmter Personengruppen muss aber zielgerichtet erfolgen. Alles andere widerspricht dem Sozialstaatsgebot im Artikel 20 Grundgesetz.

ver.di publik: Warum propagieren auch viele Neoliberale das BGE?
Butterwegge: Sie wollen den bestehenden Sozialstaat zerschlagen und durch das BGE ersetzen. Der Hamburger Ökonom Thomas Straubhaar möchte die ­Sozialversicherungen und fast alle steuerfinanzierten Transferleistungen zugunsten eines Universaltransfers abschaffen. Nach dem BGE-Modell von Straubhaar müsste man von den 1.000 Euro eine private Krankenversicherung für 200 Euro oder mehr monatlich abschließen. Und wer im Rentenalter mehr haben will als 1.000 Euro, soll mit seinem Arbeitgeber einen Vertrag über die Zahlung einer Betriebsrente abschließen. Wer der Altersarmut entkommen will, gerät mit dem BGE folglich in eine Sackgasse.

ver.di publik: Mit dem BGE würde der Sozialstaat zu einem Minimalstaat?
Butterwegge: Ja, man möchte den Sozialversicherungsstaat der Bundesrepublik in den Mülleimer der Geschichte werfen und dabei den Eindruck vermitteln, besonders großzügig zu sein, indem man allen 1.000 Euro zukommen lässt. Erst recht, wenn das im Bündnis mit grün-alternativen und linken BGE-Befürwortern geschieht. Neoliberale sagen offen, dass auch Kündigungsschutz, Mindestlöhne und Tarifverträge mit dem BGE wegfallen können. Laut dieser Logik sind übrigens auch Gewerkschaften überflüssig. Denn mit dem BGE kann angeblich jeder auf Augenhöhe mit seinem potenziellen Chef über Lohnhöhe und Arbeitsbedingungen verhandeln, ohne dass er noch die kollektive Schutzmacht einer Gewerkschaft braucht.

ver.di publik: Die Vorsitzende der Linkspartei, Katja Kipping, will das BGE nach ihrem Modell über Gewinn- und Kapitalsteuern finanzieren. Wäre das eine Pers­pektive?
Butterwegge: Ich habe nichts gegen die von Katja Kipping vorgeschlagene Steuerpolitik, nur ist die schon ohne das Grundeinkommen nicht durchsetzbar. Und wenn sie gemacht würde, wäre das Grundeinkommen überflüssig. Mit den zusätzlichen Steuereinnahmen ließe sich eine bedarfsdeckende, armutsfeste und repressionsfreie, das heißt eine ohne Sanktionen auskommende Grundsicherung finanzieren, die diesen Namen im Unterschied zu Hartz IV verdient. Erwerbslose und nicht (mehr) erwerbsfähige Menschen könnten fortan in Würde leben.

ver.di publik: Was wäre aus Ihrer Sicht eine Alternative zum BGE?
Butterwegge: Man darf den Sozialstaat, die größte menschliche Errungenschaft des vergangenen Jahrhunderts, nicht zerschlagen sondern muss ihn fortentwickeln. Eine solidarische Bürgerversicherung würde alle Bevölkerungsgruppen einbeziehen: Selbstständige, Freiberufler, Beamte, Abgeordnete und Minister. Sämtliche Einkunftsarten müssten verbeitragt werden, auch Kapitaleinkünfte, Zinsen und Dividenden sowie Miet- und Pachterlöse. Damit erhielte der Sozialstaat wieder ein festes finanzielles Fundament und könnte Armut verhindern. Eine solidarische Bürgerversicherung ­wäre die beste Alternative zum Grundeinkommen und der richtige Weg, den bestehenden zu einem inklusiven Sozialstaat auszubauen, der alle Menschen in Würde leben lässt.

 

Christoph Butterwegge

war von 1998 bis zum Ruhestand 2016 Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Kürzlich sind seine Bücher „Armut“ sowie „Hartz IV und die Folgen. Auf dem Weg in eine ­andere Republik?“ in aktualisierten Neu­auflagen erschienen.

Foto: Wolfgang Schmidt

Wer noch zusätzliche Argumente benötigt, dem empfehle ich das folgende Video:

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