Beliebigkeit der Grünen

Es gab ihn, den Antimilitarismus bei der Partei Die Grünen. Spätestens mit der jetzigen Bundesregierung ist manifest geworden, was vorher schon länger erkennbar war: Die Partei betont die militaristische Zeitenwende und meint damit die Abkehr von programmatischen Grundlagen. Gas von Diktatoren und Menschenschindern sowie umweltschädliches Frackinggas wird bevorzugt. Klimaschutz? Menschenrechte? Interessiert nicht. Lesen Sie den gekürzten und redaktionell geänderten Beitrag von Heribert Prantl, der SZ entnommen.

Dennoch kann sich die Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ fast alles leisten, was sich die anderen Parteien nicht leisten können: Die Grünen können konsequent inkonsequent sein, ohne in der allgemeinen Gunst zu sinken; sie können ihre Ideale für die Macht opfern; es scheint ihnen nicht zu schaden. Sie profitieren von der sogenannten Zeitenwende, die eine solche zu Lasten des Klimas ist. Bei bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen haben sie ihr Wahlergebnis im Vergleich zur letzten Landtagswahl verdreifacht! Und die Umfragen für die Grünen gehen auch bundesweit nach oben. Deutschland erlebt eine grüne Auferstehung.

Es ist die Renaissance der Beliebigkeit gegen Parteien, die die Interessen der Deutschen und die ihres Landes betonen und bevorzugen und sich dem Zeitgeist nicht unterwerfen.

Militarismus der Grünen

Es ist etwas passiert, was in seinen Auswirkungen noch nicht absehbar ist. Fast einmütig werben die Grünen für die Waffenlieferungen in die Ukraine. In der grünen Bundestagsfraktion gab es genau zwei Enthaltungen beim Beschluss, schweres Kriegsgerät zu liefern und aufzurüsten. Zwei Stimmen von 118! Antje Vollmer, die ehemalige grüne Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags, erklärte in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, sie erkenne ihre grüne Partei in der Friedensfrage fast nicht wieder: „Damit wird für mich die grüne Seele verraten. Ohne die pazifistischen Wurzeln wären wir nie in den Bundestag gekommen.“ 

Aber der Menschenrechts-Bellizismus1 der Grünen ist nicht vom Himmel gefallen, er hat eine lange Geschichte; sie reicht zurück in die Zeit, in der die heute 78-jährige Antje Vollmer eine wichtige, mitbestimmende Figur in der Partei war. Damals hat Joschka Fischer als grüner Außenminister in der Regierung von Gerhard Schröder damit begonnen, die pazifistischen Wurzeln der Partei zu kappen. Die rot-grüne Regierung führte Deutschland damals, zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg, wieder in einen Krieg, in den Jugoslawien-Krieg, den sie aber nicht Krieg, sondern „humanitäre Intervention“ nannte. (Red.: Kommt Ihnen das bekannt vor?)

Es war Krieg – und nichts zeigte das deutlicher als die grausamen Irrtümer der Nato-Bomber, die nicht nur den militärischen Feind, sondern die Flüchtlinge aus dem Kosovo beschossen haben, die man vor diesem Feind ja eigentlich beschützen wollte. Solche „Kollateralschäden“ sind Kennzeichen und bitterer Bestandteil von Kriegen.

Pazifisten ohne Mehrheit

Es war Krieg, vom 24. März bis 10. Juni 1999 führte die Nato einen Luftkrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Mit Inbrunst und moralischer Leidenschaft haben damals der grüne Außenminister Joschka Fischer und der SPD-Verteidigungsminister Rudolf Scharping die Bomberei verteidigt. Sie haben, um das Nato-Bombardement zu rechtfertigen, die Vertreibungspolitik des Slobodan Milošević mit Auschwitz verglichen. Es war, als müssten sie so reden, um die eigenen Zweifel an der Geeignetheit der Mittel zu beruhigen. Aber das Menschenrechtspathos wurde im Verlauf des Kriegswochen schal, es hielt den Bildern des Leids, das die Nato-Raketen anrichteten, nicht stand: Bildern von Kindern, die von Nato-Splitterbomben zerrissen wurden, Bildern von zerstörten Sanatorien. Die Unruhe in der SPD und in der grünen Partei wuchs. Beschwörend warben Kanzler Schröder und Außenminister Fischer in ihren Fraktionen, noch ein wenig zu warten. Das Einlenken und die Kapitulation von Jugoslawiens Staatschef Milošević kam überraschend und gerade noch rechtzeitig, bevor die Lage innenpolitisch außer Kontrolle geraten konnte.

Streit um den richtigen Weg

Der Pazifismus, das lernten die Pazifisten damals, im Frühjahr 1999, war auch in der grünen Partei nicht mehr mehrheitsfähig – schon damals war das so. Aber damals wurde erbittert gestritten. Der Höhepunkt des Streits war der Parteitag in Bielefeld, der von wütenden Demonstranten eingekesselt wurde. Die grünen Delegierten damals haben den Kriegsparteitag durchgestanden – manche stolz, manchen zweifelnd, manche verletzt, manche weinend, mit sich und der Welt ringend, aber im Gefühl, dass man sich der Konfrontation nicht entziehen darf: nicht der Konfrontation mit dem Krieg in Jugoslawien und nicht der Konfrontation mit dem Vorwurf, man gehöre, als Teil der rot- grünen Koalition, zu den „Kriegshetzern“.

Es war ein dramatischer Parteitag. Aber das Drama spielte sich nicht nur draußen vor der Halle ab, wo sich Unmut und auch Pöbelei auf die Delegierten ergossen. Das Drama war nicht nur der Farbbeutel gegen Joschka Fischer, der ihn verletzte und dessen Spuren er nach erstem Erschrecken trug wie den Orden Pour le Mérite. Farbbeutel, Trillerpfeifen und Sprechchöre: Das waren Attacken von außen – ein lauter, vorlauter und anmaßender Protest, wie ihn die Grünen gut kannten. Dennoch war es notwendig, zu einem disziplinierten, konzentrierten und ernsthaften Ringen darüber zu kommen, wie man aus dem Krieg in Jugoslawien wieder herauskommt.

Auseinandersetzungen nicht mehr möglich

Von einer solchen Auseinandersetzung ist heute, im Ukraine-Krieg, nichts, gar nichts zu spüren. Es gibt keinen Streit mehr. Zwar betonen die Grünen immer wieder, sie hätten sich die Entscheidung für die Waffenlieferungen sehr schwer gemacht; aber man hört und sieht davon nichts. Es gibt die Protagonisten der Friedensbewegung nicht mehr – Leute wie einst Petra Kelly und Joseph Beuys, die an der Wiege der Grünen standen. Es gibt keinen Christian Ströbele mehr, der sich seinerzeit mit Joschka Fischer erbitterte Debatten lieferte; er unterlag ihm zwar bei den Abstimmungen, manchmal auch nur sehr knapp, aber er hielt die Fahne der anderen Meinung hoch. Die grüne Partei kämpft nicht mehr für den Frieden.

Die Abkehr von der Friedensbewegung begann 1999 in Bielefeld, das setzte sich dann zweieinhalb Jahre später fort beim Parteitag in Rostock, der ein bisschen Krieg als Mittel der Politik erlaubte. Dieser grüne Parteitags-Beschluss veränderte die grüne Partei vollkommen. Er schob die Linken in der Partei an den Rand, beendete die spannungsreiche Koexistenz von grünen Realisten, grünen Idealisten und grünen Utopisten. Der Parteitag im November war das Ende des Nebeneinanders von Pax Americana und Pax Christi in der grünen Partei.

Frieden schaffen mit schweren Waffen:

 

Partei der Beliebigkeit

Der lange Abschied vom Pazifismus wird nun in der Ukraine-Politik des Jahres 2022 vollendet. Der Antimilitarismus, der lange ein wichtiges Bindemittel der grünen Partei war, hat dort keine Heimat mehr. Das ist für die Grünen ähnlich bedeutsam wie es für CDU und CSU wäre, wenn sie das „C“ aus ihrem Namen strichen. Die Union verlöre dann nicht nur einen Buchstaben, sie verlöre ihr Fundament.

Die Grünen verlieren sich selbst. Mit dem widerstandslosen Militarismus haben sie die Grundlage ihrer Existenz verlassen. Die Kriegsrhetorik der grünen Außenministerin belegt eindrucksvoll diese Feststellung.

1Kriegsverherrlichung