Gesundheitsreform

 Mit den Eckpunkten der Gesundheitsreform wird weitgehend auf die gesetzliche Krankenversicherung und damit auf die Krankenkassen abgestellt und nicht auch auf andere Träger wie z.B. private Haushalte, die einen erheblichen Beitrag zur Finanzierung der Versorgung leisten. Es wäre daher notwendig, bei dieser Gesundheitsreform auch die Finanzierung durch die privaten Haushalte auf den Prüfstand zu stellen.

Einer Reform der „Finanzierungsstrukturen“ bedarf es insoweit, als Einnahmen verbessert und Ausgaben gekürzt werden können. Eine solche Reform ist im System möglich und hat dabei die Grundlagen der GKV wie Solidarität, Sachleistung, Selbstverwaltung und paritätische Finanzierung zu berücksichtigen.
Im übrigen ist klarzustellen, dass die schwierige Finanzsituation der Krankenkassen, die ihren Versorgungsauftrag ernst nehmen, nicht die Schuld der Kassen ist, sondern von der Politik herbeigeführt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Zur Einnahmesituation:

a.Geringfügige Beschäftigung
6,5 Mio Geringfügige Beschäftigungen (400€ Jobs), versicherungsfrei für Arbeitnehmer, Arbeitgeber zahlt 13%. Diese Jobs haben erheblich zugenommen und vermindern die Einnahmen erheblich, weil sie zu Lasten der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse gefördert werden.

 
b.Niedriglohnsektor
Erhebliche Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen oberhalb der Geringfügigkeitsgrenze, aber unterhalb des Existenzminimums. Auch dadurch geringere Einnahmen für die Krankenkassen.

c.Arbeitslosengeld II
Beitragszahlung auf der niedrigen Grundlage von 1/3 der Bezugsgröße ( 1/3 von 2450 €). 1€ Jobs sind nicht beitragspflichtig.

Zur Einnahmesituation gehört auch die Erstattung versicherungsfremder Leistungen, so wie sie noch mit 4,2 Mrd € pro Jahr ab 2006 geregelt ist. Die beitragsfreie Mitversicherung von Familienangehörigen gehört nicht zu den versicherungsfremden Leistungen, sondern ist ein wesentliches Merkmal der sozialen im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung.

Zur Ausgabensituation

Im Gegensatz zur veröffentlichten Meinung sind die Verwaltungskosten als Ausgaben zu vernachlässigen, da sie gerade mal mit 5,5% dazu beitragen. Die beiden größten Ausgabenblöcke sind die für Krankenhäuser und Arzneimittel. Bei den Krankenhäusern ist es wesentlich auch die duale Finanzierung, die dazu geführt hat, dass Krankenhäuser zum Teil am Bedarf vorbei von den Ländern errichtet worden sind. Länderegoismus hat also zu unnötigen Ausgaben geführt, ohne dass die Krankenkassen darauf Einfluss gehabt hätten. Aber auch eine unzureichende Prävention führt zeitversetzt zu Mehrausgaben wegen erhöhter Krankheitsanfälligkeit, die oft genug mit schwierigen Lebensbedingungen korrespondiert.

a.Arzneimittel
Die Ausgaben für Arzneimittel sind mit 25 Mrd € inzwischen der zweitgrößte Ausgabenblock nach den Krankenhausausgaben. Das Einsparpotential ist erheblich, ohne die Qualität der Versorgung zu mindern.

b.Ambulante/Stationäre Versorgung
Der Vorrang der ambulanten vor der stationären Versorgung hat bisher nicht dazu geführt, die Kosten der stationären Versorgung zu verringern. Aber auch die ambulante Versorgung kann optimiert werden, um z.B. Doppeluntersuchungen zu vermeiden. Ungeeignet hingegen ist die Praxisgebühr als vermeintliches Steuerungsinstrument. Allenfalls Geringverdiener lassen sich von der Praxisgebühr abschrecken mit fatalen Folgen für deren Gesundheitszustand.

c.Prävention
Die niedrigen Ausgaben für die Prävention rechnen sich nicht. Höhere Ausgaben und damit die Ausweitung der Prävention vermeiden Krankheiten und entsprechen auch dem vorrangigen Wunsch nach Gesunderhaltung.

Anforderungen an eine Gesundheitsreform

Was als Gesundheitsreform bezeichnet wird, bezieht sich hauptsächlich auf die gesetzliche Krankenversicherung. Eine solche Reform ist systemimmanent möglich. Eines Fondsmodells als bürokratisches Monster bedarf es daher nicht.

Vermeintliche Grundlage der nunmehr vorgesehenen Reform ist der angebliche Kostenanstieg oder auch „Kostenexplosion“ im Gesundheitswesen(!). Tatsächlich liegt der Anteil der Gesundheitsausgeben am Bruttoinlandsprodukt seit zehn Jahren konstant bei 11 %. Der Anteil der GKV liegt aktuell bei 6 %.

Wo also explodieren die Gesundheitskosten?
Diese Behauptung vorwiegend von Arbeitgeberverbänden und ihnen nahestehenden Professoren (Experten) wird übernommen und dient als Rechtfertigung für die Senkung der sogenannten Lohnnebenkosten. Zusätzlich wird auf die Bevölkerungsentwicklung und der damit verbundenen Finanzlast (noch nicht Altenlast) hingewiesen. Es explodieren allerdings die Gewinne der Pharmaunternehmen wegen der hohen Preise für z.T. unnötige Arzneimittel.

Ohnehin ist festzustellen, dass keineswegs zu hohe Lohn- oder Lohnnebenkosten der Grund für die wirtschaftliche Schwäche und die anhaltende Massenarbeitslosigkeit sind, sondern die schwache Entwicklung der inländischen Nachfrage. Mit indirekten Lohnsenkungen, und nichts anderes ist z.B. die Privatisierung bisher paritätisch finanzierter Versorgungsleistungen, wird diese Schwäche noch verstärkt und die Arbeitslosigkeit nicht gesenkt, sondern erhöht.

Im übrigen: Die Arbeitskosten liegen im europäischen Vergleich im unteren Mittelfeld.

Reformschritte im System

Aktuelle gesetzliche Fehlentwicklungen

a.Zuzahlungen
Zuzahlungen z.B. für Arzneimittel sind mit Solidarität, Sachleistung und paritätischer Finanzierung nicht vereinbar. Kranke zahlen für ihre Medikamente, die bereits mit der Beitragszahlung finanziert sind, noch einmal. Gesunde und Arbeitgeber werden nicht zur Kasse gebeten. Zuzahlungen belasten ebenso wie die Praxisgebühr besonders die Einkommensbezieher, die ohnehin am unteren Ende der Einkommensskala stehen..

b.Sonderbeitrag Zahnersatz
Um die Lohnnebenkosten zu senken, um also die Arbeitgeber zu entlasten, müssen die Arbeitnehmer seit Juli 05 den Zahnersatz mit 0,9 Beitragsprozentpunkten allein finanzieren. Damit ist die paritätische Finanzierung vorsätzlich ausgehebelt worden.

Weiterentwicklung der GKV

Es ist notwendig und ohne Alternative, auf den Grundlagen der sozialen Krankenversicherung aufzubauen. Dazu gehört in einem ersten Schritt, die Zuzahlungen und den Sonderbeitrag Zahnersatz entfallen zu lassen. Die Weiterentwicklung muss aus einem Mix aus Einnahmeverbesserungen, Ausgabenkürzungen und sonstigen Maßnahmen bestehen:

Einnahmeverbesserungen

a.Anhebung/Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze
Die Versicherungspflichtgrenze beträgt derzeit 3937,50 €. Oberhalb dieser Grenze besteht keine Versicherungspflicht mit der Folge, dass diese Einkommensbezieher als Arbeitnehmer die Wahl haben, entweder in der gesetzlichen Krankenversicherung zu bleiben oder aber in die private Krankenversicherung zu wechseln. Wenn sie wechseln, entziehen sie sich der solidarischen (gesetzlichen) Krankenversicherung. Sie verlassen also die Solidargemeinschaft der Versicherten wegen des persönlichen Vorteils und schwächen sie damit.

Eine solche Wahlmöglichkeit, die Arbeitnehmer mit einem Gehalt bis 3937,50 € nicht haben, ist eine unzulässige Bevorzugung der Einkommensstarken. Damit wird die Belastungsgerechtigkeit vermindert und die Solidarität pervertiert. Es ist daher unverzichtbar, die Versicherungspflichtgrenze anzuheben bzw. aufzuheben.

b.Die Beitragsbemessungsgrenze(BBG), z.Z. 3562,50 €, sollte auf 3937,50€ angehoben werden, da die jetzige Unterscheidung zwischen BBG und Versicherungspflichtgrenze ohnehin nicht verstanden wird. Mit diesem Argument könnte auch die weitere Anhebung der BBG rechtfertigt werden, wäre da nicht die Belastungsgerechtigkeit, die nicht dazu führen kann, eine Einkommensgruppe zu überfordern.

c.Einbeziehung der Beamten
Mit der Anhebung bzw. Aufhebung der Versicherungspflichtgrenze müssen auch Beamte als Beitragszahler eingebunden werden, da Beamte tatsächlich ebenfalls Arbeitnehmer sind und sich daher keine Bevorzugung gegenüber anderen Arbeitnehmern rechtfertigen lässt.

d.Beitragszahlung von Lohnersatzleistungen
Die Beitragszahlung für Bezieher von Lohnersatzleistungen muss nach dem vorher bezogenen Bruttoarbeitsentgelt erfolgen. Dies gilt auch für Bezieher von Arbeitslosengeld II, wenn sie vorher Arbeitslosengeld I bezogen haben. Bei den übrigen Beziehern von Arbeitslosengeld II muss die Beitragszahlung auf der Grundlage von 50% der Bezugsgröße erfolgen.

e.Erstattung versicherungsfremder Leistungen
Weitere volle Erstattung der versicherungsfremden Leistungen mit dem Betrag von derzeit 4,2 Mrd €. Die Finanzierung ist durch die mehrmalige Erhöhung der Tabaksteuer gewährleistet und deswegen auch erfolgt. Der jetzt vorgesehene „Einstieg“ in die Steuerfinanzierung in Höhe von 1,5 Mrd € bei gleichzeitigem Wegfall des Erstattungsbetrags von 4,2 Mrd € ist völlig inakzeptabel und entspricht auch nicht dem gewollten „zusätzlichen Finanzierungsbedarf“.

Ausgabenkürzungen

a.Positivliste
Es gibt rund 40.000 verschreibungsfähige Medikamente, deren Nutzen z.T. nur geringfügig oder nicht existent ist, obwohl solche Medikamente den Ärzten von den Pharmaunternehmen als medizinisch sinnvoll angepriesen werden. Auch Ärzte haben das Problem, die Vielzahl dieser Medikamente nicht mehr überblicken zu können.

Die Positivliste muss darauf abstellen – sie war im Jahr 2003 auch schon vorgesehen – die Medikamente aufzulisten, deren therapeutischer Nutzen eindeutig ist. Gleichzeitig wird damit dem Arzt eine Hilfestellung gegeben, die er auch annähme. Sie ist weitaus effizienter als die vorgesehene „Kosten-Nutzen-Bewertung“.

Die Krankenkassen zahlten (ohne Zuzahlung) dann nur noch die Medikamente, die auf der Liste stehen.Ergänzend können „flexible Preisvereinbarungen“ angebracht sein, wie in den Eckpunkten vorgeschlagen.

b.Prävention
Die Prävention muss ausgeweitet werden. Vorbeugung kann nicht nur Krankheiten verhindern, sondern ist dann auch ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität. Um vorbeugende Maßnahmen gezielt einzusetzen, sollte den Krankenkassen die Möglichkeit gegeben werden, über Satzungsleistungen spezifische Maßnahmen für ihre Versicherten anzubieten.

c.Ambulante/Stationäre Versorgung
Ansätze für eine Verbesserung der ambulanten und stationären Versorgung sind in den Eckpunkten enthalten Unverständlich ist jedoch die „Anschubfinanzierung“ für die „ambulante Erbringung hochspezialisierter Leistungen am Krankenhaus“, die die Krankenhäuser und die Krankenkassen unverhältnismäßig belastet. Sieht so der (selbst erzeugte) zusätzliche Finanzbedarf aus?

Sonstige Maßnahmen

a.Einbeziehung weiterer Einkommensarten
Die bisherige Überlegung, Einkünfte aus Kapitalvermögen und aus gewerblicher und selbständiger Arbeit für die Finanzierung heranzuziehen, schwächt die soziale Krankenversicherung als Arbeitnehmerversicherung und koppelt die hälftige Beitragszahlung vom Lohn ab. Damit wird es den Arbeitgebern ermöglicht, ihre Vorstellungen zur Abschaffung der hälftigen Beitragszahlung zu realisieren.

Diese Überlegung ist auch unnötig, weil der beschriebene Mix aus Einnahmeverbesserungen und Ausgabenkürzungen ausreicht, das bestehende System auf Dauer finanziell zu stabilisieren.

b.Versicherung der Familienangehörigen
Die beitragsfreie Versicherung von Kindern und Ehepartnern hat sich bewährt. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der sozialen im Gegensatz zur privaten Krankenversicherung. Es gibt daher keinen Grund, sie abzuschaffen bzw. sie aus Steuermitteln zu finanzieren. Eine solche Steuerfinanzierung bedeutete die völlige Abkehr vom bisherigen System der paritätischen Beitragsfinanzierung und wäre je nach Haushaltslage bei einem Volumen von 14 Mrd € pro Jahr durchaus nicht gesichert.

c.Selbstverwaltung
Die Selbstverwaltung der Krankenkassen (Verwaltungsräte) wird mit der gesetzlichen Festsetzung der Höhe des Beitragssatzes entwertet und ihrer Finanzhoheit beraubt, da es die Aufgabe des jeweiligen Verwaltungsrats ist und sein muss, den Beitragssatz der einzelnen Krankenkasse autonom festzulegen. Selbstverwaltung und Gesundheitsfonds passen offensichtlich nicht zusammen. Anders gesagt: Die Selbstverwaltung wird wegen der Staatsnähe des Fonds geopfert werden. Die mittelbare Staatsverwaltung taugt wohl nur noch als Auslaufmodell.

 
d.Gesundheitsfonds
Die Koalitionspartner haben sich auf einen faulen Kompromiss zwischen Bürgerversicherung und Gesundheitsprämie(Kopfpauschale) verständigt. Fauler Kompromiss deswegen, weil es bei der Gegensätzlichkeit der Modelle keinen Kompromiss geben kann.

Während die Bürgerversicherung eine Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung ist, ist die Gesundheitsprämie das genaue Gegenteil. Mit der Einführung der Gesundheitsprämie, aber auch mit dem Gesundheitsfonds, werden Solidarität, paritätische Finanzierung und Selbstverwaltung als wesentliche Grundlagen der sozialen Krankenversicherung außer Kraft gesetzt.

Der staatliche Gesundheitsfonds als Kompromiss soll als wirtschaftliche Einrichtung Beiträge von den Mitgliedern der Krankenkassen und den Arbeitgebern erheben. Die Kassen bestimmen nicht mehr über die Höhe der Beiträge. Einzugstellen sollen nicht mehr die Krankenkassen sein, sondern regionale Einzugstellen als „Unterbau“ des Gesundheitsfonds. Die Beitragszahlung der Mitglieder und Arbeitgeber erfolgt nicht in gleicher Höhe, sondern beinhaltet bei den Mitgliedern zusätzlich den Sonderbeitrag von 0,9% für Zahnersatz.

Die Kassen erhalten aus dem Gesundheitsfonds pro Versicherten neben einer „Grundpauschale“ einen alters- und risikobezogenen Zuschlag. Reichen diese Mittel für eine Krankenkasse nicht aus, kann sie einen Zusatzbeitrag von ihren Mitgliedern erheben, ohne dass die Arbeitgeber, die ohnehin schon weniger zahlen sollen, dazu ihren Beitrag leisten.

Die Kopfpauschale soll durch die Hintertür eingeführt werden. Die Bürgerversicherung als Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung bleibt auf der Strecke.  Der Wettbewerb um die preisgünstigste Krankenkasse wird gefördert und nicht der Wettbewerb um die bessere Qualität der Versorgung.

Angesichts solcher Absichten droht auch die Rationierung der Versorgungsleistungen.


Fazit

Mit der möglichen und notwendigen Beibehaltung und Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung könnte ein bewährtes System gestärkt werden, welches der überwältigende Anteil der Bevölkerung befürwortet. Dieses System kann Einsparungen in erheblichem Ausmaß realisieren, ohne die Qualität der Versorgung zu vermindern. Ohnehin hat eine qualitativ gute und flächendeckende Versorgung ihren Preis, den die Bürger mit ihren hälftigen Beitragszahlungen auch bereit sind zu tragen, ohne dass Zuzahlungen erforderlich sind.

Die Eckpunkte der Gesundheitsreform bewirken das Gegenteil; sie sind unnötig, teuer und schaden auf Dauer den Versicherten. Freuen können sich u.a. die Pharmaunternehmen, die mit weiteren Gewinnen zu Lasten der Arbeitnehmer rechnen können.

siehe den Artikel „Zusatzbeiträge“

Rolf D.Aschenbeck

August 2006

Nachtrag, März 2013: Inzwischen hat sich der Gesundheitsfonds etabliert und ist mit seinen Regularien im Prinzip geeignet, unterschiedliche Risiken je nach Krankenkasse solidarisch auszugleichen. Allerdings werden immer noch Kassen bevorzugt, die einen jüngeren Versichertenbestand haben. Das führt dazu, das Risikoselektion praktiziert wird, um teure Versicherte loszuwerden.

Eine solche Risikoselektion steht dem Solidarprinzip diametral entgegen. Sie muss daher unterbunden werden.

image_printDrucken