Freihandelsabkommen CETA

CETA, Wallonien und die Sache mit Europa: Die Mitarbeiter von campact, Maritta Strasser und Felix Kolb, klären über einige Irrtümer auf. Lesen Sie deren Beitrag,  dem blog.campact gekürzt und redaktionell geändert entnommen.

Irrtum1: Das Verhalten der Wallonie ist schädlich für die Demokratie

Das Wallonische Parlament nimmt für sich ein Recht wahr, das ihm laut belgischer Verfassung zusteht. Bevor die belgische Regierung internationalen Verträgen zustimmen darf, braucht sie die Zustimmung aller Regionen. Dieses Recht wurde erst infrage gestellt, als das Parlament begann, dieses Recht auszuüben – und damit CETA aufzuhalten.
Zudem steht die Wallonie nicht allein: Europaweit haben über 2.000 Regionen, Länder und Kommunen Resolutionen gegen Ceta und TTIP verabschiedet.Überall in Europa werden CETA und TTIP kritisch diskutiert und gegen sie protestiert. Seit drei Jahren kämpft eine breite europäische Protestbewegung gegen die Abkommen. Über drei Millionen Menschen haben europaweit gegen TTIP und CETA unterschrieben, Hunderttausende gingen auf die Straße.

Während CETA geheim verhandelt wurde, durften Parlamente und Zivilgesellschaft nicht mitreden. Sie sollten warten, bis das Abkommen fertig ist. Jetzt heißt es: Das Abkommen ist fertig verhandelt, auf eure Änderungswünsche können wir nicht mehr eingehen. Das ist nicht  demokratisch.

 

Irrtum 2: CETA ist ein progressives Abkommen

1. CETA ist als ein klassisches Abkommen neoliberaler Zielrichtung aufgesetzt worden. Das Mandat wurde auf deutscher Seite von dem damaligen CSU-Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erteilt. Es wurde zwischen der konservativen kanadischen Regierung von Stephen Harper und der EU-Kommission des Christdemokraten José Manuel Barroso verhandelt.

2. Nach Abschluss der Verhandlungen fand ein Regierungswechsel in Kanada statt. Deshalb waren nachträgliche Änderungen vor allem am Kapitel 8 (Investitionen) möglich. Aber statt auf Investorenklagen ganz zu verzichten – wozu Kanada scheinbar bereit war – wurden sie lediglich leicht geändert. Außerdem hat CETA 30 Kapitel. Der allergrößte Teil ist unverändert geblieben.

3. CETA enthält nach wie vor Sonderklagerechte für ausländische Investoren – progressive Abkommen verzichten ganz darauf. So schließen beispielsweise Brasilien, Australien und Südafrika ihre Handelsabkommen ohne Sonderklagerechte für Investoren (ISDS) ab.

4. CETA hat einen Negativlisten-Ansatz bei der Dienstleistungsliberalisierung – progressive Abkommen haben eine Positiv-Liste, liberalisieren also nur eng definierte einzelne Sektoren.

5. CETA hat keine Durchsetzungsmechanismen für seine Nachhaltigkeits-  und Arbeitnehmerschutzregeln; progressive Abkommen hätten sie.

 

Irrtum 3: Wallonien geht es nur um Machtspiele und Parteitaktik

Kein Parlament innerhalb der EU hat sich so intensiv mit CETA auseinandergesetzt wie das Parlament der Wallonie. Bereits im Frühjahr hat es nach einer intensiven Prüfung des Vertrags zentrale Mängel aufgelistet. Diese decken sich weitgehend mit den “roten Linien” der SPD: Die umstrittenen Schiedsgerichte und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen sind für die Wallonier ebenso inakzeptabel, wie der Import gentechnisch veränderter Lebensmittel.

Während die SPD auf dem Parteikonvent in Wolfsburg am 19. September 2016 die meisten ihrer roten Linien de facto aufgegeben hat, ist Wallonien seinen Forderungen treu geblieben – und hat im Ergebnis richtig viel erreicht:

Belgien wird vor dem Europäischen Gerichtshof überprüfen lassen, ob die geplanten Schiedsgerichte legal sind.  Juristen sehen gute Chancen, dass die Richter CETA stoppen.

Die rebellischen belgischen Regionen kündigen an: Sollte CETA weiter die Sonderklagerechte für ausländische Investoren in ihrer aktuellen Form enthalten, werden sie erneut ihr Veto einlegen. Dann scheitert die Ratifizierung von CETA.
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Irrtum 4: Europa muss mehr zentral entscheiden, um handlungsfähig zu bleiben

Die CETA-Befürworter führen an, dass europäische Politik schwer möglich ist, wenn jedes Mitglied und jede Region der Mitgliedsstaaten ein Recht zum Stopp europaweiter Politik hat.

Sie haben damit nicht ganz unrecht. Tatsächlich wünschen wir uns auch beispielsweise in der Steuer- und Sozialpolitik eine Verlagerung von Kompetenzen zur EU. Der Einfluss der Mitgliedstaaten mit ihren Partikularinteressen ist zu groß. So ist es ein Problem, wenn ein einzelnes Mitgliedsland Regeln gegen Steuerdumping blockieren kann.

Klar ist: wenn wir – was sinnvoll ist – mehr politischen Entscheidungen auf der europäischen Ebene treffen wollen und Souveränitätsrechte von den Mitgliedstaaten auf die Europäische Union übertragen wollen, dann kann dies nicht nur für die Verhandlung von Handelsabkommen gelten.

1.Dann müssen die Kompetenzen des Europäischen Parlaments gegenüber Ministerrat und Kommission gestärkt werden.

2.Dann muss es erweiterte Klagerechte unter anderen auch für Bürger/innen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) beim Europäischen Gerichtshof geben.

3.Dann muss sichergestellt werden, dass es über das Mandat zur Verhandlung so weitreichender Handelsverträge wie TTIP oder CETA eine intensive, europaweite öffentliche Debatte gibt.

4.Dann brauchen wir eine intensivere Einbindung von Parlamentarier/innen in die Verhandlung internationaler Handelsverträgen.

5.Dann braucht es Verhandlungspakete so klein wie möglich und so groß wie nötig, die es Parlamentarier/innen ermöglichen, Handelsvorteilen zuzustimmen ohne damit gleichzeitig z.B. die Einrichtung von Sondergerichten akzeptieren zu müssen.

6.Dann darf Interessenvertreter/innen von Konzernen kein privilegierter Zugang zu Verhandlungen gewährt werden.

Ja, auch wir wollen die Stärkung der Europäischen Demokratie. Diese misst sich aber sicher nicht daran, ob Deregulierungsprojekte wie CETA und TTIP durchgewunken werden oder nicht. Sie misst sich daran, ob Bürger/innen und NGOs auf der europäischen Ebene die gleichen Möglichkeiten haben, ihre Interessen in den politischen Prozess einzubringen wie auf der nationalen Ebene. Solange wir davon nicht ausgehen können, ist es richtig auch in nationalen und regionalen Parlamenten Versuchen zur weiteren Deregulierung von Umwelt- und Sozialstandards entgegenzutreten.

 

Irrtum 5: Wenn Belgien im EU-Rat den Weg für CETA frei macht, ist das Abkommen bereits besiegelt

Der Streit in Belgien drehte sich darum, ob die belgische Bundesregierung CETA unterzeichnen darf, zusammen mit den anderen EU-Mitgliedstaaten, der EU und Kanada. Unterzeichnen heißt: Das Abkommen ist fertig verhandelt. Mehr nicht. Damit es dauerhaft in Kraft tritt, muss es ratifiziert werden. Und das erfordert noch etliche weitere Schritte.

1.Nach den Mitgliedstaaten ist das EU-Parlament an der Reihe. Dort soll CETA mit einem sehr straffen Zeitplan verabschiedet werden. Dann würde schon im Januar 2017 entschieden.

2.Unmittelbar danach kann CETA „vorläufig in Kraft treten“. Das Abkommen gilt dann, obwohl noch nicht alle zugestimmt haben, die zustimmen müssen. Aber es dürfen nur die Teile vorläufig angewendet werden, die in alleiniger Kompetenz der EU sind, dass hat auch der Bundesverfassungsgericht in seinem CETA-Urteil nochmals bekräftigt. Insbesondere die umstrittenen Investor-Staats-Klagen werden deswegen nicht vorläufig in Kraft gesetzt.

3.CETA bleibt solange “vorläufig in Kraft” bis das letzte EU-Land das Abkommen ratifiziert hat. Wenn die Ratifizierung in nur einem Mitgliedsland endgültig scheitert oder das Bundesverfassungsgericht urteilt, dass CETA nicht vereinbar mit unserer Verfassung ist, endet die vorläufige Anwendung.

4.CETA muss von allen 28 Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Jedes Land regelt diese Phase selbst. In Belgien müssen alle Regionalparlamente dafür stimmen. In Deutschland muss neben dem Bundestag auch der Bundesrat Ja sagen. Dort hat die Große Koalition derzeit nur 16 der 36 nötigen Ja-Stimmen. In den Niederlanden ist ein rechtlich bindendes Volksbegehren gegen CETA möglich – das wird gerade vorbereitet.

 

Bundesrat zustimmungspflichtig

Jetzt brennen bei der Bundesregierung wohl die Sicherungen durch. Sie stellt plötzlich in Frage, was niemand zuvor bezweifelt hat: Dass neben dem Bundestag auch der Bundesrat CETA zustimmen muss, da der Vertrag als gemischtes Abkommen eingestuft wurde. Noch am 6. Juli 2016 hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Bundestag angekündigt, die Bundesregierung werde den Entwurf eines Ratifizierungsgesetzes vorlegen, das auch im Bundesrat zustimmungspflichtig sei. Aus gutem Grund: Unabhängige Studien zeigen, dass CETA den Gestaltungsspielraum von Ländern und Gemeinden negativ beeinträchtigen könnte. Bei früheren Handelsabkommen war es eine Selbstverständlichkeit, sie als Zustimmungsgesetz einzubringen. Zuletzt passierte am 3. Mai 2013 das Freihandelsabkommen der EU mit Kolumbien und Peru den Bundesrat nur ganz knapp.

Wenn die Bundesregierung ihren geplanten Kurswechsel durchzieht, hat dies auch Konsequenzen für TTIP und das Dienstleistungsabkommen TISA. Denn auch diese Abkommen lassen sich am ehesten im Bundesrat stoppen.

 

EuGH soll CETA-Vereinbarkeit mit EU-Verträgen klären

Fast 90 Europaabgeordnete haben gemeinsam einen Antrag gestellt: Sie wollen vom Europäischen Gerichtshof geklärt wissen, ob CETA mit den EU-Verträgen vereinbar ist. „Wenn es das nicht ist, fällt uns das Abkommen hinterher auf die Füße. Deswegen wäre es gut, das vorher zu klären“, findet Keller. Durch den Antrag soll CETA nicht im Detail, sondern grundsätzlich einer Prüfung unterzogen werden.

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