Freier Demokratischer Popanz

Prominente FDP-Unterstützer? Abgetaucht! Will man dennoch Menschen treffen, welche nach wie vor die Partei unterstützen, muss man weit fahren. Zum Beispiel zu den liberalen Senioren nach Rostock. Artikel in gekürzter Fassung der FR entnommen.

Da ist zum Beispiel Florian Langenscheidt. Oder besser gesagt: Da ist er eben nicht. Das ist ja das Problem. Dr. Langenscheidt, sagt seine Sekretärin, habe leider bis tief in den Sommer keinen Termin mehr frei. Das ist schade. Man hätte ihn doch gerne mal gesprochen. Der Verleger, Buchautor („100 x Mut“) und Tausendsassa könnte sicher einiges sagen über die FDP, über die er ja früher schon nur gut gesprochen hat. Er hat Wahlkampf für sie gemacht im Jahr 2009, er ist Promi-Gesicht der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, er hat kürzlich ein Dinner für die Partei organisiert, das dann doch abgesagt wurde, weil ganz plötzlich ganz viele keine Zeit mehr hatten. Genug Gesprächsstoff also. Aber leider, nein, da ist nichts zu machen. Später vielleicht.

Marie-Luise Marjan, heißt es bei der Lindenstraße, wolle eher auch nicht. Die Mutter der Nation werde aber noch mal anrufen, um das persönlich zu erklären. Sie wird wohl die Nummer verlegt haben. Prinzessin Gabriele Inaara Begum Aga Khan hat auch eine Sekretärin. Mit putzigem Schweizer Akzent sagt sie zweimal, sie werde sich melden. Zweimal tut sie es nicht. Die Kanutin Birgit Fischer teilt schriftlich mit, sie habe „im Moment kein Interesse“ an einem Gespräch. Regine Sixt geht es ähnlich. Bernhard Brink ist nicht aufzufinden. Jean Pütz antwortet nicht. Dieter Hallervorden schweigt.

Es ist ein bisschen wie verhext in diesen Tagen. Sechsmillionendreihundertsechzehntausendundachtzig Menschen haben im September 2009 die FDP gewählt, Prominente und Nicht-Prominente. Irgendwo müssten sie eigentlich sein. Aber wer sie sucht, der findet sie nicht. Es ist, als sei aus der FDP über Nacht die Freie Demokratische Pestilenz geworden. Niemand will sich anstecken. Keiner über die Nebenwirkungen sprechen.

Will man im Frühjahr 2011 Menschen treffen, die trotz allem und immer noch FDP-Unterstützer sind, muss man weit fahren, zum Beispiel nach Rostock.

Wenn Martin Birkholz in diesen Tagen an seine Partei denkt, fühlt er sich an den Sportunterricht in der DDR erinnert. Damals, Mitte der 60er, sollten sie zur Leibesertüchtigung eigentlich Volleyball spielen. Nur hatten sie leider keine Volleybälle. In seiner Not ordnete der Sportlehrer das Training mit Medizinbällen an. „Und nachher haben sich alle gewundert, dass wir keine Leistung gebracht haben.“ So ähnlich gehe es gerade in der FDP zu, schnauft Birkholz. „Sagenhaft, was sich da gerade abspielt.“ Er betont es auf jeder einzelnen Silbe. Sa-gen-haft!

Es ist ein herrlicher Frühlingstag an der Ostsee, als sich im Schatten der wuchtigen Petrikirche ein Häuflein rüstiger Rostocker versammelt. Ein gutes Dutzend hat es auch in diesem Jahr wieder ins „Café Liberal“ geschafft, das der FDP-Landtagsabgeordnete Ralf Grabow unterhält. Die Älteste von ihnen ist 80, der jüngste 63. Das ist Martin Birkholz, ein freundlicher Mann mit gebräunter Gesichtshaut, grauem Resthaar und gelb-grauem Rautenpulli. Er ist der Chef der Liberalen Senioren Mecklenburg-Vorpommerns. Er hat heute zur Jahreshauptversammlung geladen.

Um Punkt zehn eröffnet Martin Birkholz die Versammlung mit der Nachricht, dass zuletzt nicht alles schlecht war bei den Liberalen. Die Senioren-Reise nach Usedom etwa sei ein großer Erfolg gewesen. Ebenso das Treffen mit einem ehemaligen Förster, mit dem die Gruppe am Ende erbauliche Volkslieder sang. Es gab mehrere gemütliche Stammtische im abgelaufenen Jahr, der Kassenbestand kann sich mit 94 Euro sehen lassen. Und dann haben die Liberalen Senioren Mecklenburg-Vorpommerns sogar zwei Neu-Mitglieder gewonnen.

Sie sind jetzt 17. Das kann in diesen Zeiten nicht jede FDP-Untergliederung von sich behaupten. „Wir können mit unseren Aktivitäten ganz zufrieden sein“, sagt Birkholz. Das Problem ist: Mit allem anderen können sie es nicht. Es ist im Moment wirklich nicht so einfach, Freidemokrat zu sein in Mecklenburg-Vorpommern. Im Müritz-Hotel in Klink, idyllisch gelegen inmitten der Seenplatte, da hat sich die Landespartei vor fünf Wochen so genüsslich selbst zerlegt, dass danach sogar Spaltungsgerüchte die Runde machten. Als wollten sie die Führungskämpfe auf Bundesebene im Bonsaiformat nachspielen, fielen die Liberalen übereinander her, kegelten verdiente Parteifreunde von sicheren Listenplätzen, lieferten sich erbitterte Kampfkandidaturen. Und dann das noch: Das Seniorenmitwirkungsgesetz, um dessen Durchsetzung die liberalen Alten den Landesparteitag dringend gebeten hatten, haben die Delegierten kaltschnäuzig ignoriert.

Sie liegt jetzt in Umfragen auch nur noch bei drei Prozent. Im Herbst wird an der Ostsee gewählt. „Wir haben es selbst geschafft, uns zu erschießen“, sagt Ralf Grabow. „Ich bin da grob-ehrlich.“ Er kann es jetzt auch sein, er hat ja nichts mehr zu verlieren.

Entsorgung

Der 46-jährige Sozialpolitiker wird nach der Wahl gewesener Landtagsabgeordneter sein. Er gehört zu jenen Freidemokraten, die an der Müritz lustvoll entsorgt wurden. Grabow kann es sich im Prinzip bis heute nicht erklären. Er kann es auch den Senioren im Café Liberal nicht erklären, die dann doch ganz gerne mal wüssten, was da eigentlich gerade schief läuft in ihrer Partei, der sie alle schon angehörten, als die noch LDPD hieß und als zwischen ihnen und dem jungen Guido Westerwelle noch eine Mauer stand. Die Stimmung ist beim Tagesordnungspunkt „Aussprache“ nicht mehr so gut auf der Jahreshauptversammlung. Er frage sich schon, wie man in eineinhalb Jahren von 14,6 auf drei Prozent absinken kann, fragt einer mit grauem Backenbart und waidgrünem Jackett.

Die Senioren sind schon so lange nicht mehr gefragt worden, was sie eigentlich von ihrer Partei halten. Früher, sagt der Kassenwart, der einst Amtsarzt war, hätten sie doch auch regelmäßig zusammengesessen und seien „politisch“ geworden. Das sei dann irgendwann eingeschlafen. Wann solle man den wieder den Mund aufmachen, wenn nicht jetzt, wo die FDP dabei sei, mit Karacho gegen die Wand zu fahren? Auch hier in Rostock haben sie vom „mitfühlenden Liberalismus“ gehört, den die Jungen vermeintlich wollen. Jetzt fragen sie sich, wann die FDP zuletzt wirklich mal mitfühlend war – oder wenigstens mal liberal. Neulich hat einer der Alten von einer NDR-Umfrage gehört, wonach in Mecklenburg-Vorpommern noch ganze zwei Prozent der Menschen seiner Partei Wirtschaftskompetenz zutrauen. Das einzige Kernthema, das man noch hatte: in Luft aufgelöst. „Es ist beschämend.“ Dafür muss es doch Gründe geben.

Fehlende Vielfalt

„Die Vielfalt fehlt“, sagt Birkholz und erinnert daran, wie in Mecklenburg-Vorpommern die Kreisgebietsreform diskutiert wurde. Vieles hätte man aus FDP-Sicht dazu sagen können. Aber zu den sozialen Problemen, zu den Folgen der Reform für den Einzelnen habe man von der Partei nichts gehört. Auch da: kein Mitfühlen, nur Mitrechnen.

„Immer nur Wirtschaft, immer nur Geld“, schnaubt der Versammlungsleiter, der sich an dieser Stelle eigentlich selbst zur Ordnung rufen müsste. Aber das Glöckchen im Cafe Liberal bleibt jetzt stumm. Sie machen sich Sorgen hier im Norden. Sorgen, dass die FDP erst im Land, später dann auch im Bund hilflos unter der Fünf-Prozent-Hürde durchspringen wird. Sorgen, dass dann erst recht niemand mehr auf ein Häuflein alter Liberaler hört. Sorgen, dass die Partei ausgerechnet von so etwas wie den Grünen beerbt werden könnte. „Das muss man sich mal vorstellen“, sagt die Älteste in der Runde.

„Die Grünen beschäftigen sich wenigstens mit Inhalten“, sagt Rolf Grabow aus Rostock. Er sei vor gar nicht allzu langer Zeit auf einem Grünen-Parteitag gewesen, und was er dort sah, habe ihn doch erstaunt. In den gefüllten Reihen der Delegierten konnte er keine Hippies und nur wenige umweltbewegte Bauern ausmachen. Stattdessen Akademiker, Lehrer, Studenten, Besserverdiener, das klassische Klientel der FDP. Menschen, die zwar miteinander stritten, aber nicht wie die Kesselflicker und nicht über alberne Personalfragen, sondern über Sachthemen. Er fand das beeindruckend, und die Senioren, die nun still geworden sind, finden das auch. „Wir müssen wieder von unten anfangen“, sagt Grabow.

Kommentar:

Man könnte bei diesem Artikel fast Mitleid haben mit dieser Privatisierungspartei, die nun feststellen muss, dass selbst der harte Kern nicht mehr an sie glaubt, weil sie ausschließlich die Interessen des Kapitals vertritt. Krokodilstränen sind aber angebracht, wenn diese Partei endlich in der Versenkung verschwindet. Da gehört sie nämlich hin.

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