Finanzwirtschaft und Politik

Im Würgegriff der Mafia aus Finanzwelt und Politik.  Die Finanzkrise war kein Unfall. Europas oberster Korruptionsbekämpfer spricht von einem Milieu, in dem Bereicherung Ziel des Handelns ist. Und die Politik macht mit. WeltOnline entnommen.

Kaum einer kennt sich in der Organisierten Kriminalität so gut aus wie Wolfgang Hetzer. Und kaum ein anderer ist so tief in die Machenschaften von Finanzmanagern und Politikern vorgedrungen, die schließlich zur Finanzkrise und der europäischen Schuldenkrise führten. In seinem Buch „Finanzmafia“ spricht er von einer „Leitkultur der Korruption“. Hetzer ist Europas oberster Korruptionsbekämpfer. Seit 2002 leitet Hetzer die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel. Zuvor war er Referatsleiter im Bundeskanzleramt, zuständig für die Aufsicht über den BND in den Bereichen Organisierte Kriminalität, Geldwäsche, Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen und strategische Überwachung der Telekommunikation.

Welt Online: Herr Hetzer, warum nehmen Sie, der Sie im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung für den Kampf gegen Korruption zuständig sind, sich der Finanzkrise an?

Wolfgang Hetzer: Als Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou in Deutschland war, sagte er, sein Land sei auch deshalb in diese schwierige Lage gekommen, weil Korruption in Griechenland weit verbreitet sei. Dennoch steht mein Buch „Finanzmafia“ in keinem Zusammenhang mit meiner dienstlichen Tätigkeit. Ich äußere hier nur persönliche Auffassungen und verpflichte die Europäische Kommission in keiner Weise.

Welt Online: Sie haben einmal gesagt, die internationale Finanzkrise sei kein Unglück. Was ist sie dann?

Hetzer: Diese Krise ist jedenfalls keine Naturkatastrophe. Sie ist kein Gottesurteil. Sie ist keine satanische Verfluchung, sondern hat ihre Wurzeln in menschlichem Handeln und in menschlichen Unterlassungen. Zu diesem Handeln gehört etwa, vereinfacht ausgedrückt, die Freigabe von Wetten mit hochspekulativen Finanzprodukten wie Derivaten. Und zu den Unterlassungen gehören neben vielen anderen Dingen, die fehlerhafte Aufsicht bzw. die Unterlassung eine wirksame Aufsichtsstruktur zu etablieren.

Welt Online: Wen genau klagen Sie an?

Hetzer: Da sind die Täter in der Finanzindustrie, die diese Wetten abschließen. Und da sind ihre Helfer in der Politik, die ihnen diese Wetten ermöglichten und nichts unternehmen, um die Investmentbanker in die Schranken zu weisen. Die Liste der Verfehlungen der Politik ist lang.

Welt Online: Nennen Sie mal einige.

Hetzer: Die Politik hat zugelassen, dass Finanzunternehmen nicht alle ihre Geschäfte in der Bilanz aufführen, sondern verheimlichen. Sie hat zugelassen, dass Banken ihre Risiken nicht mit ausreichend Eigenkapital unterfüttern mussten. Sie hat den Eigenhandel der Finanzinstitutionen mit Finanzprodukten nicht so eingeschränkt, wie es erforderlich gewesen wäre. Sie hat zugelassen, dass Kreditrisiken bis zu 100 Prozent weitergegeben wurden. Und oft genug überlässt sie die Gesetzesarbeit gleich den Finanzinstitutionen.

Welt Online: Sie meinen, die Politiker holen dort Rat ein?

Hetzer: Viel mehr. Denken Sie an das Investmentmodernisierungsgesetz, das Finanzmarktstabilisierungsgesetz oder das dazugehörige Ergänzungsgesetz. Die entstanden aus einer besonders pikanten Form von Privatisierung. Weil offenbar nicht mehr die notwendige Kompetenz in der Ministerialbürokratie vorhanden ist, ließ die Regierung diese Gesetzgebung von den Anwälten der Finanzindustrie betreiben. Das heißt, die Politik gibt ihr wichtigstes Kerngeschäft auf, nämlich die sachverständige Gesetzgebung. Und dafür muss der Steuerzahler auch noch bezahlen.

Welt Online: Ist die Politik möglicherweise der willfährige Helfer der Spekulanten?

Hetzer: Schlimmer noch. Die Politik hat sich von der Finanzwirtschaft am Nasenring über die Weltbühne ziehen lassen. Die Finanzwirtschaft hat ihre Interessen in Milliardenhöhe bei der Politik durchgesetzt. Zu diesem Ergebnis kam die vom US-Kongress eingesetzte Kommission zur Aufklärung der Umstände, die zur Finanzkrise geführt haben.

Welt Online: In Ihrem Buch „Finanzmafia“ beklagen Sie, dass es eine „Leitkultur der Korruption“ gebe. Was genau meinen Sie damit?

Hetzer: Damit meine ich, dass korruptive Verhaltensweisen in den Vorstandsetagen der Wirtschaft und im Bereich der Politik zuzunehmen scheinen. Wirtschaftliche Rationalität hat abgedankt. Fachzwänge wurden suspendiert. Stattdessen hat sich eine einseitige Interessenpolitik etabliert.

Welt Online: Wie genau muss man sich das vorstellen?

Hetzer: Die Finanzwelt folgt der Logik der Mafia, nämlich der Orientierung am höchstmöglichen Gewinn bei minimiertem Risiko. Dazu werden alle Mittel eingesetzt, die Wirksamkeit versprechen, etwa in Kontakten mit Wirtschaft, Verwaltung und Politik. Die Vorstellung, dass die wirklich gefährliche Mafia sich durch Gewaltbereitschaft auszeichnet, ist naiv. Ihre große Gefahr ist ihr Einfluss, ihre Macht, indem sie Verbindungen aufbaut, korrumpiert, wirtschaftliche Gesetzmäßigkeiten zum eigenen, ungehemmten Vorteil umfunktioniert oder außer Kraft setzt. Das ist die Logik der Mafia.

Welt Online: Wer gehört zu dieser Finanzmafia?

Hetzer: Es gehören alle Finanzinstitutionen, alle Investmentbaken dazu, soweit sie ausschließlich zu eigenem Nutzen und an den Grenzen des Parteiverrats – man verkauft Produkte und wettet gleichzeitig auf deren Verfall – gearbeitet hat. Warum, glauben Sie, klagt die New Yorker Staatsanwaltschaft die Deutsche Bank an? Weil diese sich auf dem Immobilienmarkt nicht wie eine honorige Bank benommen haben soll. Die US-Behörden fordern von der Deutschen Bank Strafgeld und Schadenersatz in Höhe von bis zu einer Milliarde Dollar.

 Welt Online: Was sind die Handlungsmotive innerhalb der Finanzmafia?

Hetzer: Es ist die Gier, die sie treibt. Gier und Selbstprivilegierung. Durch Selbstprivilegierung und erkauftes Wohlwollen entstand ein Milieu, in dem die erfolgreiche Teilnahme an Bereicherungsorgien alleiniges Ziel des Handelns ist. Wer nicht ein entsprechendes Ego mitbringt, der steigt gar nicht in die Vorstände der Finanzwelt auf. Das sind Leute, die sich dauernd vergleichen wollen, die krankhafte Vorstellungen von Erfolg haben, sonst würden sie bestimmte Dinge gar nicht tun.

Welt Online: Wer krank ist, braucht eigentlich Hilfe.

Hetzer: Dafür sind diese Menschen vermutlich gar nicht mehr empfänglich. Durch die Globalisierung sind sie in der Lage, so viele und große Räder gleichzeitig zu drehen, dass sie sich selbst mit dem lieben Gott verwechseln. Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein hat es ja wörtlich so gesagt: „Wir verrichten das Werk Gottes.“ Leider verschwenden sie keinen einzigen Gedanken daran, was man mit dem ganzen Geld Sinnvolles tun könnte.

Welt Online: Wie konnte es zu diesem Zustand kommen?

Hetzer: Weil sich niemand diesen Leuten entgegenstellt. Weil die Politik sich freiwillig ausliefert, der Wähler sich von der Politik verabschiedet. Wir treten den Rückzug ins Private an, resignieren und lamentieren darüber, dass ,die da oben’ sowieso machen, was sie wollen. Das ist übrigens eine Haltung, die in der Geschichte schon häufiger zu Katastrophen geführt hat.

Welt Online: Was meinen Sie damit?

Hetzer: Die Lage spitzt sich zu. Was soll denn passieren, wenn Griechenland Ende Juni seine Bediensteten nicht mehr bezahlen kann? Welche Alternativen gibt es denn zwischen Staatsbankrott und der Fortsetzung der Hilfsprogramme? Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) tritt voraussichtlich auch erst 2013 in Kraft. In Griechenland und Spanien wächst der Unmut der Menschen. Der Souverän nimmt die Dinge jetzt selbst in die Hand. Man glaubt den Politikern kaum noch. Die Menschen erkennen eine kleptokratische Kultur unter den Eliten. Sie fühlen sich betrogen von Versagercliquen in Politik und Wirtschaft. Ich fürchte, dass Auswirkungen dieses Zorns auf den europäischen Zusammenhalt nicht auszuschließen sind.

Welt Online: Das soll die Solidarität der EU-Staaten verhindern.

Hetzer: Aber wie weit kann diese Solidarität gehen? Hebelt sie am Ende nicht vielleicht das Budgetrecht des Bundestages aus, wenn ein so großer Brocken des Staatshaushaltes über Jahre eingefroren wird? Das nimmt den Volksvertretern doch jede Gestaltungsmöglichkeit.

Welt Online: Wie groß ist denn der Anteil des Bundeshaushaltes, der durch die EU-Hilfe blockiert wird?

Hetzer: Der Bundeshalt hat ein Volumen von etwa 310 Milliarden Euro. Davon bürgen wir mit 168 Milliarden Euro für die EU-Hilfe, und 22 Milliarden müssen in bar in den Rettungsfonds eingezahlt werden.

Welt Online: Ist der Staat demnach eher Opfer oder doch Mitschuldiger?

Hetzer: Norbert Blüm sagt, der Staat sei zum Schmierensteher von Zockern geworden. Jetzt muss der Schmierensteher für das Treiben der Zocker einstehen. Er ist der Bürge der Milliardenverluste. Er bekommt die Rechnungen präsentiert. Und deutsche und französische Banken fürchten nichts mehr als den Staatsbankrott der Griechen, weil sie nämlich dann das viele Geld abschreiben und schwerste Verluste hinnehmen müssten. Also wird das noch vorhandene deutsche Steueraufkommen dafür eingesetzt, Leute rauszuhauen, die für die Lage, in der sie stecken, selbst verantwortlich sind.

Welt Online: Wir retten also wieder einmal die Banken?

Hetzer: Ganz recht. All das Geld, das wir für dringende soziale Aufgaben brauchen, wird jetzt dazu genutzt, die Zinsforderungen der Banken zu bezahlen. Aber darüber wird natürlich nicht mit der Schärfe, die angebracht wäre, geredet.

Welt Online: In welchem Stadium der Krise befinden wir uns?

Hetzer: Sie ist noch lange nicht vorbei. Wer in diesem Szenario, wo neben den Griechen, auch die Iren, die Portugiesen und vielleicht auch die Spanier weiteres Geld benötigen könnten, davon redet, dass das Wichtigste geschafft sei, weiß nicht, was er sagt.

Welt Online: Warum gibt es keine politische Debatte über die Verantwortung?

Hetzer: Dafür habe ich auch keine Erklärung. Im Gegenteil, man geht über die Machenschaften der Finanzmafia, die für mich ihre eigene Obszönität haben, achselzuckend hinweg. Da wurden Millionen Menschen um ihre Lebenschancen, um ihre Zukunft betrogen. Was da gemacht wurde, war und ist existenzvernichtend für ganze Gesellschaften. Aber es bleibt ungestraft.

Kommentar:

Banken erreichen mit griechischen Anleihen Renditen von rund 20%. Sie bereichern sich auf Kosten der Bevölkerung. Und mittendrin die Deutsche Bank. Es ist daher höchste Zeit, die Banken dadurch in die Pflicht zu nehmen, dass sie als Gläubiger die dann noch bestehenden Verluste mit einem Schuldenerlass  tragen und die Steuerzahler insoweit außen vor bleiben. Leider ist das bei der vorhandenen Interessenlage eine Illusion.

Übrigens: Es ist nicht die Politik, sondern es sind die Regierungen, wie z.B. die jetzige Bundesregierung, die willfährig das machen, was die Banken wollen. Politik im Interesse der Bevölkerung wäre das genaue Gegenteil. Deswegen müssen die gestützt werden, die noch wissen, das sie die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten haben.

Dazu:

Dumm gelaufen – Das politische Personal und seine Krise
Sie haben den Staat systematisch ärmer und schwächer gemacht. Sie haben die Finanzmärkte dereguliert und unkontrolliert wuchern lassen. Sie haben ganze Länder in den Ruin getrieben oder treiben lassen. Und nun stehen sie ratlos vor den Trümmern ihrer Taten und ihres Nichtstuns – unsere Politiker. Dummerweise sind die Trümmer auch die unseren. Und vor allem die Ausgleichszahlungen und Reparaturkosten werden die unseren sein. Was wir alle gemeinsam wissen und unsere Politiker zumindest ahnen werden: So wie bisher geht es nicht weiter. Mit Europa nicht und nicht mit der Weltwirtschaft. Und mit diesen Politikern wohl auch nicht.
Quelle: HR2 Der Tag [Audio – mp3]



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