Finanzkrise ist Staatsversagen

Missmanagement, rücksichtsloses Gewinnstreben, schwere Fehler bei der Marktregulierung. Eine US-Untersuchungskommission deckt die Gründe für die Finanzkrise schonungslos auf – und nennt die die Verantwortlichen beim Namen. Auszugsweise der FR entnommen.


Schwerwiegende Fehler bei der Regulierung der Märkte, Missmanagement und rücksichtsloses Gewinnstreben an der Wall Street haben in den USA die weltweite Finanzkrise ausgelöst. Das ist die Quintessenz des Berichtes, den die Untersuchungskommission der US-Regierung vorgelegt hat. Das 576 Seiten dicke Gutachten wurde in den USA und weit darüber hinaus mit Spannung erwartet. Denn die zehnköpfige Gruppe, die Ursachen und Folgen der Finanzkrise untersucht hat, benennt konkrete Personen und Institutionen, die wesentlich für das Ausmaß der Krise verantwortlich sind.

So hätten etwa die US-Notenbank und weitere Regulierungsbehörden die Entwicklung eines „katastrophalen Finanzcocktails“ zugelassen, der mit wackeligen Hypotheken, faulen Krediten und riskanten Finanzpaketen zum Zusammenbruch des Systems geführt habe. „Wir haben geerntet, was wir gesät haben.“

Die kostspielige Krise ist aus Sicht der Kommission vermeidbar gewesen: „Der größte Fehler wäre es, in den allgemeinen Chor einzustimmen, dass niemand die Krise vorhersehen konnte und niemand etwas dagegen hätte unternehmen können. Wenn wir das akzeptieren, wird so etwas wieder passieren.“

Politischer Wille hat gefehlt

Den Regulierungsbehörden hätte es an politischem Willen gefehlt, die Institutionen zu überwachen und in die Pflicht zu nehmen, kritisieren die Autoren. Der US-Börsenaufsicht SEC wirft die Gruppe vor, bei der Regulierung der Großbanken versagt zu haben. So hätten die fünf größten Banken des Landes Rücklagen in Höhe von einer Milliarde Dollar gehabt, denen Verlusten von 40 Milliarden Dollar gegenüberstanden. Die Kommission weist darauf hin, dass zwischen 1998 und 2008 Spenden in Höhe von rund 2,7 Milliarden Dollar von Lobbygruppen des Finanzsektors nach Washington geflossen seien.

Die Finanzkrise – wie alles begann

Im April 2007 muss einer der größten US-Hypotheken-Anbieter Gläubigerschutz bei der Börsenaufsicht beantragen. Die New Century Financial hat sich mit Risikokrediten verkalkuliert, die die Schuldner nicht mehr zurückzahlen können. Die Bank wird zahlungsunfähig und bleibt ihren Gläubigern selbst acht Milliarden Dollar schuldig. 3200 Leute verlieren ihren Job, viele Amerikaner müssen ihre Häuser verkaufen.

Schon schrillen an der Wall Street die Alarmglocken: Zwei Hedgefonds der New Yorker Investmentbank Bear Stearns haben in großem Stil in die Immobilien-Papiere investiert. Die Bank erleidet dramatische Kurseinbrüche. Sie wird zwar in letzter Minute durch eine Finanzspritze von der amerikanischen Notenbank gerettet, der Kursrutsch hat an der Börse allerdings Panik ausgelöst

Anfang September 2008 stolpern die beiden größten Baufinanzierer der USA, Fannie Mae und Freddie Mac, über die faulen Kredite. Am Ende mischt sich die US-Regierung in den Markt ein und greift beiden Instituten unter die Arme. Beide Banken zusammen tragen etwa die Hälfte aller amerikanischen Hypotheken. Damit die Geldmärkte durch die großen Wertverluste an den Aktienmärkten nicht austrocknen, pumpen die EZB und Notenbanken auf der ganzen Welt kurzfristig mehrere hundert Milliarden in den Geldmarkt. Trotzdem können sie die Katastrophe nicht verhinden…

Der 15. September 2008 wird wohl als „schwarzer Montag“ in die Geschichte eingehen: Die einflussreiche US-Bank Lehman Brothers muss Insolvenz anmelden.

Und wieder lässt das Echo in Deutschland nicht lange auf sich warten: Die deutschen Landesbanken, allen voran die WestLB und die BayernLB, verzeichnen milliardenschwere Abschreibungen. Sie hatten in großem Stil bei Lehman Brothers investiert. Den größten Patzer leistet sich die Mittelstandsbank IKB: Obwohl die Pleite von Lehman Brothers inoffiziell schon bekannt ist, überweist das Management 336 Millionen Euro. Das Geld ist weg – die Verantwortlichen müssen das Bankhaus ebenfalls verlassen.

Der Versicherungsriese AIG gerät durch Milliardenverluste in akute Kapitalnot. Der Aktienkurs bricht um 68 Prozent ein, die Weltbörsen setzen ihre Talfahrt fort. Die Notenbanken pumpen noch einmal fast 150 Milliarden Euro in den Geldmarkt. Tags darauf rettet die Bank of America AIG mit einem Kredit von 85 Milliarden Dollar.

Die US-Regierung unter der Führung von Finanzminister Henry Paulson ersinnt am 19. September ein milliardenschweres Rettungspaket und löst damit ein Kursfeuerwerk an den Börsen aus. Paulson wird als „King Henry“ gefeiert. Die USA und Großbritannien verhängen ein weitreichendes Verbot für sogenannte Leerverkäufe, also Wetten auf sinkende Aktienkurse(!).

Finanzkrise nicht beendet

Die Krise ist jedoch nicht aufzuhalten und zieht weite Kreise in Europa: Der belgisch-niederländische Immobilienfinanzierer Fortis erleidet den größten Kursverlust seiner Geschichte. Der belgische Staat stellt schließlich in Absprache mit der EU-Kommission das rettende Finanzpaket. Ein ähnliches Schicksal erleidet die deutsche Hypo Real Estate. Auch hier springt der Staat rettend ein und löst damit eine Debatte um eine „Komplettlösung“ für den Bankensektor aus. Andere europäische Länder wie Irland und Österreich haben bereits einen staatlichen Schutzmantel in Form einer Einlagensicherung über ihre Landesbanken gebreitet.

Ende Oktober fordert die Finanzkrise in Deutschland ihr erstes politisches Opfer: Erwin Huber, bayrischer Finanzminister, stolpert über die desolate Lage der landeseigenen BayernLB, die als erste Bank unter den 500-Milliarden-Euro schweren Rettungsschirm des Bundes schlüpft. Nach der angeschlagenen Hypo Real Estate greift Anfang November auch die Commerzbank in großem Stil auf das Rettungspaket der Bundesregierung zurück und bessert damit ihr Kapital auf.

Fehlverhalten

Vor allem die beiden US-Notenbanker Alan Greenspan und Ben Bernanke werden von der Untersuchungskommission kritisiert. Greenspan, der die Federal Reserve leitete als die Immobilienblase platzte, habe sich für eine Deregulierung des Finanzsystems eingesetzt. Die Tatsache, dass er „den Fluss der giftigen Hypotheken“ nicht gestoppt habe, sei ein „Paradebeispiel für die Fahrlässigkeit der Regierung“, urteilt die Kommission. Die Notenbank habe ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit zu schützen, nicht erfüllt.

Sowohl der heutige Notenbankchef Ben Bernanke als auch der damalige Finanzminister Henry Paulson hätten 2007 fälschlicherweise behauptet, dass der Zusammenbruch des Subprime-Marktes, des Hypothekenmarktes für Kreditnehmer mit geringer Bonität, ein isoliertes Problem darstelle, heißt es weiter. Die Reaktion der Notenbank, die Zinsen zu senken, sehen die Autoren dagegen ebenso wenig als Fehler an wie die Politik der Regierung, Wohneigentum im großen Stil zu fördern.

Profitgier

Die US-Kommission sieht im rücksichtslosen Gewinnstreben an der Wall Street einen Hauptgrund für die Finanzkrise. Die Kommission richtet ihre Vorwürfe gegen beide Parteien. So prangern die Autoren die „uneinheitliche Antwort“ der Bush-Regierung auf die Krise an. Dass sie einerseits die US-Investmentbank Lehman Brothers im September 2008 habe pleitegehen lassen, andererseits aber etwa das Kreditinstitut Bear Stearns gerettet habe, habe zu „weiterer Unsicherheit und Panik an den Finanzmärkten geführt“. Die Clinton-Regierung habe im Jahr 2000 den schwerwiegenden Fehler gemacht, die Regulierung bestimmter Finanzprodukte wie Derivate zu lockern. Dies sei ein „Schlüsselmoment“ gewesen. Auch führenden Manager von Unternehmen wie Citigroup, AIG und Merrill Lynch, die in der Krise Staatshilfen in Milliardenhöhen erhalten hatten, wirft die Kommission Fehler im Umgang mit riskanten Finanzpapieren vor.

Kommentar:

Wenigstens gibt es in den USA eine solche Kommission, die u.a.  politisches Fehlverhalten schonungslos aufdecken soll.  Wie sieht es dagegen in Deutschland aus, wo das gleiche Fehlverhalten festzustellen ist? Ankündigungen gab es, und dabei blieb es auch. Milliarden an Steuergeldern wurden den Banken mit dem Schutzschirm ohne Gegenleistung zur Verfügung gestellt, weil das angeblich alternativlos war. Alternativlos sind dann wohl auch die Steuergeschenke für die Hoteliers und die Verarmung eines immer größeren Teils der Bevölkerung. Geld steht nicht mehr zur Verfügung, weil es bereitwillig an die Banken verscherbelt worden ist. Dafür dürfen die Banken inzwischen wieder Boni und Abfindungen in Millionenhöhe verteilen.  Von der Absicht, die Finanzmärkte zu regulieren, ist nichts übrig geblieben.

Und so sieht es im Rückblick im April 2014 aus:

http://www.youtube.com/watch?v=UMi-tUppAf0

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