Das 21.Jahrhundert wird einmal daran gemessen werden, wie es mit den Flüchtlingen umgegangen ist. So überschreibt Heribert Prantl, SZ, seinen Beitrag zur notwendigen Aufnahme und Hilfe für Flüchtlinge.
Man wird das 21. Jahrhundert einmal daran messen, wie es mit den Flüchtlingen umgegangen ist. Man wird es daran messen, was es getan hat, um die Staaten im Chaos wieder zu entchaotisieren. Man wird es daran messen, welche Anstrengungen unternommen wurden, um entheimateten Menschen ihre Heimat wiederzugeben. Das ist eine gigantische Aufgabe, die von Politik und Wirtschaft ein radikales Umdenken verlangt.
Die Flüchtlingszahlen, die Deutschland im Sommer 2015 beunruhigen, sind auch Folge dessen, was der Raubtierkapitalismus und die gewachsene Bereitschaft der Geostrategen, Interessenkonflikte mit Gewalt zu lösen, angerichtet haben. Flucht hat Ursachen – aber die Bekämpfung der Fluchtursachen ist zu einer Floskel geworden, mit der man eigentlich nur sagen will: Da kann man nichts machen, „die“ sollen doch bleiben, wo sie sind.
Roma haben auch auf dem Balkan kein Zuhause
Aber es werden die Syrer nicht in Syrien bleiben, solange dort der Tod regiert; es werden die Eritreer nicht in Eritrea bleiben, solange die Staatsgewalt dort die nackte Gewalt ist; und es werden die Menschen nicht in Serbien, in Kosovo und in Albanien bleiben, solange sie dort für sich und ihre Familie keinerlei Perspektiven sehen. Gewiss: Die Ursachen dafür, warum Menschen ihre Heimat verlassen, sind höchst verschieden. Gewiss: Die Situation für die Menschen in Syrien ist viel bitterer als für die auf dem Balkan. Gewiss: Perspektivlosigkeit ist kein Asylgrund. Aber die Verschiedenartigkeit der Probleme ist kein Grund, sie nicht auf verschiedene Weise anzupacken.
Im Übrigen versteckt sich hinter der Chiffre „Flüchtlinge aus den Balkanstaaten“, für die in Bayern zentrale Aufnahmelager errichtet und Schnellverfahren etabliert werden sollen, ein Problem, das mit Aufnahmelagern und Schnellverfahren nicht zu lösen ist: Die Roma haben kein Zuhause – nicht auf dem Balkan, nicht in Deutschland, nicht in Frankreich. Sie sind überall ungern gelitten. Es ist nötig, Europa für die Roma zum Zuhause werden zu lassen. Aber dazu hört man weder von Horst Seehofer etwas noch von der EU-Kommission. Die aktuelle Debatte raunt, man würde gern Roma loswerden und dafür Syrer aufnehmen.
Anmerkung
Ich bin selbst Flüchtling. Meine Eltern mussten mit mir und meinen Brüdern aus Schlesien fliehen. Wir mußten alles zurück lassen. Alles, was Heimat und Besitz war , war verloren. An die Vorbehalte der eineimischen Bevölkerung kann ich mich noch gut erinnern. Und jetzt? Erinnern wir uns nicht mehr? Wir schon, aber auch die, die politisch verantwortlich sind?